Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat sich hinter Pläne der Ampel-Bundesregierung gestellt, Regionen mit viel Windenergie bei den Netzentgelten zu entlasten. Das Problem, dass Regionen, die viele Windräder bauen, mehr bezahlen müssten, komme mit dem Windkraftausbau "in den nächsten Monaten und Jahren" auch auf Bayern zu, sagte Aiwanger am Dienstag im Deutschlandfunk (DLF).
Energiewende: Vorreiter-Kommunen dürfen nicht die "Gelackmeierten" sein
Man müsse also eine vernünftige Lösung finden, die die Nachteile für Windkraftregionen abbaue und verhindere, dass bayerische Kommunen "in dieselbe Falle laufen, in der die Norddeutschen sitzen". "Wenn Photovoltaik-Parks weiter ausgebaut werden, dann gibt es viele neue Umspannwerke. Dann gibt es viele neue Verteilnetze vor Ort und die kosten viel Geld", so Aiwanger. "Wenn das alles der Kunde zahlen muss, dort wo die Windparks und Solarfelder stehen, dann wird bald in der Kommunalpolitik der Ruf kommen, 'stoppt den Erneuerbaren-Ausbau, weil wir als Bürger vor Ort sonst die Gelackmeierten sind'", sagte Aiwanger dem Deutschlandfunk.
"Peanuts" – Aiwanger nimmt den Bund in die Pflicht
Er schlug vor, die Zusatzkosten für den Windstrom-Anschluss entweder auf mehr Schultern zu verteilen oder den Bund die Kosten von mehr als einer Milliarde Euro übernehmen zu lassen. "Das sind auf Bundesebene, ehrlich gesagt, Peanuts. Wenn man bei der Energiewende vorankommen will, dann muss man hier mal zugreifen", sagte Aiwanger.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Montagabend angekündigt, dass es noch in diesem Jahr eine Neuregelung der Netzentgelte in Abstimmung mit den 16 Bundesländern geben solle. Er strebe eine einvernehmliche Lösung an. Wenn das von CSU und Freien Wählern regierte Bayern nun einlenken sollten, steigen die Chancen, dass dies gelingt.
Aiwanger betonte, dass man die Debatte um Netzentgelte nicht mit der um Strompreiszonen verwechseln dürfe. "Soweit ich das aus Gesprächen mit Müller und Habeck weiß, wollen die gar keine Strompreiszonen", sagte der Wirtschaftsminister mit Blick auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und den Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Dieser empfahl das DLF-Interview mit Aiwanger dann auch umgehend bei X, vormals Twitter.
"Einstieg in Strompreiszonen" – Söder gegen ausbaubasierte Netzentgelte
Die Positionen in der Koalition in Bayern scheinen derweil noch nicht deckungsgleich. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich erneut vehement gegen den Vorschlag der Bundesnetzagentur aus, eine Strompreisreform mit niedrigeren Gebühren für Regionen mit viel Windkraft einzuführen. "Ausbaubasierte Netzentgelte sind der Einstieg in Strompreiszonen", sagte der CSU-Chef dem "Münchner Merkur" (Mittwochausgabe) laut einer Vorabmeldung. "Wer diesen Weg geht, wird sich am Ende als Totengräber der süddeutschen Industrie erweisen und damit den Wohlstand in ganz Deutschland gefährden", sagte Söder und nannte den Vorstoß eine "Attacke" auf den Süden.
Ein Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums betonte laut der Nachrichtenagentur Reuters, dass es zwischen dem Ministerpräsidenten und Aiwanger keinerlei inhaltlichen Differenzen gebe.
Müller: "Kann Frust vieler Bürger gut verstehen"
Die Bundesnetzagentur will eine Strompreisreform mit niedrigeren Gebühren für Regionen mit viel Windkraft. Laut Müller liegt im Bundestag ein Gesetzentwurf, der die Netzagentur autorisieren würde, faire Netzentgelte einzuführen. "Sobald das Gesetz verabschiedet ist, werden wir einen Vorschlag für die Reform machen", sagte Müller am vergangenen Wochenende.
Müller sagte weiter: "Ich treffe keinen Energieminister in den Bundesländern, der dieses historisch gewachsene System noch gutheißt." Schließlich seien auch Regionen in Süddeutschland betroffen, in denen viele Windräder aufgestellt und ans Netz angeschlossen würden. Sein Eindruck sei, dass die Energieminister aller Bundesländer hinter seinen Reformplänen stünden. "Denn es liegt auf der Hand, dass wir den Erneuerbaren-Ausbau belohnen sollten. Ich kann den Frust vieler Bürger und Regionen darüber gut verstehen."
Billiger Windstrom – aber hohe Netzentgelte im Norden
Hintergrund der Debatte um die Netzentgelte ist, dass derzeit vor allem im Norden und Osten in großem Maßstab billiger Windstrom produziert wird, die Menschen dort aber dennoch höhere Strompreise bezahlen müssen. Dies liegt daran, dass die Kosten für den Anschluss von Windrädern ans Stromnetz vergleichsweise hoch sind und nur regional umgelegt werden. In den Küstenregionen ist zudem die Bevölkerungsdichte geringer, sodass die Kosten auf weniger Menschen umgelegt werden als etwa in städtischen Regionen. Aiwanger kritisierte, dass Landbewohner deshalb oft höhere Preise zahlen müssten als Stadtbewohner. Dies sei ungerecht und gefährde den Ausbau Erneuerbarer Energien.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) monierte auf Instagram ebenfalls, dass es unfair sei, die nördlichen Bundesländer für den Ausbau von Windenergie noch zu bestrafen. Da die Länder im Süden profitierten, "ist es richtig, dass sie sich künftig auch angemessen an den Kosten für die notwendigen Leitungsnetze beteiligen sollen", schrieb er.
Mit Informationen von Reuters
Im Video: Energieexperte hält Reform des Strommarktes für überfällig
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