"Wir wissen erst seit wenigen Tagen, dass unser Geld in Anleihen der DR Deutsche Rücklagen GmbH steckt. Da haben wir erfahren, dass die Consigma München GmbH im Insolvenzverfahren ist", sagt eine Seniorin, die anonym bleiben möchte. Der Hausverwalter einer anderen Münchner Wohnungseigentümergemeinschaft meldet sich Ende November bei BR Recherche. Er hat von der Consigma-Gruppe eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) übernommen, nach seinen Angaben fehlen 50.000 Euro auf den Rücklagenkonten. Sie seien in Anleihen der Deutsche Rücklagen in München geflossen.
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Wohnungseigentümer sparen gemeinsam Gelder an, die sogenannten Instandhaltungsrücklagen. Damit werden dann größere Sanierungen oder Reparaturen finanziert. Die gemeinsamen Konten und die Wohnanlage vertrauen WEG in der Regel einer Hausverwaltung an. Diese soll alles treuhänderisch verwalten.
Ganzes Ausmaß noch unklar
BR und hr haben inzwischen 66 Wohnungseigentümergemeinschaften identifiziert, die von dem fragwürdigen Anleihengeschäft der Consigma-Gruppe und der Deutsche Rücklagen betroffen waren bzw. sind. Mehr als 40 warten noch auf ihr Geld, insgesamt fast vier Millionen Euro. Es geht neben WEG in Bayern auch um Fälle in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Viele der WEG haben die Anleihe inzwischen gekündigt, zum Teil hat die Deutsche Rücklagen ihnen Kündigungsbestätigungen zugeschickt. Das Geld aber ist nach wie vor nicht da.
Der Münchner Fachanwalt Burkhard Rüscher vermutet, dass viele WEG noch gar nicht wissen, dass auch ihre Ersparnisse in Anleihen der Deutsche Rücklagen flossen – ohne ihre Zustimmung. Seine Kanzlei vertritt derzeit sieben WEG. Früher bekamen seine Mandanten von der Deutsche Rücklagen das Geld zurück, meint Rüscher, inzwischen habe sich die Zahlungsmoral offenbar geändert: "Von den Eigentümergemeinschaften, die ich betreue und bei denen der Rückzahlungsanspruch zum 30. September fällig geworden ist, hat noch keine ihr Geld zurückbekommen."
BR und hr deckten fragwürdiges Anleihengeschäft bereits 2023 auf
Im November 2023 berichtete report München zum ersten Mal über Wohnungseigentümer, die ohne ihre Zustimmung zu Anleihengläubigern geworden waren. Hinter dem Geschäftsmodell verbirgt sich ein Unternehmensnetzwerk, das auf gemeinsame Ersparnisse der WEG zugriff: Hausverwaltungen, die der Consigma-Gruppe zuzuordnen sind, buchten Gelder von WEG-Konten ab und investierten diese in Anleihen der DR Deutsche Rücklagen GmbH in München. Das ist rechtlich umstritten, denn der Gesetzgeber schreibt vor, dass WEG-Gelder mündelsicher angelegt werden müssen. Die Rechtsprechung verlangt, dass die Gelder jederzeit verfügbar sein müssen. Beides ist nach Ansicht von Experten im Fall der Deutsche Rücklagen nicht gegeben. Diese ist eine GmbH, die die Gelder nach eigenen Angaben als Kredite an die Bau- und Immobilienbranche ausgab.
Im März 2024 reagierte die deutsche Finanzmarktaufsicht BaFin auf die Berichterstattung. Sie untersagte der Deutsche Rücklagen das "unerlaubte Kreditgeschäft" und ordnete die Rückabwicklung an. Es überprüft offenbar allerdings niemand, ob die Deutsche Rücklagen ihr Kreditgeschäft tatsächlich abwickelt. Die BaFin sieht hier vor allem den Geschäftsführer der Deutsche Rücklagen in der Verantwortung, dann den Abschlussprüfer. Erst bei weiteren Hinweisen sei die BaFin zuständig, heißt es auf Anfrage.
Unternehmensnetzwerk vor Zusammenbruch?
Inzwischen ist das Unternehmensnetzwerk in Schieflage: Die Consigma München GmbH, einst mit rund 15.000 Wohneinheiten die größte Hausverwaltung der Consigma-Gruppe, ist im Insolvenzverfahren. Am Standort München ist niemand anzutreffen. Mehrere Standorte der Consigma-Gruppe stehen zwar im Handelsregister, vor Ort war aber ebenfalls niemand anzutreffen.
Am Firmensitz der DR Deutsche Rücklagen GmbH in München ist lediglich ein Briefkasten angebracht, der offenbar selten geleert wird. Eine Klingel gibt es nicht.
