Der dreijährige Ludwig hat Flüssigkeit hinter dem Trommelfell und stark vergrößerte Mandeln. Er hört sehr schlecht, erzählt seine Mutter Anja Böhner im oberbayerischen Starnberg. "Je nachdem, wie weit man von ihm weg steht, kann es sein, dass er nichts mitkriegt." Das Problem: Ludwigs Risiko für Entwicklungsstörungen sowie langfristige Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlafen steigt. Eigentlich könnte ihm mit einer ambulanten Operation schnell geholfen werden. Doch darauf wartet er schon seit fünf Monaten.
HNO-Arzt: "Mein teuerstes Hobby!"
Besonders gravierend ist es mit den Wartezeiten seit 2023. Denn seit einem Beschluss im Dezember 2022 zahlen die Krankenkassen den Hals-Nasen-Ohren-Ärzten weniger für ambulante Kinder-OPs. Oder, wie Ludwigs HNO-Arzt Bernhard Junge-Hülsing die Operationen seitdem nennt: "Mein teuerstes Hobby!"
Für eine klassische Polypen-OP zum Beispiel bekommen HNO-Ärzte rund 137 Euro. Von diesem Betrag müssen sie unter anderem ihr Personal und die OP-Miete bezahlen. Doch für viele niedergelassene Ärzte übersteigt allein schon die OP-Miete das Honorar. Manche bieten deswegen die Operationen gar nicht mehr an.
Kassen: "Null Verständnis für dieses skandalöse Verhalten"
Der "Spitzenverband Bund der Krankenkassen" kritisiert, dass viele HNO-Ärzte weniger oder gar keine Operationen mehr anbieten. Denn, so der Verband, dafür bekommen die Ärzte im Ausgleich für andere Operationen mehr Geld.
Florian Lanz, Sprecher des Krankenkassenverbands, erklärt: "Wir haben null Verständnis für dieses skandalöse Verhalten! Manche HNO-Praxis-Inhaber haben im Monat rund 20.000 Euro Einnahmen für sich persönlich aus der Praxis. Außerdem gibt es Jahr für Jahr Honorarsteigerungen."
Mischkalkulation für HNO-Leistungen
HNO-Ärzte wie Dr. Junge-Hülsing widersprechen den Krankenkassen. Sie sehen keine gute Mischkalkulation in der aktuellen Vergütungssituation. "Wenn wir uns alle dumm und dusselig verdienen würden an gesetzlich versicherten Patienten, dann gäbe es ja keine Wartezeiten!"
Das Krankenkassensystem sei kaputtgespart worden, sagt Junge-Hülsing. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt auf BR-Anfrage, dass die Honorare der HNO-Ärztinnen und Ärzte im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bundesweit um bis zu 7,6 Prozent gestiegen seien.
Ärztliche Vergütung in Selbstverwaltung
Die ambulante ärztliche Vergütung wird in erster Linie von der Selbstverwaltung geregelt. Der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) vereinbaren durch den Bewertungsausschuss eigenverantwortlich den einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen. Die aufsichtsrechtliche Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit habe im Fall der HNO-Operationen keine Mängel ergeben, erklärt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. So wurde der Beschluss nicht beanstandet.
Der dreijährige Ludwig hat nach fünf Monaten endlich seine nötige Operation bekommen. Bei ihm ist zum Glück alles gut gegangen. Doch viele andere Kinder warten noch immer auf ihre Behandlung.
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