Seit drei Jahren pflegt Landwirtin Claudia Steger ihre 77-jährige Mutter Ruth Huber. Ruth braucht Hilfe von morgens bis abends. Geistig ist sie fit, körperlich aber sehr eingeschränkt: Eine Schulter ist steif, sie hat Arthrose und Diabetes. Duschen, sich anziehen oder kochen, Wäsche waschen und zu Arztterminen fahren – alles das würde sie allein nicht mehr schaffen. Laufen kann sie nur noch mit Rollator oder wenn sie von Tochter Claudia gestützt wird.
Für Claudia war immer klar, dass sie ihre Mutter zu Hause pflegen wird. "Ich würde meine Mama nie ins Heim geben, auch nicht, wenn sie bettlägerig wäre", sagt die 55-jährige Landwirtin. Sie lebt mit ihrer Familie auf einem großen Bauernhof in Sandsbach bei Abensberg. Vor 33 Jahren hat Claudia auf den Hof eingeheiratet. Schon damals stand fest: Wenn ihre Schwiegereltern einmal pflegebedürftig sind, wird sie sich um sie kümmern. Als ihr Schwiegervater dann dement wurde, pflegte sie ihn die letzten Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 2015. Jetzt hat Claudia ihre Mutter Ruth zu sich auf den Hof geholt, damit sie sich rund um die Uhr um sie kümmern kann.
Hauptsächlich Bäuerinnen pflegen Angehörige
In Bayern sind es hauptsächlich die Bäuerinnen, die kranke Angehörige pflegen. Laut der Bäuerinnenstudie 2019 der TU München sind 47 Prozent der Frauen allein für die Pflege verantwortlich. Nur 25 Prozent teilen sich die Arbeit mit ihrem Partner, in 15 Prozent der Fälle wird die Arbeit mit der Verwandtschaft geteilt. Eine Mammutaufgabe, denn viele Pflegebedürftige können nicht mehr allein gelassen werden und brauchen ständige Betreuung. Trotzdem müssen die Bäuerinnen in der Regel ihre täglichen Arbeiten auf dem Hof verrichten, sich um Kinder oder Enkel kümmern und haben häufig noch zahlreiche Ehrenämter.
In der Serie "Hofgeflüster" besucht Unser Land-Reporterin Stefanie Heiß Höfe in Bayern. Hier geht es in mehreren Folgen um Themen, über die sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Alle Videos der "Hofgeflüster“-Serie gibt es hier.
Mehrgenerationenwohnen bringt Entlastung für Pflegende
So auch bei Claudia Steger: Ihre drei Kinder sind zwar erwachsen, aber mittlerweile hat sie drei Enkel, um die sie sich mit kümmert. Sie ist stellvertretende Kreisbäuerin, Gemeinderätin, leitet eine Strickgruppe und den Seniorennachmittag im Ort. Den Hof mit 30 Hektar Ackerland und fünf Hektar Wald bewirtschaftet Familie Steger im Nebenerwerb, auch hier ist Claudia zur Erntezeit im Sommer voll mit im Einsatz.
Möglich ist das, weil bei den Stegers die gesamte Familie zusammen hilft, um die 77-jährige Ruth zu versorgen. Zwar ist Claudia die Hauptverantwortliche für die täglichen Routinearbeiten der Pflege. Doch wenn sie unterwegs ist, kümmert sich beispielsweise Tochter Steffi um Oma Ruth. Steffi und ihr Mann haben auf dem Bauernhof der Stegers den ehemaligen Schweinestall zu einem Wohnhaus umgebaut. Dort leben sie mit ihren beiden Kindern. So kann Ruth ihre Urenkel aufwachsen sehen und ist im Familienleben der Großfamilie mit vier Generationen voll integriert. Eine Bereicherung für die ganze Familie und eine große Entlastung für Claudia.
