In einer dicken Winterjacke und Schneestiefeln läuft Christina Gockeln die letzten Meter Richtung Schwimmbecken – die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Zwar scheint die Sonne, doch über das Gelände des Freibads in Mallersdorf-Pfaffenberg pfeift an diesem Januartag ein eisiger Wind. Allen Widrigkeiten zum Trotz steigt die 20-Jährige gleich ins 1,5 Grad kalte Außenbecken ein: Denn sie trainiert für die anstehende Weltmeisterschaft im Eisschwimmen.
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Eiskaltes Training für die WM in Italien
Die Bahn ist durch eine Schwimmleine abgetrennt. Auf der anderen Seite bewegen sich Eisschollen über das Wasser. Die Außentemperatur liegt bei einem Grad Celsius. Auch für die geübte Eisschwimmerin sind die kommenden Momente wieder eine Überwindung.
Einmal wöchentlich steigt Christina Gockeln zur Wettkampfvorbereitung in der kalten Jahreszeit ins Eiswasser. Kraft und Kondition werden regelmäßig beim Training im normaltemperierten Schwimmbad aufgebaut. Zur anstehenden Weltmeisterschaft im italienischen Molveno will die 20-Jährige fit sein: Diesen Mittwoch geht sie dort zum ersten Mal an den Start.
Regeln: Eiswasser und kein Neoprenanzug
Mit dem Eisschwimmen dürfe man nicht ad hoc starten, sagt die erfahrene Eisschwimmerin. "Zunächst mal muss man beim Arzt abklären lassen, ob gesundheitlich alles passt. Vor allem ein Elektrokardiogramm (EKG) vom Herzen ist wichtig." Außerdem solle man nie allein ins Wasser steigen und nicht gleich bei extremen Temperaturen beginnen. "Im Herbst bei 15 bis 18 Grad ist es ein guter Einstieg", beschreibt die Schwimmerin. Wichtig sei es auch, auf den Körper zu hören. Bei Schnappatmung solle man das Wasser schnell verlassen.
Mit 15 Jahren kam Gockeln über Freundinnen zum ersten Mal in Berührung mit dem frostigen Sport. Ihre Eltern erfuhren zunächst nichts davon. Als es doch so weit war, machte sich Mutter Maria große Sorgen. Das Wasser beim Eisschwimmen – so die Regeln – ist schließlich unter fünf Grad kalt. Ein Neoprenanzug ist seitens des Internationalen Eisschwimmverbands (IISA) nicht erlaubt. Badeanzug, Schwimmbrille und -kappe sowie Ohrenstöpsel sind die einzigen Teile, die Christina tragen darf.
Zwei Weltmeisterschaften, acht Titel, ein Weltrekord
Doch auch bei Mutter Maria sind die Sorgen mittlerweile dem Stolz gewichen. Denn ihre Tochter ist international erfolgreich. Gleich bei ihrer ersten Weltmeisterschaft in Slowenien vor zwei Jahren holte sie vier Titel. Und auch im letzten Jahr in Estland wurde Gockeln vierfache Weltmeisterin in ihrer Altersgruppe B (19 bis 29 Jahre).
Ihre Paradedisziplin ist das Brustschwimmen. Hier war sie sogar die Beste aller Altersklassen. Zudem gelang ihr in Tallinn über 50 Meter mit 37,8 Sekunden ein Weltrekord.
Jubel in der Sauna
"Ich habe erst immer später in der Sauna davon erfahren", schmunzelt die Niederbayerin, "da haben sich alle für mich gefreut". Tatsächlich ist das schnelle, organisierte Aufwärmen direkt nach der extremen Kältebelastung sehr wichtig.
Die bescheidene Steuerfachangestellte mache sich nicht viel aus den Titeln. Sie habe vor allem Freude an dem Sport. "Ich setze mir eigentlich generell gar keine Erwartungen. Natürlich hat man Hoffnungen. Aber jetzt schauen wir einfach was passiert. Ich lasse mich überraschen", sagt die 20-Jährige mit Blick auf die anstehende WM.
Taubheits- und Glücksgefühle
An diesem eisigen Tag im Freibad Mallersdorf-Pfaffenberg entledigt sich die Weltmeisterin ihrer Winterkleidung und steigt schnell ins Wasser. Ein Aufwärmprogramm gibt es nicht. Sie zieht vier 50-Meter-Bahnen in hohem Tempo.
Danach fällt ihr das Sprechen schwer: "Ich spüre die Finger nicht mehr, die Zehen ein bisschen. Das Zittern fängt an." Jetzt sei es Zeit, schnell ins Warme zu kommen. "Man fragt sich jedes Mal vorher, warum man das macht. Es beginnt alles zu kribbeln und kann wehtun. Aber am Ende hat man einfach Glücksgefühle."
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