In Bayern erhalten heute viele Schülerinnen und Schüler der Grund-, Mittel- und Realschulen sowie der Gymnasien und berufsbildenden Schulen Zwischenzeugnisse, am letzten Schultag der zweiten vollen Schulwoche im Februar. Allerdings erfolgt die Ausgabe der Zwischenzeugnisse am Zeugnistag "in der Regel", wie auch das bayerische Kultusministerium in einer Mitteilung betont. Denn tatsächlich gibt es inzwischen eine ganze Reihe von abweichenden Formen vom gewohnten Zwischenzeugnis.
Unterschiedliche Formen der Leistungsnachweise
Je nach Schulart wird in Bayern unterschiedlich mit den Leistungsnachweisen zum Halbjahresende umgegangen. Beispielsweise können an Mittelschulen in den Jahrgangsstufen 5 bis 9 die Zwischenzeugnisse durch Lernentwicklungsgespräche ersetzt oder ergänzt werden. Und an Gymnasien und Realschulen ist es möglich, die Zeugnisse in den Klassen 5 bis 8 durch schriftliche Notenübersichten, sogenannte Leistungsstandberichte (LSB), zu ersetzen. Diese listen alle bislang erhobenen Leistungsnachweise, also beispielsweise Ex(temporale), Kurzarbeiten oder Schulaufgaben pro Fach auf und bilden daraus jeweils eine Durchschnittsnote.
Die Leistungsstandberichte müssen zweimal im Schuljahr ausgegeben werden und fallen daher meist nicht zum Schulhalbjahr an. Ob die Schüler LSB statt Zwischenzeugnisse erhalten, entscheidet nach Auskunft des Kultusministeriums die Lehrerkonferenz einer Schule gemeinsam mit dem Elternbeirat.
Lernentwicklungsgespräche an Grundschulen
Ganz andere Möglichkeiten haben die Grund- und Mittelschulen in Bayern. In den Jahrgangsstufen 1 bis 3 der Grundschulen und 5 bis 7 der Mittelschulen kann das Zwischenzeugnis – und an den Grundschulen auch das Jahreszeugnis – durch ein dokumentiertes Lernentwicklungsgespräch (LEG) ersetzt werden. Eine Möglichkeit, die viele Lehrkräfte gerne nutzen, sagt Professor Andreas Hartinger, Inhaber des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Universität Augsburg. "Über 95 Prozent der Grundschullehrerinnen und -lehrer, die wir in einer Studie befragt haben, gaben an, dass sie lieber Lernentwicklungsgespräche führen, als Zeugnisse zu schreiben. Und das, obwohl die Gespräche mehr Arbeit machen", sagt der Wissenschaftler.
Lernentwicklungsgespräche sind deshalb aufwändiger, weil die Lehrkraft das Gespräch für jedes Kind vor- und nachbereiten muss. Vor dem Gespräch werden jeweils von Lehrkraft und Schüler bzw. Schülerin das Sozial-, Lern- und Arbeitsverhalten in einem Einschätzungsbogen festgehalten, welche dann als Grundlage des Gesprächs dienen. Am Ende des Gespräches, an dem auch die Eltern des Schülers teilnehmen, wird dann gemeinsam eine Zielvereinbarung formuliert. Diese wird von der Lehrkraft wiederum schriftlich dokumentiert und dient als Grundlage für das weitere Vorgehen.
Gespräche und Leistungsstandberichte statt Zeugnisse
"Der innovative Gedanke bei den Lernentwicklungsgesprächen ist, dass es keine Einbahnstraße ist, sondern es ist ein Gespräch, in dem ich berücksichtigen kann, wie sich ein Kind verbessert hat. Und ich kann die Selbsteinschätzung der Kinder mitberücksichtigen", sagt Andreas Hartinger. Das sei besonders motivierend für die Kinder. Und auch die Eltern schätzen die LEG: "In der gleichen Studie haben wir auch die Eltern befragt: Da gaben 87 Prozent der Eltern an, dass sie lieber Lernentwicklungsgespräche als Zeugnisse haben."
Ausführlich, differenziert, mit Raum für spezifische Stärken und Schwächen des jeweiligen Kindes: Lernentwicklungsgespräche haben viele Vorteile. Und auch Leistungsstandberichte (LSB) werden mittlerweile an vielen weiterführenden Schulen statt Zeugnissen ausgegeben, auch wenn das bayerische Kultusministerium nicht sagen kann, "wie viele Schulen auf andere Formen der Darstellung des Leistungsstandes als durch die Aushändigung von Zwischenzeugnissen zurückgreifen". Und es deshalb auch keine Auskunft über die "konkreten pädagogischen Erfahrungen mit den alternativen Verfahren" gibt.
Zeugnisse: Dokumentation ist wichtig, aber auch individuelles Feedback
Dass Lernentwicklungsgespräche künftig auch an weiterführenden Schulen als Alternative zu (Zwischen-)Zeugnissen eingeführt werden, scheint indes eher unwahrscheinlich. Denn Schulzeugnisse sind eben nicht nur ein pädagogisches Instrument, um Schüler zu motivieren, sondern dienen auch der Dokumentation, sagt Grundschulpädagoge Andreas Hartinger. "Zeugnisse haben insofern eine Berechtigung, als sie auf einen Blick die Leistung einer Person einschätzbar machen – etwa, ob sie für ein Vorstellungsgespräch geeignet ist oder ob sie einen Studienplatz bekommen sollte." Allerdings sei ein Abiturzeugnis sicher nicht für alle Studiengänge eine gute Vorhersage.
Im Rahmen der ministeriellen Vorgaben liegt es bei Bayerns Schulen, für welche Art der Leistungsdokumentation sie sich entscheiden. Nach Angaben des Kultusministeriums sei es grundsätzlich positiv zu bewerten, "wenn die Schulen die pädagogischen Freiräume nutzen, die ihnen durch die rechtlichen Möglichkeiten gegeben sind". Letztlich, betont Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler), gehe es am heutigen Zeugnistag um das "individuelle Feedback" und die Möglichkeiten für die Schüler, sich, wenn nötig, Unterstützung zu holen.
Im Video: Andere Wege beim Zwischenzeugnis
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