Von unten wirken sie ganz klein. 50 Meter über dem Boden hängen die Monteure mit ihren fahrbaren Körben in den Seilen der Höchstspannungsleitung. Sie setzen Abstandshalter ein, damit die neuen Seile bei Wind nicht aneinanderschlagen. Unten macht sich jetzt Bauleiter Ulf Spieth bereit, um rauf in den Mast zu klettern und die Arbeiten zu kontrollieren. Er legt seinen Klettergurt an und prüft noch einmal, ob alles sitzt. Sicherheit hat oberste Priorität.
Arbeiter müssen gut gesichert sein
"Man muss immer mit einem Punkt am Mast gesichert sein", sagt der Bauleiter der Anlagenbaufirma Cteam. Entweder mit einem der beiden großen Karabiner, die er an seinem Gurt trägt. Oder mit dem Läufer, den er an einem Sicherungsseil am Mast einhängt. "Dann kann auch nichts passieren", versichert der 66-Jährige und klettert kurz darauf routiniert auf den 60 Meter hohen, grau-grünen Höchstspannungsmast.
Grüne Fahne zeigt: Kein Strom auf der Leitung
"Jetzt kommt es darauf an, dass man schaut, wo man hintritt und sich richtig festhält", erklärt Ulf Spieth. Nach nicht einmal zwei Minuten hat er den ersten Querträger erreicht und klettert vorsichtig auf die Traverse. Auf den dünnen Streben schiebt er sich Schritt für Schritt seitwärts, zieht die Karabiner nach, hängt sie abwechselnd aus und wieder ein. Hektik ist hier fehl am Platz. Und der Blick auf die grüne Fahne, die neben ihm links am Mast weht, ist überlebenswichtig.
220.000 Volt auf der anderen Mastseite
"Die grüne Fahne zeigt, dass hier spannungsfrei ist und dass wir hier arbeiten können." Auf der anderen Mastseite, wo keine grüne Fahne weht, liegt Höchstspannung an. 220.000 bis 380.000 Volt. "Bei einem Abstand unter zwei Metern wäre das tödlich", sagt der Bauleiter. Fehler darf hier oben also keiner machen.
Trotz Sanierung muss der Strom fließen
Um die Stromversorgung sicherzustellen, kann die Höchstspannungsleitung nicht einfach ganz abgeschaltet werden, erklärt Niklas Tenberge, Sprecher des Netzbetreibers Aprion. Die richtigen Zeitfenster für Arbeiten zu finden, sei eine Herausforderung: "Das ist ein Riesenaufwand und von langer Hand geplant. Da müssen wir mit unserer Hauptschaltleitung immer ganz minutiös abstimmen, wann wir einen der Stromkreise stromfrei schalten können." Trotzdem könne es immer sein, dass kurzfristig Bedarf angemeldet wird und ein Stromkreis wieder in Betrieb genommen werden muss. "Dann muss die Baustelle – zumindest was die Höhenarbeiten oben im Mast angeht - unterbrochen werden", sagt der Unternehmenssprecher.
Auch das Wetter muss passen
Nach 60 Jahren muss die Höchstspannungsleitung zwischen der österreichischen Grenze bei Füssen und Vöhringen im Landkreis Neu-Ulm auf 110 Kilometern Abschnitt für Abschnitt saniert werden. Masten und Fundamente werden verstärkt, die Leiterseile komplett ausgetauscht. Der Zeitplan ist straff. Und auch das Wetter muss mitspielen. "Solange es nicht regnet und windet, macht es mir und den Kollegen Spaß", sagt Bauleiter Ulf Spieth. Bei schlechtem Wetter und vor allem Gewitter geht auf der Baustelle aber gar nichts mehr. Blitz, starker Regen und Wind werden auf den Masten schnell zur tödlichen Gefahr.
Nur Profis dürfen an den Mast
Für die Arbeiten in luftiger Höhe kommen deshalb nur Spezialisten zum Einsatz. Die Sicherheitsanforderungen sind hoch. "Das ist eine sehr spezifische Ausbildung, die man da durchlaufen muss", sagt Amprion-Sprecher Tenberge. "Man muss immer im Training bleiben und natürlich immer schauen, dass alle Handgriffe sitzen. Sicherheit ist das oberste Gebot."
Klimawandel macht auch der Stromleitung zu schaffen
Bei der laufenden Sanierung geht es nicht nur darum, die Höchstspannungsleitung fit zu machen für die nächsten Jahrzehnte. Die Strom-Autobahn soll auch gewappnet sein für den Klimawandel: Zunehmende Wetterextreme machen auch den Leitungen zu schaffen. "Gerade hier im Allgäu sehen wir steigende Wind- und Eislasten", erklärt Unternehmenssprecher Tenberge. "Das hat zur Folge, dass wir auch die Fundamente sanieren und den Maststahl verstärken müssen, um die Standsicherheit gewährleisten zu können."
Seit 43 Jahren in der Höhe: "Das ist eine Sucht"
Bauleiter Ulf Spieth arbeitet schon seit 43 Jahren in und an Stromleitungen. Den Respekt vor der Arbeit dürfe man nie verlieren, sagt der 66-Jährige. Während andere in seinem Alter längst ihren Ruhestand genießen, will er die Arbeit nicht missen. "Weil das eine Sucht ist und ich immer froh sein kann, wenn ich draußen an der frischen Luft bin und ab und zu einen Mast hochgehe."
145 Millionen für die Sanierung
Seit 2021 laufen die Sanierungsarbeiten an der Leitung zwischen Vöhringen und Füssen. Der Netzbetreiber Amprion investiert nach eigenen Angaben 145 Millionen Euro. Bis 2025 soll die Sanierung abgeschlossen sein.
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