Wertschätzung für Pflegearbeit fehlt häufig
Die ganze Familie hilft mit – das ist der Idealfall. Oft sind Pflegende auf den Höfen aber Einzelkämpfer, sagt Heidi Perzl von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). "Wir sagen immer, unsere pflegenden Angehörigen sind schlummernde Patienten. Pflege ist anstrengend: emotional, körperlich, und oft geht den pflegenden Angehörigen irgendwann die Kraft aus."
Gründe dafür sind aus Perzls Sicht unter anderen die ständige Rufbereitschaft und die strukturelle Arbeitsüberlastung, wenn Pflege zusätzlich zu allen anderen Aufgaben dazu komme. Außerdem fehle es oft an Wertschätzung in der eigenen Familie für die anstrengende Tätigkeit. "Und manchmal gibt es auch die Situation, dass Schwiegereltern, die einen, wo es ihnen noch besser ging, nicht so gut behandelt haben, zum Pflegefall werden und die Schwiegertochter sie dann pflegen muss. Auch da sind wir wieder beim Thema fehlende Wertschätzung."
Spezielle Angebote der SVLFG für pflegende Angehörige
Um Pflegende zu entlasten, bietet die SVLFG spezielle Trainings- und Erholungswochen für pflegende Angehörige an, wenn sie oder die zu pflegende Person bei der SVLFG versichert sind. Alle zwei Jahre können sie für eine Woche daran teilnehmen und bekommen dann verschiedene Angebote wie Kurse zu rückenschonendem Pflegen, Vorträge zu Hilfsangeboten und Bewegungs- und Entspannungseinheiten. Das Wichtigste aber: "Sie verbringen die Zeit mit Gleichgesinnten, die alle diese schwere Aufgabe zu Hause haben", sagt Heidi Perzl.
Und bei der Heimkehr gebe es häufig dann die Wertschätzung, die bislang gefehlt hat: "Da heißt es dann: Mensch, Mama, gut, dass du wieder da bist. Wir haben gar nicht gewusst, dass mit der Oma so viel zu tun ist. Oder auch die zu pflegende Person sagt dann plötzlich: Ach, Gott sei Dank bist du wieder da! Du pflegst mich einfach am besten."
Nicht nur Kinder pflegen ihre Eltern. In vielen Fällen sind es auch die Ehepartner auf den Bauernhöfen, selbst hochbetagt, die ihre Ehefrau oder ihren Ehemann pflegen. "Sie sind seit Jahrzehnten beisammen und für die ist es oft unvorstellbar, für eine Woche allein wegzufahren", sagt Perzl. Für diese Pflegenden gibt es die Möglichkeit, als sogenanntes Pflege-Tandem zu verreisen: Die pflegende Person darf ihren zu pflegenden Angehörigen mitnehmen. Und wer einfach mal über die belastende Pflegesituation sprechen möchte, kann sich an das Telezentrum der SVLFG für seelisch belastete Angehörige wenden.
- Zum Artikel: Pflegende Angehörige: Mit Intensivkursen gegen Wissenslücken
Unterstützung der Familie für Pflegende enorm wichtig
Auch Claudia Steger kommt manchmal an den Punkt, wo ihr alles zu viel wird. Dann geht sie in ihren Garten. "Das ist mein Paradies. Dann gehe ich einmal durch und atme tief ein und aus. Das brauche ich, dass ich einfach mal für mich allein bin." Kleine Erholungspausen im Alltag, aber auch hin und wieder ein paar freie Tage – daraus zieht Claudia die Kraft, um ihre Aufgaben zu bewältigen.
Möglich macht es auch hier der gute Familienzusammenhalt: Einmal pro Jahr verreisen Claudia und ihr Mann Fritz gemeinsam mit ihrer Tochter Steffi und den beiden Enkeln. In der Zeit kümmert sich Claudias Tochter Sabrina um Oma Ruth. Im Alltag unterstützen außerdem Claudias Ehemann Fritz und auch Sohn Andreas, wo es geht. So verteilt sich die Pflege bei den Stegers zumindest zeitweise auf mehrere Schultern. Das ermöglicht Claudia die so wichtigen Auszeiten und Oma Ruth ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu Hause im Kreis Familie.
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