Am 07. Oktober entzündete sich der Flächenbrand - nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland - und Bayern. An jenem Tag überfiel die Terrororganisation Hamas Israel und richtete ein Massaker an, bei dem nach israelischen Angaben rund 1.200 Menschen getötet wurden.
Das Ereignis trieb viele pro-palästinensische Kräfte auch in Bayern auf die Straße, weil sich in der Folge Israel wehrte und im Gaza-Streifen einmarschierte. Bis heute dauert der Kampf. Israel wird für sein Vorgehen inzwischen international kritisiert. Auch die USA registrierten zuletzt "schwere Menschenrechtsverletzungen" gegen palästinensische Zivilisten im Westjordanland.
Attacken auf Synagogen in Bayern
Trotz aller Kritik an Israel: Für Stellen, die etwa auch in Bayern Antisemitismus bekämpfen, ist es ein wichtiges Anliegen, auf jene Kräfte hinzuweisen, die auf der Straße oder im Netz gegen Israel und Juden hetzen. Die Zahl antisemitischer Straftaten in Bayern ist im vergangenen Jahr nochmals deutlich höher gestiegen als zuletzt angenommen: Insgesamt 589 Taten wurden im Jahr 2023 registriert - ein neuer Rekordwert. Das geht aus einer aktuellen Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Landtags-Grünen hervor, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.
Unter den 589 Taten waren 15 Gewalttaten mit 26 registrierten Opfern. 15 Taten richteten sich gegen jüdische Einrichtungen und Synagogen. Darunter war ein versuchter Brandanschlag auf eine Synagoge in Oberfranken Anfang 2023.
Anfang Februar war noch von einer Gesamtzahl von 538 registrierten antisemitischen Straftaten die Rede gewesen. Damals hatte der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) bereits mitgeteilt, seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober sei die Zahl deutlich nach oben geschnellt. Tatsächlich wurde nach den neuen Ministeriumszahlen ein Großteil der Taten (366) im letzten Quartal registriert.
Fast 400 Fälle konnten aufgeklärt werden
Zum Vergleich: Im bisherigen Rekordjahr 2021 waren im Freistaat 510 antisemitische Straftaten gezählt worden, im Jahr 2022 waren es 358 gewesen.
Von den 2023 registrierten 589 antisemitischen Straftaten konnten laut Innenministerium 369 Fälle polizeilich geklärt werden. Dabei seien 397 Tatverdächtige erfasst worden. Mehr als die Hälfte der Delikte wurde rechtsextremen Tätern zugeordnet. Unter den Antisemiten befinden sich aber auch Linksextreme und Islamisten. Dabei geht es insbesondere den Verfassungsschützern nicht um Straftaten allein, sondern auch um die Ideologie, die verbreitet wird.
Problem mit Islamisten
Im Fokus auch der Bayerischen Verfassungsschützer sind etwa Unterstützer der "Hizb ut-Tahrir", die 2003 in Deutschland verboten wurde. Laut Verfassungsschützern will sie den Staat Israel vernichten. In Deutschland gibt es Organisationen, bei denen Verfassungsschützer davon ausgehen, dass sie der Hizb ut-Tahrir nahestehen. Namentlich Generation Islam, Realität Islam und Muslim Interaktiv verbreiten laut Bayerischem Verfassungsschutz antisemitische Positionen, auch wenn diese behaupteten nur "Kritik" an Israel zu äußern. Sogar Demos wurden organisiert.
Auffällig ist auch, dass zuletzt Moscheegemeinden wegen Verbreitung von Antisemitismus in den Fokus rückten. Darunter waren einschlägig bekannte Moscheen, wie das seit Jahren als islamistisch eingestufte Islamische Zentrum in Weiden. Das habe sich in mehreren Freitagspredigten antisemitischer Feindbilder bedient, heißt es im erst kürzlich veröffentlichten Bericht 2023 (externer Link) des bayerischen Verfassungsschutzes.
Mutmaßlich Antisemitismus registrierten die Sicherheitsbehörden aber auch bei Moscheen, die nicht im Verfassungsschutzbericht auftauchen.
Thema Terrorfinanzierung
Zudem stellt sich die Frage, ob die ein oder andere Spende den Islamisten in Gaza zugutekommt. So gibt es die verrücktesten Wege: Ein aus Deutschland bekannter Islamist kämpft aktuell für Islamisten in Idlib im Nordwesten Syriens. Nach BR24-Recherchen bittet er seit Jahren via Messengerdienst Telegram auch Daheimgebliebene in Deutschland um Spenden. Schon seit Monaten bat er auch um Spenden für Kämpfer aus Gaza. Nun verkündete er stolz, das Geld sei angekommen - inklusive Dankesvideo der Islamisten.
"Zwar sind Ausreisen in Richtung Gaza aufgrund der fehlenden Routen äußerst unwahrscheinlich. Allerdings könnten sich Spendennetzwerke bilden, die die Hamas und auch andere Gruppierungen bei ihrem Kampf unmittelbar unterstützen", schreibt der auf Islamismus spezialisierte Fachblog "Erasmus Monitor" (externer Link) zum Fall.
Grüne: Es muss mehr getan werden
Der 07. Oktober wird von Experten als ein Trigger-Ereignis für Extremisten jeglicher Couleur beschrieben. Judenhass wird öffentlich ausgelebt. Im Fokus der Ermittler sind auch die Demonstrationen, etwa in München, an denen laut Verfassungsschützern vor allem Personen aus dem linksextremen Spektrum teilnehmen.
"In Bayern passiert jeden Tag mindestens eine antisemitische Straftat", klagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze und mahnte: "Es darf nicht sein, dass Jüdinnen und Juden sich nicht mehr sicher fühlen." Deshalb müsse mehr getan werden. "Wir müssen den Judenhass aus unserer Gesellschaft verbannen." Die Staatsregierung müsse ein detailliertes Lagebild vorlegen, und: Der Fahndungs- und Ermittlungsdruck müsse erhöht werden. Der Sprecher der Grünen für Strategien gegen Rechtsextremismus, Cemal Bozoglu, nannte die neuen Rekordwerte erschreckend. Man müsse "alle repressiven und präventiven Instrumente nutzen, um den wachsenden Antisemitismus in der Gesellschaft einzudämmen".
Schulze: Viele Verfahren verlaufen im Sande
Die Grünen beklagen auch, dass bei der strafrechtlichen Ahndung antisemitischer Straf- und Gewalttaten in Bayern viele Verfahren im Sande verliefen. Bei Urteilen bayerischer Gerichte nach antisemitischen Straftaten kam es 2023 zu 149 Geldstrafen, 23 Freiheits- oder Jugendstrafen und 36 Maßregeln nach dem Jugendstrafrecht sowie zu zwei Freisprüchen. Darunter können aber auch Verfahren zu Straftaten vor Jahresbeginn 2023 sein. Die Zahlen gehen ebenfalls aus der Antwort der Staatsregierung auf die Grünen-Anfrage hervor.
"Viele Verurteilungen fallen unter das Jugendstrafrecht", erklärte Schulze und forderte: "Es braucht mehr Investitionen in Bildung und Aufklärung in den Schulen und außerhalb."
Antisemitisch motivierte Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsschwelle werden von der bayerischen Polizei nicht statistisch erfasst. Dazu werden voraussichtlich an diesem Montag Zahlen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern erwartet. Die Frage ist auch, was gegen Antisemitismus unternommen werden kann. Eine Möglichkeit sind mehr Aufklärungsprojekte, in denen auch deutsche Geschichte, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Folgen, an die Jugendlichen herangetragen wird.
Mit Informationen von dpa.
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