Paukenschlag kurz vor den Plädoyers: Im Prozess um den mutmaßlichen Mord an der 23-jährigen Hanna W. aus Aschau im Chiemgau am Landgericht Traunstein hat die Verteidigung einen Antrag wegen Befangenheit gestellt. Das bestätigte die Sprecherin des Gerichts, Cornelia Sattelberger, auf BR-Anfrage. Der Antrag richte sich gegen alle drei Berufsrichter, die an dem Prozess beteiligt sind.
Vorwurf: Gericht schon festgelegt
Bei dem Antrag geht es vor allem um einen E-Mail-Verkehr von Anfang des Jahres. Die Mails finden sich in einem Teil der Prozessakten, in die die Verteidigung erst in der vergangenen Woche Einblick genommen hat, wie Verteidigerin Regina Rick im Gespräch mit dem BR erklärte. Die Münchner Anwältin sieht in den E-Mails zwischen der Vorsitzenden Richterin und einem der beiden prozessbeteiligten Staatsanwälte Hinweise darauf, dass sich das Gericht bei seiner Beurteilung der Geschehnisse schon festgelegt habe – bevor die Beweisaufnahme abgeschlossen war. Aus Ricks Sicht legen die E-Mails nahe, dass sich Gericht und Staatsanwaltschaft abgesprochen hatten.
Bei diesen Absprachen sei es zum einen um den "Sachverhalt" gegangen, also darum, wie sich die mutmaßliche Tat des Angeklagten abgespielt habe. Zum anderen hätten sich Gericht und Staatsanwaltschaft über die "rechtliche Würdigung" unterhalten, also wie die angenommenen Taten rechtlich einzuordnen seien. Auch dies würde dafür sprechen, dass sich das Gericht bereits festgelegt habe, obwohl das Verfahren noch laufe, sagte Rick.
Entscheidung fällt vermutlich kommende Woche
Die Sprecherin des Landgerichts, Cornelia Sattelberger, will die Vorwürfe nicht kommentieren. Sie bestätigt lediglich, dass sich der Befangenheitsantrag auf eine E-Mail-Korrespondenz zwischen der Vorsitzenden Richterin und einem Staatsanwalt bezieht. Der Antrag werde nun von der zuständigen Vertretungskammer am Landgericht Traunstein geprüft. Sollten sich nachvollziehbare Gründe für die Besorgnis der Befangenheit finden, müsste der Prozess von einer anderen Kammer neu aufgerollt werden. Die Entscheidung über den Antrag werde vermutlich in der kommenden Woche fallen.
Die Erfolgsaussicht des Antrags sind noch unklar. Grundsätzlich müsste jeder Einzelfall geprüft werden, so Gerichtssprecherin Sattelberger. Allerdings habe ein solcher Antrag hohe Hürden. Es würde beispielsweise nicht ausreichen, dass sich Richterin und Staatsanwalt duzten.
Verteidigung: Hannas Tod durch Unfall
Das Verfahren hatte im Oktober vergangenen Jahres begonnen. Ursprünglich sollte schon vor Weihnachten ein Urteil fallen. Jetzt könnte sich der Prozess weiter verzögern. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 22-jährigen Angeklagten vor, die Medizinstudentin Hanna W. am 3. Oktober 2022 beim Joggen aus sexuellen Motiven von hinten überfallen, niedergeschlagen und anschließend in einen Bach geworfen zu haben. Laut Obduktion ertrank die Studentin.
Die Verteidigung hatte zuletzt zehn weitere Beweisanträge gestellt. Sie will damit unter anderem beweisen, dass Hannas Tod auch durch einen Unfall erklärbar wäre. Die Sachverständigen, die bisher befragt wurden, hatten das für unwahrscheinlich erklärt.
Regina Rick war erst rund einen Monat nach Prozessbeginn als dritte Verteidigerin von der Familie des Angeklagten hinzugezogen worden. Sie hatte zuletzt mit ihrer Rolle als Verteidigerin im sogenannten Badewannenmordprozess für Aufsehen gesorgt. Der wegen Mordes verurteilte Manfred Genditzki war nach 13 Jahren Haft unter anderem wegen neuer Gutachten freigesprochen worden.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!