Frisch geerntete Karotten: Wegen der Trockenheit sind viele sehr klein.  Nur die wenigsten werden es ins Supermarktregal schaffen.
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Frisch geerntete Karotten: Wegen der Trockenheit sind viele sehr klein. Nur die wenigsten werden es ins Supermarktregal schaffen.

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Ausgemustert: Krumme Karotten kommen nicht in die Tüte

Zu krumm, zu lang, zu dick: Damit eine Karotte ins Gemüseregal im Supermarkt kommt, muss sie strengen Qualitätskriterien standhalten. Mit dem Geschmack hat das oft gar nichts zu tun. Entscheidend sind andere Eigenschaften der gelben Rübe.

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In der Gundelfinger Gartenbauzentrale im Landkreis Dillingen ist gerade Hochsaison. Quasi minütlich bringen Gärtner aus der Umgebung ihre Ernte hierher. Die Gegend um Gundelfingen ist das größte Gemüseanbaugebiet in Schwaben. Spezialisiert haben sich die Gärtner auf Wurzelgemüse wie Karotten, Petersilienwurzeln oder Pastinaken.

Einer der rund 20 Gärtner, die der Genossenschaft angehören, ist Christoph Seifried. Auf einem seiner Felder erntet er Karotten. Auf diesem Feld hat er zum ersten Mal Karotten angebaut und ist jetzt gespannt, wie die Qualität ist. Die Wetterbedingungen waren heuer alles andere als ideal: Er konnte erst spät säen, weil der Boden im Frühjahr wegen des vielen Regens zu nass und deshalb nicht befahrbar war. Als die Samen dann endlich drin waren, war es jedoch zu trocken: Er musste bewässern.

So sind die Samen zumindest gleichmäßig aufgegangen - ein Vorteil, sagt der Gärtner und streicht über die feinen Blätter der Pflanzen. Die stehen dicht und gleichmäßig. "Das bedeutet, es gibt wohl keine Übergrößen, also Karotten, die zu dick sind. Die wären nämlich nicht vermarktbar", sagt der Gärtner. Ohne Bewässerung hätte er heuer wohl einen Komplettausfall gehabt. Allerdings werden die Vorschriften für den Bau und Betrieb von Brunnen immer strenger - die Gundelfinger Gärtner wissen nicht, wie lange sie noch in welchem Ausmaß bewässern dürfen.

20 Gärtner liefern Ernte an die Gartenbauzentrale

Welche Karotten vermarktbar sind, das zeigt sich in der Gartenbauzentrale in Gundelfingen. Von dort aus wird der Lebensmitteleinzelhandel in ganz Süddeutschland beliefert. Dort werden die Karotten zunächst eingelagert, dann sortiert. Wichtig für eine lange Lagerbarkeit ist, dass der Boden bei der Ernte feucht genug ist, sodass Erde am Gemüse hängen bleibt und es quasi wie einen Schutzmantel umgibt. Dann hält das Gemüse in den großen Lagerhäusern bei etwa 0,5 Grad und bis zu 95 Prozent Luftfeuchtigkeit den ganzen Winter über und kann nach und nach in den Verkauf.

An Christoph Seifrieds frisch geernteten Karotten hängt allerdings kaum Erde, es war zu trocken. Deshalb werden die bald in den Verkauf kommen - sofern sie den Qualitätskriterien standhalten. Der Gärtner wirft einen kritischen Blick auf den vollen Anhänger: Die meisten Karotten seien zu klein, außerdem nicht ganz glatt - weil es zu trocken war. Er hält eine angenagte Karotte hoch: Mäuse! Wegen der Trockenheit habe es heuer viele davon gegeben. Er geht davon aus, dass die meisten Karotten deshalb nicht als Speisekarotten in den Handel gehen werden, sondern als Futterkarotten vermarktet werden - zu etwa einem Viertel des Preises.

Zu groß, zu klein, zu krumm: Viele Karotten werden aussortiert

Über Förderbänder gelangen die Karotten in die Sortierhalle der Gartenbauzentrale. Dort ist es sehr laut, kühl und die Luft feucht. Der Geschäftsführer der Gartenbauzentrale, Werner Hopf, beugt sich über eine Holzkiste. "Die nennen wir Schwänz", sagt er und zeigt auf kleine, spitze Karotten. Die wurden aussortiert. Als Snackmöhren wären die eigentlich wunderbar, sagt er und beißt in eine Karotte. "Sie schmecken auch sehr gut". Aber, für die Vermarktung als Snackmöhren sind nur bestimmte Marken zugelassen.

Die größeren Karotten kommen über ein Förderband in den Polierer. Dort werden sie ganz fein gewaschen. Auch das Polieren ist eine Vorgabe des Handels. Das Ziel: Eine schöne Optik, auch wenn die Schale manchmal leicht verletzt wird. Das Karottenwaschwasser, gemischt mit der Erde, die an den Karotten war, wird übrigens in einer betriebseigenen Vorkläranlage aufbereitet – die Erde setzt sich ab und kommt wieder aufs Feld.

