Eva Ehrlich hatte schon damit gerechnet. "Mein erster Gedanke war: Jetzt ist es in München so weit", sagt sie am Tag nach dem Anschlag. Sie ist Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom. Als die Schüsse am Donnerstag in der bayerischen Landeshauptstadt fallen, erzählt sie, verstärkt die Polizei sofort die Kräfte vor ihrem Gemeindehaus, keiner darf mehr rein oder raus: Lockdown. Die israelischen Sicherheitskräfte warnten schon seit vielen Monaten, dass israelische und jüdische Einrichtungen in Europa angegriffen würden. Ehrlich sagt: "Es war eigentlich zu erwarten."
"Was war tatauslösend?" - Noch viele Fragen offen
Dabei sind sich die Ermittler noch gar nicht sicher, warum der 18-jährige Angreifer aus Österreich am Donnerstag auf mehrere Gebäude um den Münchner Karolinenplatz gefeuert hat – und ob er sich diese gezielt ausgesucht hatte.
Am Tag nach der Tat sitzt Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann auf einem Podium im Münchner Polizeipräsidium. Als Chefin der bayerischen Spezialeinheit ZET, die Terrorismus und Extremismus in Bayern bekämpft, will sie der Öffentlichkeit Fragen zur Tat beantworten und zeigt, dass es derzeit noch mehr Fragen gibt, als sie beantworten kann. "Was war tatauslösend?", fragt sie. "Was hat den Täter zur Tat veranlasst? War er in ein Netzwerk eingebunden, in ein echtes oder in ein virtuelles?" Ein ganz wichtiger Punkt sei aber auch, ob der Täter, auch wenn er in München allein gehandelt habe, irgendwelche Mittäter, Helfer, Unterstützer oder ob er auch nur Mitwisser hatte.
Kein Bekennerschreiben
Ein Bekennerschreiben oder eine andere Botschaft des Täters gebe es bislang nicht. Der 18-Jährige wohnte bei seinen Eltern im Salzburger Land. Noch am Tattag hatten die österreichischen Behörden das Haus durchsucht. Sein Handy, das er bei der Tat dabeihatte, ist schwer beschädigt.
Das Auto, mit dem er am Morgen von Österreich nach München fuhr, ist beschlagnahmt. "Kann sein, dass die [Botschaften des Täters] im Rahmen der Auswertung seiner elektronischen Daten, seiner Unterlagen noch auftauchen", sagt die Leitende Oberstaatsanwältin Tilmann.
Täter hat sich islamistisch radikalisiert
Fakt sei: Der 18-Jährige habe in München mindestens neun Schüsse abgegeben, zwei davon auf das NS-Dokumentationszentrum und zwei auf das israelische Generalkonsulat – und das am Jahrestag des Olympiaattentats von 1972, bei dem ein Großteil der israelischen Olympiateilnehmer ermordet wurde. Und das zweite Faktum: Der Täter habe sich in den letzten Jahren islamistisch radikalisiert. Die Staatsanwältin bezieht sich dabei auf Ermittlungen der österreichischen Behörden aus den Jahren 2021 bis 2023.
In dieser Zeit haben die Behörden in Österreich den 18-Jährigen verdächtigt, sich unter anderem für den Bau von Bomben interessiert und sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, indem er in einem Computerspiel islamistische Gewaltszenen darstellte. Die Vorwürfe konnten die Behörden allerdings nie nachweisen. Sie stellten die Ermittlungen vor über einem Jahr ein.
Islamistische Inhalte auf Tiktok und Instagram
Wie konnte die Tat in München jetzt, am 5. September 2024, passieren – und warum? "Leider habe ich auch keine Erklärung dafür", sagt Jamuna Oehlmann. Sie arbeitet für einen Verein, der sich Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus nennt. "Aber wir beschäftigen uns natürlich damit, warum sich Menschen radikalisieren."
Das Internet spiele eine große Rolle. 50 Prozent aller Jugendlichen kommen dort nach Erkenntnissen von Experten mit islamistischen Inhalten in Berührung, sagt sie. Gerade durch Tiktok und Instagram sei in den letzten Jahren sehr viel islamistischer Content ins Netz gestellt worden. Islamistische Akteure wüssten das Gefühl von Isolation und Unsicherheit bei jungen Menschen für sich zu nutzen und könnten einfache Antworten bieten auf eine komplexe Welt. Am wichtigsten sei hier die Präventionsarbeit.
Suche nach dem Motiv
Nach dem Anschlag in München stehen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach dem Motiv des 18-jährigen Täters noch am Anfang. Aber es gibt eine Hypothese. "Ich nenne es bewusst Hypothese", sagt Tilmann, "dass der Täter islamistisch beziehungsweise antisemitisch motiviert gehandelt hat". Aber das müsse jetzt überprüft werden, im Rahmen der Ermittlungen, so Tilmann, auf verschiedenen Wegen.
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