Joseph Sporrer hebt das Sitzteil eines Sofas auf seine Werkbank. Fast liebevoll streicht er über den roten, samtigen Stoff und tackert ihn ans Holz. "Es darf, wenn man sich hinsetzt, keine Spannung entstehen. Aber wenn man‘s richtig macht, dann gibt’s keinen Ärger."
Hier draußen auf der Terrasse seiner Werkstatt im niederbayerischen Loitzendorf arbeitet er am liebsten – auch an diesem kühlen Herbsttag. Sporrer ist Polsterer aus Leidenschaft. Er werkelt nahezu täglich. "Abends meist bis 22 Uhr. Dann machen wir pünktlich Feierabend", sagt der Handwerker lachend. Mittlerweile betreut er außerdem seine parkinsonkranke Frau. Ein ordentliches Pensum, vor allem, wenn man bedenkt, dass Sporrer bereits 82 Jahre alt ist.
"Arbeiten ist Lebensqualität"
Der Polsterer weiß, dass er mehr Ausnahme als Regel ist. "Bei mir ist es als Selbstständiger sehr einfach. Gerade auch in diesem Beruf. Aber manche, die körperlich schwer arbeiten, die haben ja Bandscheibenschäden und so weiter. Das habe ich alles nicht." Es gebe natürlich Beschwerden, zum Beispiel dieses Zittern in den Händen, aber das sei kein Problem.
Auch finanziell sieht sich Sporrer im Vorteil. Andere Menschen seien in der Rente auf einen Zuverdienst angewiesen. "Ich habe ja keinen Stress. Arbeiten ist in meinen Augen Lebensqualität. Für mich steht das Geld bei der Arbeit nicht im Vordergrund."
Die Gründe der erwerbstätigen Rentner
Am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg haben Demografen wie Annette Trahms analysiert, wie sich die Erwerbstätigkeit nach Renteneintritt in Deutschland entwickelt hat.
Die Zahl der erwerbstätigen Rentner sei in den letzten Jahren tatsächlich stark gestiegen. Mittlerweile würde ein Viertel aller Deutschen nach Renteneintritt zumindest noch drei Jahre weiterarbeiten. "Ungefähr 90 Prozent arbeiten, weil sie Spaß daran haben, weil sie den Kontakt zu anderen Menschen brauchen und weil sie weiterhin eine Aufgabe wünschen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele Menschen auch arbeiten, weil sie darauf angewiesen sind", so Trahms.
70 Prozent der Frauen und über die Hälfte der Männer gaben laut IAB finanzielle Gründe für ihre Erwerbstätigkeit nach Renteneintritt an. Allerdings seien es vor allem Selbstständige und Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss, die neben der Rente weiterarbeiten würden. Ehemalige Angestellte hätten es schwer, eine adäquate Stelle zu finden.
"Mit dem Sarg aus der Werkstatt"
Zurück im Landkreis Straubing-Bogen bei Joseph Sporrer. Der 82-Jährige läuft von seiner Werkstatt über den Hof zu einem weiteren Haus. Hier befindet sich das Gardinengeschäft der Familie. Sporrers Sohn Florian leitet den Betrieb, unterstützt seinen Vater aber auch in der Polsterei.
Der 45-Jährige weiß aber noch nicht, ob er so lange arbeiten kann und will wie sein Vater. "Man wird schon irgendwann im Alter gemütlicher machen, aber es ist vielleicht auch eine heilige Gnade, wenn man so lange arbeiten kann. Und es kommt darauf an, was die nächste Generation treibt", beschreibt Florian Sporrer mit Blick auf seine Kinder und zeigt dann nochmal auf seinen Vater: "Er gehört wahrscheinlich zu den Leuten, die einmal mit dem Sarg aus der Werkstatt getragen werden." Beide müssen lachen.
Florian und Joseph Sporrer sind sich einig, dass wir alle zukünftig länger arbeiten werden müssen – allein wegen des demografischen Wandels und der sich leerenden Rentenkassen.
"Das wäre eine kleine Katastrophe"
Neben Polsterei und Gardinengeschäft bewirtschaften sie auch noch einen Wald mit Kirschbäumen. Auch da ist das 82-jährige Familienoberhaupt noch aktiv. Immer sonntags bei der Astpflege, wie er sagt. Doch was ist, wenn er einmal nicht mehr arbeiten kann? "Nicht gut! Das wäre gar nicht gut. Also vor so etwas habe ich eigentlich Angst. Das wäre für mich schon eine kleine Katastrophe."
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