Bei den bayerischen Grünen haben künftig die Frauen das Sagen. Bei der Landesdelegiertenkonferenz wählten die Mitglieder einen rein weiblichen Vorstand. Eva Lettenbauer ist die alte und neue Vorsitzende, neue Co-Chefin ist Gisela Sengl. Thomas von Sarnowski, bisheriger Co-Vorsitzender, ist raus.
Lettenbauer in der Kritik
Aber für Lettenbauer ist das kein Sieg. Faktisch hat nur gut jeder Zweite für sie gestimmt. Die 31-jährige Wirtschaftsingenieurin betont gerne, sie sei ein "Landei", weil sie in einem Mini-Dorf lebt. Doch enge Kontakte zu Bauern nimmt man ihr nur schwer ab, genauso könnte sie in München-Haidhausen leben. Genau diese Klientel, die Menschen auf dem Land, die Nicht-Akademiker, aber auch die Jüngeren, scheinen die Grünen nicht mehr wirklich anzusprechen. Bei der Landtagswahl hat die Partei in diesen Milieus massiv verloren, in den Städten ist sie weiterhin stark. Verantwortlich für den Wahlkampf und für das, was man in der Politik die "Ansprache" nennt, war in weiten Teilen das Duo Lettenbauer-von Sarnowski.
Mit der Wahl zeigen die Delegierten, dass sie nicht zufrieden sind. Der Frust über das Wahlergebnis sitzt noch tief. Gerade neuere Parteimitglieder sind in einer Hochphase in die Partei eingetreten. Jetzt müssen sie sich zum ersten Mal mit Stimmverlusten und starkem Gegenwind von außen auseinandersetzen. Auch wenn Lettenbauer auf dem Parteitag mehrmals betont, die Landtagswahl sei nun ausreichend analysiert. Man schaue jetzt nach vorne.
Sengl will Hass und Gewalt angehen
An ihrer Seite steht jetzt die 63-jährige Biobäuerin aus Traunstein. In ihrer Bewerbungsrede hatte Sengl deutlich gemacht, wie schockiert sie von Hass und Gewalt sei, die den Grünen seit dem Wahlkampf 2023 so massiv entgegenschlagen. Dagegen wolle sie vorgehen, mehr erklären und die Kreisverbände, die vielen Ehrenamtlichen in der Partei, mit einem Leitfaden besser darauf vorbereiten. Diese Emotionalität und die Ankündigungen scheinen bei den Delegierten gut anzukommen. Grundsätzlich aber spürt man in der Partei eine große Ratlosigkeit, wie man mit Wut und Hass umgehen soll, dafür fehlen die Rezepte.
"Es ist eine unheimlich aufgehetzte Stimmung, gerade gegen uns, und wir müssen uns auch selber schützen", sagt Sengl im Interview mit BR24. Sie rät Grünen-Wahlkämpfern vor Ort bei Bedrohungslagen zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Polizei.
Sengl: "Unsere Inhalte sind nach wie vor gut"
Größte Schwierigkeit bei der Landtagswahl war laut Sengl die Bundespolitik. Die aus ihrer Sicht gute Politik sei nicht ausreichend gut erklärt worden. "Ich finde unsere Inhalte gut, nach wie vor. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir da was verändern müssen. Wir verlangen natürlich auch was von den Menschen, das ist klar. Es hat noch keine Bundesregierung in so kurzer Zeit so viele Gesetze erlassen und so viel bewegt", sagt Sengl im Interview mit BR24. "Wo viel gearbeitet wird, passieren mitunter auch mal Fehler. Unsere Inhalte sind wirklich gut, wir müssen sie einfach näher am Menschen besser erzählen."
Im Video: Landesparteitag: Grüne warnen vor Nationalismus
Gegensätze als Chance?
Mit Sengl und Lettenbauer müssen jetzt zwei Frauen eng zusammenarbeiten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Jung und Alt, Akademikerin und Nicht-Akademikerin, die kontrolliert wirkende Strategin und die emotionale Schafkopf-Spielerin. Sengl hatte nach ihrer Wahl im BR24-Interview angekündigt, mit Lettenbauer "sehr gut zusammenzuarbeiten". Sie wird das auch müssen, wenn die Grünen ihr Ziel erreichen wollen: verspieltes Vertrauen zurückgewinnen. Politik besser erklären. Wieder sichtbarer werden. Mit Sengl hoffen die Grünen, verlorene Milieus wieder zu erreichen. Also Wähler, die mit einer jungen, städtisch geprägten Führung, mit einem Thomas von Sarnowski wenig anfangen können.
Zusammenspiel mit Schulze
Ob das gelingen kann, liegt aber nicht nur am neuen Führungsteam. Eine große Rolle spielt auch die Fraktionschefin im Landtag, Katharina Schulze. Sie führt seit der Wahl die Fraktion allein, nicht mehr mit Ludwig Hartmann. Im Vorfeld des Lindauer Parteitags hatte Schulze für die Wiederwahl von Lettenbauer und von Sarnowski geworben. Dass die Delegierten anders entschieden haben, werten einige als Klatsche für Schulze.
Für Sengl hatte sich Ex-Fraktionschef Hartmann starkgemacht. Allein das zeigt, dass durch Fraktion und Partei ein tiefer Riss geht. Tatsächlich fordern einige Delegierte in Lindau, die Fraktion solle zur Doppelspitze zurückkehren. Ihr Antrag wird zwar abgelehnt, aber die Diskussion darüber ist längst nicht beendet.
Sengl hat laut eigener Aussage kein Problem mit der alleinigen Führung der Fraktion durch Schulze: "Ich finde die Entscheidung richtig von der Fraktion. Das ist die Entscheidung der Fraktion und ich kann die absolut mittragen."
Fokus auf Schulze
Die Fraktion hat mehrheitlich dafür gestimmt, in den kommenden Monaten und Jahren den Fokus allein auf Schulze zu richten. Nur in Ausnahmefällen, wie jetzt, als Schulze in Lindau krankheitsbedingt ausfällt, ist ihr Stellvertreter Johannes Becher gefragt. Eigentlich aber gilt: Die Grünen – das ist Katharina Schulze.
Lettenbauer und von Sarnowski haben das umgesetzt, als Parteichefs sind sie nie groß in der Öffentlichkeit präsent gewesen. Sie haben parteiintern gewirkt. Mit Sengl dürfte sich das ändern. Sie werde sichtbar, viel unterwegs sein, so ihr Versprechen.
Sengl sitzt nach zehn Jahren seit Oktober nicht mehr im Landtag, den Wiedereinzug hatte sie nicht geschafft. In ihrer Bewerbungsrede in Lindau versuchte sie, daraus Kapital zu schlagen: "Weil ich kein Mandat mehr habe, kann ich meine ganze Zeit und meine ganze Energie in die Partei einbringen." Das zog offenbar. Mancher könnte es aber auch als Drohung verstehen. Macht sie Schulze die Hauptrolle streitig?
BR24live: Gisela Sengl im Interview
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