Gutgemeinte Tipps und Regeln, wie man sich verhalten sollte, wenn plötzlich ein Raubtier auftaucht, machen zurzeit die Runde. Viele Landwirte aber glauben, dass Wölfe und Bären in Bayern nichts zu suchen haben. Eine Meinung, die sich nach der Sichtung eines Braunbären im Oberallgäu verstärkt hat. Der Hindelanger Alpmeister Florian Braunsch sagt beispielsweise, dass "der Bär weg muss". Ganz anderer Meinung ist Max Rossberg von "LIFEstockProtect", einem Herdenschutzprojekt der Europäischen Union. Er ist sich sicher: Herdenschutz im Einklang mit der Natur ist möglich. Bayern 1-Moderator Thommi Stottrop hat mit ihm gesprochen.
Thommi Stottrop: "Sie kümmern sich um den Schutz von Herden vor Bär und Wolf, der auch in den Bergen - auf der Alm - funktioniert. Im Trentino in Italien zum Beispiel lebt man ja schon seit Jahren mit dem Bären. Wie klappt das dort mit dem Herdenschutz?"
Max Rossberg: "Zuerst mal: Umzäunen kann man Almen nicht. Beutegreifer wie Wolf und Bär kann man nur durch den Einsatz von Herdenschutzhunden, die ich übrigens selbst im Einsatz habe, von den Nutztieren abhalten. Denn Bär und Wolf haben eine Urangst, verletzt zu werden, weil sie als verletzte Beutegreifer verhungern würden. Somit sind Hunde für diese Bären und Wölfe ein nicht einschätzbares Risiko. Und deshalb meiden diese Tiere eben genau die Herden, die durch Hunde beschützt werden. Aber diese Hunde müssen so sein, dass sie dieses Schutzverhalten nicht gegenüber den Menschen zeigen. Und es gibt Hunde, die im touristisch stark frequentierten Gebiet eingesetzt werden, wo hunderte Wanderer ohne Zwischenfall jeden Tag durch Schafherden gehen."
Thommi Stottrop: "Das heißt der Hund an sich oder mehrere Hunde schützen die Herde. Das tun sie aber nicht allein, oder?"
Max Rossberg: "Ganz wichtig: Der Hirte, seine Hütehunde und die Schafe oder Kühe oder Pferde sind eine Einheit. Der Hirte ist tagsüber bei den Tieren, die Hunde übernehmen dann die Bewachung in der Nacht, damit der Hirte seinen gesegneten Schlaf hat. Aber Hunde ohne Hirten einzusetzen, das ist der falsche Weg."
Thommi Stottrop: "Also Hunde immer zusammen mit dem Hirten. Und das schützt die Herden vor den Bären oder vor dem Wolf… "
Max Rossberg: "Genau. Und das ist eigentlich etwas sehr Spannendes, denn es wurde ja seit Jahrtausenden so praktiziert. Wir haben es in den letzten 30, 40, 50 Jahren nur nicht mehr gemacht. Heidi, die Geschichte vom Ziegen-Peter, das war die Art und Weise, wie Herden in der Vergangenheit betreut wurden. Und die kommt zurück, schafft auch neue Arbeitsplätze. Es gibt diese Hirten, besonders junge Menschen von der Universität, die wollen zum Teil diesen Beruf ausüben, aber das kostet Geld. Geld, das die Bauern derzeit nicht haben. Hier muss die Gesellschaft ganz klar ihren Obolus beitragen."
Thommi Stottrop: "Das heißt wenn jetzt jemand wie Florian Braunsch, der Hindelanger Alpmeister, sagt, die Politik muss handeln, dann wäre das eher ein finanzieller Zuschuss zur Ausbildung."
Max Rossberg: "Also Zuschuss zur Ausbildung ist der eine Teil. Aber wir haben zum Beispiel jetzt bei 450 Schafen 40 verschiedene Auftreiber, also bei zehn Schafen pro Besitzer sind zwei Hirten im Einsatz, und jeder Hirte erhält derzeit 4.000 Euro im Monat. Und dieses Geld zahlt die Politik. Denn 4.000 Euro kann sich kein Bauer leisten, auch nicht 40 Bauern, wenn sie zusammenlegen. Diese Hirten werden von der öffentlichen Hand finanziert."
Thommi Stottrop: "Das ist also in Südtirol der Fall, und zwar wo dort?"
Max Rossberg: "Auf mehreren Almen, und zwar dort, wo Bären sind. Denn Bären und Wölfe kommen seit Jahren immer wieder aus der Schweiz rüber, alleine das Trentino hat 26 Wolfsrudel."
Thommi Stottrop: "Und das funktioniert?"
Max Rossberg: "Das funktioniert ganz super. Wir haben jetzt zwei deutsche Hirten, eine Frau und einen Mann um die 50, angeheuert. Mit ihren sechs Hütehunden ziehen sie sechs Monate lang mit den Schafen von Alm zu Alm und verfügen natürlich auch über entsprechende Hütten und Unterkünfte, die extra für sie hergerichtet worden sind."
Thommi Stottrop: "Heißt also so kann ein Zusammenleben mit Bär und Wolf auch funktionieren. Ist es vielleicht auch eine Generationenfrage, wie man dazu steht?"
Max Rossberg: "Na ja, selbstverständlich. Ich bin ja mittlerweile auch schon 60. Und wenn man in dem Alter ist, dann fragt man sich: Muss ich jetzt noch auf meine letzten Jahre umstellen? Muss ich mich dieser neuen Herausforderung stellen? Die jungen Bauern gehen dagegen sehr oft unverkrampfter heran. Sie sagen: Siehst Du, die nächsten 30, 40 Jahre meines Berufslebens werde ich mit diesen Tieren in der Nachbarschaft auskommen müssen. Denn im Grunde genommen ist es für einen Bauern egal, ob ein Wolf oder hundert Wölfe: Sobald sich ein Tier auch nur im Umkreis von 50 Kilometern aufhält muss er mit Rissen rechnen. Und das will keiner. Keiner will seine Tiere den Wolf oder den Bären als Futter vorwerfen."
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