"Ich würde gerne Tierärztin werden."
"Ich will einmal Kindern helfen, wenn sie krank sind."
"Das, was Papa macht, interessiert mich: Der ist auf der Baustelle, der macht Fenster - das würde mich interessieren."
Es sind Berufswünsche von Sechstklässlern der Mittelschule Plattling. Ob sie sich erfüllen, weiß heute noch keiner. Erst einmal müssen sie den Berufseinstieg schaffen. Doch der ist schwer. Einige Kinder brauchen deshalb eine besondere Förderung - wie die 15-jährige Aleksandra Panic aus Plattling. Sie kam vor zwei Jahren nach Deutschland, ihre Eltern sprechen kaum Deutsch, kennen das Schulsystem und auch den Arbeitsmarkt nicht.
Berufsbegleitung: Intensiver Kontakt über Schulzeit hinaus
Damit sie weiß, wie sie sich richtig bewirbt und präsentiert, wie sie erfolgreich ihre Abschlussprüfung beendet und Kontakt zu Firmen aufnimmt, ist Berufsbegleiterin Astrid Zitzelsberger-Eller an ihrer Seite. Beide sehen sich wöchentlich, sind in engem Kontakt - nicht nur während der Schulzeit, sondern auch während der Probezeit in der Ausbildung: "Für mich ist das sehr wichtig, ich brauche viel Hilfe für die Vorbereitung. Frau Eller ist immer für mich da, fürs Praktikum, für Bewerbungen, eigentlich für alles", so Aleksandra.
Jährlich 3.500 förderungsbedürftige Jugendliche in Bayern
Die Berufseinstiegsbegleitung ist eine wichtige und intensive Betreuung für förderungsbedürftige Schülerinnen wie Aleksandra, die nur von Begleitern wie Astrid Zitzelsberger-Eller erfüllt werden können. Rund 3.500 förderungsbedürftige Jugendliche in Bayern wurden jedes Jahr durch das Programm begleitet. Doch jetzt wurde das Aus für die Berufseinstiegsbegleitung an Mittelschulen beschlossen.
Kritik vom BLLV
Der Grund: Die EU-Förderung für das Projekt ist ausgelaufen. Eine Fortführung im Etat des Bildungsministeriums kam nicht zustande.
Die Opposition im Landtag forderte die Hälfte der Finanzierung jetzt durch den Freistaat. CSU und Freie Wähler aber begründeten das Nein zur Fortführung mit zu hohen Kosten von 16,3 Millionen Euro pro Jahrgang und verwiesen auf weitere bestehende Programme zum Übergang von Schulen ins Berufsleben. Gerhard Hopp (CSU) musste bei den Haushaltsberatungen im Bayerischen Landtag als Berichterstatter für den Sozialhaushalt das Nein zur Berufseinstiegsbegleitung für leistungsschwache Jugendliche verteidigen, wie er sagte: "Wir bedauern es sehr", so Hopp.
Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrer-Verbands (BLLV), kritisiert das Aus der Berufseinstiegsbegleitung:
"Wir sind sehr enttäuscht, dass die Staatsregierung sich nicht dazu durchringen konnte, die Maßnahme, die wirklich wertvoll ist, weil sie individuell für die Mittelschüler ist - ein `An-die Hand-Nehmen in die Berufswelt hinein´ - dass sie da im Haushaltsausschuss gesagt haben: Nein danke! Das kann nicht sein!" Simone Fleischmann, BLLV-Präsidentin
Lehrermangel an Mittelschulen
Das Aus der Berufseinstiegsbegleitung habe zur Folge, dass vermehrt Lehrer diese Aufgabe übernehmen müssten, heißt es. Und das, obwohl es einen erheblichen Lehrermangel an Mittelschulen gibt.
Das Ministerium lässt bereits Nicht-Pädagogen an Mittelschulen unterrichten, um den Lehrermangel aufzufangen: Voraussetzung für den Quereinstieg in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Mittelschulen ist ein mindestens mit der Note 3,5 in Deutschland abgeschlossenes Master-, Diplom- oder Magisterstudium - Lehramt muss nicht studiert werden. "Quereinsteiger, Zweitqualifizierte - obwohl die Mittelschüler die Besten bräuchten", sagt Fleischmann.
Mehr Schüler an Mittelschulen erwartet
Zudem heißt es in der Bayerischen Lehrerbedarfsprognose 2021 vom Kultusministerium: "Ab der Mitte dieses Jahrzehnts wird außerdem die Schülerzahl an der Mittelschule wieder deutlich zunehmen."
Mehr Schüler an Mittelschulen könnte dann aber auch mehr förderungsbedürftige Jugendliche bedeuten - gerade wenn man die aktuelle Situation in der Ukraine bedenkt: Frauen mit Kindern kommen in Deutschland an. Wie lange der Krieg dauert und ob ukrainische Kinder auch in Deutschland und Bayern in die Schule gehen, ist ungewiss. Sollte dies der Fall sein, steht fest, dass besonders sie auch Hilfe und spezielle Unterstützung brauchen.
Projekt-Aus als Problem für den regionalen Arbeitsmarkt
Aleksandra Panic hatte Glück: Die 15-Jährige erhält noch die intensive Betreuung durch die "Berufseinstiegsbegleitung". Berufsbegleiterin Astrid Zitzelsberger-Eller denkt aber an die nachkommenden Schüler: "Familien, die aus dem Ausland kommen, verstehen das Schulsystem nicht - die bleiben auf der Strecke."
Das Aus des Projekts sei auch eine Belastung für den regionalen Arbeitsmarkt: "Ich habe insgesamt 60 Schüler in die Arbeit vermittelt. Man hat sich hier ein Netzwerk aufgebaut, kann Topf mit Deckel zusammenbringen. Das fällt jetzt weg. Wir suchen Facharbeiter - da wird’s in der Region Probleme geben."
Berufseinstieg: Lehrer, Praktika und Berufsberater
Von der Mittelschule Plattling heißt es, dass die intensive "Berufseinstiegsbegleitung" nicht die einzige Möglichkeit für den Berufseinstieg an Mittelschulen ist. Schulleiter Michael Dobler spricht von Praktika, Kooperationen mit Unternehmen und Berufsberatern. Den Schülern stünden alle Wege nach dem Mittelschulabschluss offen. "Aber der Berufsberater sieht die Schüler nur zwei bis drei Mal. Eine richtige Begleitung ist da nicht möglich."
Aus für "Berufseinstiegsbegleitung": Dämpfer für Mittelschulen
Mittelschullehrerin Judith Pammer aus Plattling will, dass sich die Berufsträume ihrer Sechstklässler dennoch verwirklichen - auch ohne Berufseinstiegsbegleitung: "Wir sind für unsere Kinder da und wir wollen, dass was aus ihnen wird, dass sie einen Beruf finden, der sie erfüllt. Ich glaube, dass es keinen Lehrer gibt, der nicht da ist und nicht alles versucht, jedem Einzelnen zu helfen."
Pammer ist mit Leidenschaft Lehrerin, engagiert. Doch eine so intensive Betreuung wie durch die Berufseinstiegsbegleiter können weder sie noch andere Lehrer für förderungsbedürftige Schüler leisten. Der Wegfall der "Berufseinstiegsbegleitung" ist daher ein Dämpfer für bayerische Mittelschulen. Lehrer und Schüler müssen für den Berufseinstieg jetzt neue Wege finden.
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