Kameras scannen Karotten rundum

Feucht glänzend und blitzsauber geht die Reise der Karotten weiter, zum Videosortierer, dem Kernstück der großen Sortieranlage, deren Förderbänder sich meterweit über die ganze Halle erstrecken. Im Videosortierer begutachten Kameras jede einzelne Karotte rundherum. Der Computer entscheidet dann, auf welches Förderband die Karotten geworfen werden. Dabei kommt es auch auf die Länge und den Durchmesser an: Für die Verpackung in den 1-Kilogramm-Plastikschälchen dürfen die Karotten nicht länger als 22 Zentimeter sein. Bei der Tüte sind die Vorschriften da nicht zu eng. Die schärfsten Kriterien gelten für die Karotten, die unverpackt und lose in den Verkauf gehen. Sie werden von Hand in grüne Kisten gepackt.

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Ausschuss: Karotten, die nur als Futterkarotten vermarktbar sind.

Werner Hopf greift nach einigen Karotten: Eine hat einen Riss, die anderen einen schwarzen Fleck, wieder eine andere hat zwei Wurzeln, die nächste ist etwas gebogen, eine hat einen grünen Kopf: "Das ist alles Ausschuss", sagt Hopf, "das alles geht ins Futter." Insgesamt 11,3 Prozent dieser Charge sortiert der Computer aus. Das sei ein guter Wert, sagt Hopf, später im Winter, wenn die Karotten schon länger eingelagert seien, steige der oft auf bis zu 40 Prozent.

Bei den 11,3 Prozent wird es aber auch heute nicht bleiben: Es wird noch von Hand nachsortiert. Flinke Hände werfen Karotte für Karotte auf das Abfallband. Ein kleiner Teil der Karotten, der von den Maßen her für die Supermärkte nicht passt, geht sogar in die Gastronomie: Größere Karotten bedeuten weniger Aufwand beim Schälen und werden daher von Restaurantbesitzern gerne genommen, sagt Hopf.

Kriterien: Gesetzliche Vorschriften - und Regelungen des Handels

Prinzipiell müssen Karotten für den Verkauf im Lebensmitteleinzelhandel laut Gesetz unter anderem frei von Schädlingen, von fremdem Geruch und ausgereift sein. Diese Vorgaben sind allgemeine Vermarktungsnormen, die für Gemüse und Obst in der EU gelten. Außerdem gibt es spezielle Vorgaben für Karotten, die von einer Kommission in Genf erarbeitet werden. Hier wird zum Beispiel auch festgelegt, welche Kriterien eine Karotte für die Vermarktung in Klasse 1 erfüllen muss. Von guter Qualität müssen die Möhren sein, heißt es da, leichte Risse, Form- oder Farbfehler sind allerdings bis zu einem gewissen Grad zugelassen.

Der Handel sieht das strenger. "Der Handel gibt die Kriterien vor, an die müssen wir uns halten, wie alle andern auch", sagt Hopf. Diese Erfahrung machen die Gundelfinger immer wieder: Es werde streng kontrolliert, sagt Werner Hopf, und immer wieder komme auch Ware zurück. Wie einige Kisten Salat, wunderbarer, knackiger Lollo Bionda. Das Problem: Die Salatköpfe waren zu groß. Zwar gebe es auch alternative Vermarktungslinien für "krummes Gemüse". Der Absatz sei hier aber vergleichsweise gering, sagt Hopf, die Gartenbauzentrale sei da nicht zum Zug gekommen. Außerdem, wenn eine perfekte Möhre neben einer krummen im Regal liege, werde doch in der Regel eher die perfekte gekauft.

Karotten mit "Fehlern" gehen an Tierbesitzer oder in Biogasanlagen

Bergeweise Karotten landen also in der großen Ausschusskiste. Ein Teil wird als Futterkarotten an Schäfer oder Pferdebesitzer verkauft, zu etwa einem Viertel des Preises. Säcke mit Futterkarotten werden auch im Einzelhandel angeboten. Aber die Menge der aussortierten Ware ist groß. Was übrig bleibt, nehmen die Gärtner zurück und geben es in ihre Biogasanlagen - oder sie pflügen die Karotten unter, als Gründüngung.

Im Hofladen schätzen Kunden Regionalität und Geschmack

Christoph Seifried hat für einen kleinen Teil seiner Ernte zumindest noch eine zweite Verkaufsmöglichkeit: im eigenen Hofladen. Hier schätzen die Kunden das frische Gemüse aus der Region, egal welche Form die Karotten haben. "Gerade für Kinder ist das doch toll, wenn die krumm sind. Die denken sich dann was aus, zum Beispiel bei einer doppelten Karotte, dass die sich küssen", sagt eine junge Frau. Ein anderer fügt an: "Wie das aussieht, ist mir egal, Hauptsache es schmeckt."

Der Teil, der im Hofladen verkauft wird, ist allerdings nur ein Bruchteil der Ernte von Christoph Seifried. Viele von den mühsam großgezogenen, extra bewässerten und dann geernteten Karotten werden heuer wohl als Futterkarotten oder in der Biogasanlage enden.

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