Schlüsselfiguren ziehen sich zurück
Noch vor einem Jahr stand auf der Website der Deutsche Rücklagen, dass zwei Männer das Unternehmensnetzwerk maßgeblich steuern würden: Dr. U. und ein weiterer Manager, M. Zudem wurden nicht nur personelle, sondern auch wirtschaftliche Verflechtungen offengelegt. All diese Angaben finden sich nicht mehr auf der Homepage. Beide Manager haben in den vergangenen Monaten Geschäftsführerposten niedergelegt und sich auf Gesellschafterebene zurückgezogen. Unter ihrem Management waren die Ersparnisse von WEG zur Deutsche Rücklagen geflossen.
Daniel Bauer von der Schutzvereinigung der Kapitalanleger (SDK) bewertet dies kritisch: "Wenn man sich die Geschäftsführerwechsel, gleichzeitig die Gesellschafterwechsel anschaut, dann ist das ein Zeichen, dass hier größere wirtschaftliche Probleme herrschen, und die Verantwortlichen jetzt lieber nichts mehr damit zu tun haben möchten."
M. – bis vor wenigen Monaten Geschäftsführer der Deutsche Rücklagen - erklärt auf Anfrage, er sei nicht mehr zuständig. Zudem sei er als früherer Geschäftsführer über Geschäftsvorgänge aus seiner Amtszeit zum Stillschweigen verpflichtet. Er verweist an die aktuelle Geschäftsführung, die aber antwortet nicht.
Consigma Holding AG an britische Limited verkauft
Im Transparenzregister stoßen Reporter von BR und hr darauf, dass die Consigma Holding AG mit Sitz in Wiesbaden bereits im April an eine britische Limited verkauft wurde. Die CL Stripe 101 Capital Ltd. ist nicht nur alleinige Gesellschafterin des Hausverwaltungskonzerns. Ihr gehören weitere Firmen in Deutschland: Die Bandbreite reicht von Restaurants mit Lieferdienst, einem IT-Dienstleister, In- und Export- und Beratungsfirmen bis hin zu Juweliergeschäften in Karlsruhe und Baden-Baden.
Anlegerschützer Daniel Bauer schätzt die Rechercheergebnisse so ein: "Es bestätigt die Vermutung, dass es sich dabei um eine Gesellschaft handelt, die eher für Unternehmen zuständig ist, die sich in Abwicklungen, Auflösungen oder vor der Insolvenz befinden. Die eben dieses Unternehmen erwirbt, wenn die Gesellschafter damit nichts mehr zu tun haben möchten."
Ging die Consigma Holding AG an einen Firmenabwickler?
Neuer Vorstand der Consigma Holding AG ist W., der Geschäftsführer der Limited. In Deutschland stoßen die Reporter von BR und hr auf mehr als 40 Firmen, die Limiteds gehören, die W. zuzuordnen sind. Einige von ihnen sind inzwischen aufgelöst. Weder W. noch die Eigentümerin der Limited reagieren auf Anfragen. Dr. U. – bis vor wenigen Monaten selbst Vorstand der Consigma Holding AG – verweist an seinen Nachfolger W. Auch er hat auf Anfragen von BR und hr nicht reagiert.
Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln
BR und hr liegen inzwischen mehr als 20 Strafanzeigen von WEG, einzelnen Eigentümern und Rechtsanwälten vor. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln, darunter Wiesbaden, Frankfurt am Main, Mainz und Stuttgart. Darmstadt prüft. In München liegt bisher keine Strafanzeige gegen die dort ansässige DR Deutsche Rücklagen GmbH vor, sodass die Staatsanwaltschaft München I bisher nach eigenen Angaben nicht involviert ist.
Die strafrechtliche Aufarbeitung erscheint schwierig, schnelle Ergebnisse sind nicht in Sicht. Auffällig ist: Die Staatsanwaltschaften ermitteln getrennt zu einzelnen Fällen, das Unternehmensnetzwerk als Ganzes ist offenbar nicht Gegenstand der Ermittlungen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Anlegerschützer Daniel Bauer mahnt, dass die Staatsanwaltschaften in dem Fall Consigma und Deutsche Rücklagen die entscheidende Rolle spielen: "Je schneller die Staatsanwaltschaften ermitteln, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie auch noch den ein oder anderen Euro finden und dann auch für die Gläubiger sichern können."
Bis Redaktionsschluss melden sich weitere WEG bei BR und hr – auch sie wollen ihre Ersparnisse zurückfordern.
Wenn Sie Missstände melden wollen, können Sie sich per Mail an das Investigativteam des Bayerischen Rundfunks wenden: brrecherche@br.de
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