Sieg, Frieden, Kapitulation: Welche Zukunft hat die Ukraine? Seit zweieinhalb Jahren wehrt sich das Land gegen den Aggressor Russland. Welche Chancen hat der Weg der Diplomatie? Inwieweit wird der Ausgang der US-Wahl den Krieg beeinflussen? Und ist die Angst der Jugend vor einem Ausgreifen des Kriegs nach Westen begründet? Antworten liefert Nico Lange im BR24-Herbst-Interview für "Possoch klärt" (Video oben, Link unten).
Lange ist Senior Fellow für die Zeitenwende-Initiative der Münchner Sicherheitskonferenz. Davor hat er unter anderem für die Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine und den USA gearbeitet und war Leiter des Leitungsstabs im Verteidigungsministerium unter Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).
BR24: Welchen Wert hat die Diplomatie überhaupt noch in diesem Krieg?
Nico Lange: Diplomatie ist Diplomatie und keine Zauberei. Es ist eine naive Vorstellung, dass man nur miteinander redet und dann sind die Konflikte gelöst. Putin hat das außer Kraft gesetzt, indem er die Ukraine überfallen hat. Und er hat gesagt, er will nicht reden, er will die Ukraine zerstören, und jetzt muss man ihn aufhalten, damit er zurückkommt an den Tisch. Und deswegen muss man weiter die Ukraine so unterstützen, bis Putin an den Verhandlungstisch zurückkommt. Die Wahrheit ist: Es gibt sehr viele, die immer wieder versucht haben vor Kriegsbeginn, seit Kriegsbeginn und auch jetzt, mit Wladimir Putin zu sprechen, der sagt: Ich will die Ukraine vernichten, ich will überhaupt nicht reden. Und deswegen muss man weiter die Ukraine so unterstützen, bis Putin an den Verhandlungstisch zurückkommt.
BR24: Wer sitzt denn am Ende am Verhandlungstisch? Selenskyj und Putin in einem Raum ist ja kaum vorstellbar.
Lange: In jedem Fall: die Ukraine, Russland und die Partner der Ukraine, möglicherweise auch noch andere Staaten. Russland und die Ukraine brauchen Hilfe dabei, miteinander zu reden. Aber es muss doch klar sein: worüber redet man und auf welcher Grundlage? Und das ist zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht geklärt, weil Russland auf seinen Maximalzielen, also der Vernichtung der Ukraine, die Absetzung der ukrainischen Regierung beharrt. Da muss es im Moment immer noch Druck auf die russische Seite geben, damit Reden überhaupt möglich wird.
BR24: Zeitgleich tobt der Krieg so heftig wie eh und je: Ein hoher ukrainischer Militär hat Berichte von großen Problemen an der Donezk-Front bestätigt. Es sei kein Geheimnis, dass die Front dort "zusammengebrochen ist". Und Wolodymyr Selenskyj spricht von einem "Siegesplan" und will eine Einladung in die Nato. Auch er scheint wenig verhandlungsbereit?
Lange: Das kann man nicht miteinander vergleichen. Die Ukraine wurde überfallen und man kann ja den Überfallenen nicht sagen: "Jetzt musst du aber mal Kompromisse machen", und selbst dafür müsste man übrigens Putin stoppen und dann ist auch die Frage ungeklärt, wie sichert man eigentlich zum Beispiel so ein Waffenstillstand? Ich finde es nachvollziehbar, dass Selenskyj sagt: Wir als Ukraine müssen Russland stoppen können und dann brauchen wir eine langfristige Sicherheitsordnung, auf die wir uns verlassen können.
"Ich verstehe jeden, der Angst hat"
BR24: 81 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sagen, ihre größte Sorge ist ein Krieg in Europa. Das war ein Ergebnis der Shell-Studie. Und wenn man bedenkt, Soldaten aus Nordkorea könnten bald für Russland in der Ukraine kämpfen, ist das ein Schritt näher Richtung Weltkrieg?
Lange: Ich verstehe jeden, der Angst hat. Und wenn man Bilder von Krieg sieht, dann macht einem das Angst. Und gleichzeitig mussten die Ukrainer ihre Angst überwinden, um ihre Heimat zu verteidigen. Das sind die Betroffenen von diesem Krieg und nicht wir, so sehr auch mancher Angst haben mag. Angst ist in der Politik sehr gefährlich, weil sie häufig dazu führt, dass man nicht mehr rational handelt, dass man nicht mehr klar denken kann. Am besten bekämpft man Angst mit Klarheit, Orientierung und Wissen. Da müsste die Bundesregierung mehr liefern.
Im Video: Sieg, Frieden, Kapitulation: Welche Zukunft hat die Ukraine? Possoch klärt!
Frieden ohne die USA? "Europa muss nur wollen!"
BR24: Am 5. November wählen die USA, danach fällt die Entscheidung Harris oder Trump. Wird das einen Einfluss auf einen möglichen, baldigen Frieden haben?
Lange: Es ist ein Armutszeugnis für die Europäer, dass sie jetzt wieder nur gebannt auf die USA starren können. Schaut man auf die Karte ist klar, wer eigentlich verantwortlich sein müsste, für Sicherheit in Europa zu sorgen: Wir! Und die wirtschaftliche Kraft, die technologische Kraft und die finanzielle Kraft der großen europäischen Nationen ist allemal groß genug, um in Europa selbst für Sicherheit zu sorgen. Das muss man eben wollen. Klar ist auf jeden Fall, dass ein weiteres Engagement der Amerikaner in Europa, egal, wer Präsident oder Präsidentin sein wird, dauerhaft nur möglich sein wird, wenn die Europäer deutlich mehr machen als sie das bisher tun.
"Einfach nur Frieden sagen, das funktioniert nicht"
BR24: Abschließend also nochmal ganz konkret gefragt: Sieg, Frieden, Kapitulation: Welches Szenario ist für die Ukraine wahrscheinlich?
Lange: Ich glaube, wir haben alle schon gemerkt, einfach immer nur "Frieden" sagen und dann darauf hoffen, dass Frieden kommt, das funktioniert nicht. Da kann man sich vielleicht gut fühlen oder so tun, als sei man ein Friedensbefürworter. Es gibt aber weiter Krieg, weil Wladimir Putin diesen Krieg will. Man muss ihn stoppen. Dafür muss man die Ukraine ausrüsten, ausstatten und das ein bisschen schneller tun und entschlossener, als wir das bisher gemacht haben.
Und dann gibt es ein realistisches Szenario, nämlich, dass die Ukraine Russland so unter Druck setzt, dass Putin an den Verhandlungstisch kommt und dass man ihn zurück zum Frieden drängen kann. Wie die Details dieses Friedens aussehen, darüber muss man, glaube ich, zu diesem Zeitpunkt gar nicht spekulieren. Das wird die Ukraine dann selbst entscheiden. Aber wir können beeinflussen, dass es zu diesen Gesprächen überhaupt kommt.
BR24: Danke für das Gespräch.
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