"Wir haben daraus diese Lektion gelernt: Söldner sind leicht anzuheuern, aber sie dienen dem Geld, nicht dem Staat, den Menschen oder einer Idee", so der russische Militärblogger Roman Aljechin (204.000 Fans) über ein Interview, das hohe Wellen schlägt, weil sich der frühere Kreml-Funktionär Wassili Jakemenko darin als geldgieriger Zyniker entlarvte. Bis Juni 2012 war der Politiker als Propagandist in Diensten Putins tätig, insbesondere in der "Jugendarbeit". So gründete der mittlerweile im Ausland lebende Jakemenko die "Naschi"-Bewegung (2005 - 2013), eine Organisation, die wegen ihrer aggressiven Aktionen gegen Dissidenten in unrühmlicher Erinnerung ist.
"Über dämliche Witze lachen"
Im Gespräch mit dem Youtube-Blogger Stanislaw Rosenkow, auch als "Trash-Talk" bezeichnet, brüstete sich Jakemenko damit, durch seine Unterwürfigkeit gegenüber Putin viel "Geld, Gold und Diamanten" angehäuft, sowie mehrere Immobilien gekauft zu haben: "Geld machen Sie in Russland mit einer guten Beziehung zu Papa. Sie müssen sein Büro auf den Knien rutschend betreten, am besten rückwärts, mit heruntergelassener Hose, stets zum Telefon greifen, wenn er anruft, über seine dämlichen Witze lachen – und schon ist Ihnen eine Milliarde [Rubel] praktisch garantiert." Patriotismus erklärte Jakemenko für reine Einbildung.
Bereits im Juli 2012 hatte Jakemenko auf X, vormals Twitter, über seine Immobiliengeschäfte geschrieben: "Ich habe in Bayern ein altes Haus, eine Mühle und einen Teich gekauft, zwar klein, aber 50 Hektar Land. Der Ort ist wunderbar!"
Über Putins Auffassungsgabe bemerkte der Ex-Funktionär jetzt: "Ja, er tut mir so leid. Er versteht nicht, was passiert. Er versteht wirklich nicht, was los ist. Er ist so ein entschlossener Mann, er will etwas bewegen, er versteht aber nicht einmal, wo und was er falsch macht. All diese Typen, die ihm in seinem Universum gegenübersitzen, beginnen ihm Ratschläge zu geben, einer dümmer als der andere."
"Ich denke, jetzt versteht jeder endlich, wie Minister und Bürokraten denken und wie sie leben", so einer von rund 4.000 Youtube-Kommentatoren. Ein weiterer schrieb: "Es ist beängstigend, was für Idioten als Funktionäre arbeiten."
"Wie viele davon gibt es?"
Kreml-Propagandist Sergei Markow drohte dem Ex-Weggefährten Putins Konsequenzen an und verlangte die "Überprüfung aller laufenden und abgeschlossenen Fälle durch die Staatsanwaltschaft", sowie ein Gerichtsverfahren und die Beschlagnahme von Eigentum: "Jeder hat jetzt vor allem eine Frage: Wer ist in der russischen Regierung genau wie Jakemenko? Wie viele davon gibt es?"
Der kremlkritische Blogger Anatoli Nesmijan schimpfte: "Moralisch gesehen sind diese Menschen buchstäblich tot. Ohne moralischen Kompass, klassische lebende Leichen. Und ausgerechnet ihnen wurde von der Macht die Jugend anvertraut – wem auch sonst?"
"Es gibt mehr, als uns lieb ist"
Andere argumentierten, Jakemenkos Skandal-Interview komme Putin sogar zugute: "Jetzt brauchen wir echte Überzeugungen, keine geheuchelten. Manchmal ist so ein Bekenntnis aus Sicht der Elite als abschreckendes Beispiel gefragt, übrigens vom Chef selbst eingefordert. Nach dem Motto: Der Zar ist gut, die Bojaren sind schlecht. Jakemenko hat zugegeben, dass er einer dieser Bojaren war."
Vom "Zusammenbruch einer Persönlichkeit vor laufender Kamera" war die Rede. Manch einer fühlte sich an den radikalen Nihilismus von Friedrich Nietzsche erinnert, wie er im zeitweise verbotenen Roman "Ssanin" des russischen Autors Michail Arzybaschew (1878 - 1927) gefeiert werde. So schrieb Bloggerin Maria Sergejewa, selbst zeitweise in der Präsidialverwaltung tätig: "Ich glaube, es gibt weniger Jakemenkos, als wir denken, aber mehr, als uns lieb ist. Wenn das Lebensziel eines Menschen viel Geld ist, dann strebt er nach einem Platz in der Nähe des Kremls, am besten so nah wie möglich. Ganz einfach, weil in unserem Land das wirklich große Geld dort verteilt wird."
Das System Putin produziere Opportunisten wie Jakemenko "am Fließband", so einer der Diskutanten: "Ich erinnere mich an ein Video aus den 90er Jahren, in dem ein Journalist einen Obdachlosen fragte, was er tun würde, wenn er Präsident wäre. Er antwortete: 'Nun, ich würde ein paar Bündel Geld aus dem Safe stehlen und abhauen.'"
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