Die Bahn hatte sich im Juli 2022 unter fünf möglichen Verläufen für "Limone" als Auswahltrasse für den Brennernordzulauf entschieden. Die sogenannte Bürgertrasse "Türkis" war nach den Kriterien der Bahn auf dem zweiten Platz gelandet.
Kritische Analyse des Auswahlverfahrens
Diese Auswahl stößt sowohl bei Kommunalpolitikern, Landtags- und Bundestagsabgeordneten als auch bei der "Bürgerinitiative Brennernordzulauf Landkreis Ebersberg" nach wie vor auf heftige Kritik. Sie sehen sich nun bestätigt durch eine Analyse des Trassenauswahlverfahrens, die Andreas Brandmaier vorgelegt hat, ein Bürger aus Niclasreuth, der auch persönlich von "Limone" betroffen wäre. In dieser Analyse kommt der Diplom-Ingenieur zu dem Schluss, dass die Bahn bei der Entscheidung für Limone gravierende Fehler gemacht hat. Er habe zahlreiche Unstimmigkeiten und Widersprüche in den Berechnungen gefunden, sagte Brandmaier bei einem Pressegespräch im Landratsamt Ebersberg.
Tunnelanteile und Flächenverbrauch falsch gewichtet?
Als Beispiele nannte er eine "stillschweigende Veränderung“ von Lärmkarten und falsche Bewertung von Erschütterungs-Parametern, wodurch jeweils "Limone" bevorteilt worden sei. Darüber hinaus seien Tunnelanteile und Flächenverbrauch nicht korrekt gewichtet worden: So habe "Türkis" nur wegen der Verlegung eines kleinen Weges Minuspunkte bekommen. Fazit von Brandmaier: Die Entscheidung der Bahn werde vor Gericht keinen Bestand haben, nötig sei eine Überprüfung des Auswahlverfahrens durch unabhängige, externe Gutachter, im Auftrag des Bundesverkehrsministers.
Trasse "Türkis" wird als "Kernforderung" kommen
Landrat Robert Niedergesäß (CSU) schloss sich dieser Forderung an. Er sieht das größte Problem bei Limone in der massiven Zerstörung von Landschaft. Der Kreistag habe den Auftrag erteilt, sich für einen bestandsnahen Ausbau einzusetzen, wie ihn die Trasse "Türkis" vorschlage. Sein Ziel, so der Ebersberger Landrat, sei es, mit der Bahn in einen intensiven und ergebnisoffenen Austausch zu treten. Man sei ja im Landkreis keineswegs grundsätzlich gegen den Brennernordzulauf. Niedergesäß kündigte an, "Türkis“ als sogenannte Kernforderung beim Bundestag einzureichen. Das werde derzeit vorbereitet. Mit solchen Kernforderungen können Kommunen und Landkreise noch erhebliche Änderungen bei der Gestaltung des Trassenverlaufs bewirken.
Vorschlag: Bis zur Entscheidung beide Trassen planen
Auch der Bundestagsabgeordnete der Region, Andreas Lenz (CSU), hält die Analyse von Brandmaier für "valide“. Es seien handfeste Gründe für die Annahme falscher Berechnungen geliefert worden. Lenz plädierte noch einmal für den Vorschlag, bei Trassen weiterzuplanen, um keine Zeit zu verlieren – und die Entscheidung dem Bundestag vorzulegen. Der Landtagsabgeordnete des Kreises, Thomas Huber (CSU), übte scharfe Kritik am Vorgehen der Bahn. Das Unternehmen biege sich die Dinge hin, wie es sie gerne hätte und für seine Entscheidungen brauche. Er sehe die heutige Veranstaltung als Hilfeschrei, man habe ja kaum andere Möglichkeiten der Einwirkung. Huber sagte, keiner hier wolle den nötigen Brennernordzulauf behindern oder verzögern, man kämpfe aber für einen bestandsnahen Ausbau und gegen ein Bauwerk mit immensem Flächenverbrauch.
Es knirscht im Dialogverfahren zum Brennernordzulauf
Die Planer der Bahn seien zu dem Gespräch in Ebersberg eingeladen worden, hieß es von den Veranstaltern. Wie Matthias Neumaier, Gesamtprojektleiter für den Brenner-Nordzulauf, dem BR-Studio Rosenheim mitteilte, sei man dieser Einladung aber nicht gefolgt, weil man die Begründung für die Vorwürfe, also die Argumente von Brandmaier, vorher nicht bekommen habe. So sei eine seriöse Vorbereitung nicht möglich gewesen. Neumaier bedauert, dass man offenbar unterschiedliche Vorstellungen von Dialog habe. Die Bahn habe die Dialogforen früh gestartet, in diesen seien gemeinsam die Kriterienkataloge erarbeitet worden, nach denen die Trassenauswahl erfolgte. Beim Blick auf zwei Jahre Dialog mit vielen Bürgern und Gemeindevertretern komme er zu dem Schluss, dass er es genau so wieder machen würde.
Bahn sieht keinen Grund für Neubewertung
"Limone steht, Limone bleibt die Auswahltrasse", so Neumaier wörtlich. Es gebe neben lautstarkem Widerspruch auch viel Zuspruch für diese Entscheidung. Limone schaffe weitaus weniger Betroffenheiten als die anderen Trassen, habe weniger Auswirkungen auf die Wohnbebauung. Die gewählte Trasse werde nun optimiert, dazu diene das neu besetzte Dialogforum. In der Phase "technische Vorplanung", in der man sich nun befinde, würden Varianten untersucht, die Lage und Höhe der Trassenführung optimiert. Es könnten auch Tunnel verlängert oder Einschnitte vertieft oder verändert werden. Konkret werde derzeit geprüft, ob der Saalachtunnel südöstlich von Grafing verlängert werden sollte, oder ob zusätzliche Einschnitte die bessere Variante darstellen. Ende des Jahres soll dann die Vorzugstrasse feststehen, die beim Eisenbahn-Bundesamt eingereicht wird.
Kommunen bereiten "Kernforderungen" vor
Eine weitere Möglichkeit der Einflussnahme sind die sogenannten "Kernforderungen", also Forderungen, die über die gesetzliche Vorgabe für den Brennernordzulauf hinausgehen. Diese können von den Landkreisen und Kommunen erarbeitet und dem Bundestag vorgelegt werden. Der muss dann über die Finanzierbarkeit des gewünschten Projekts entscheiden. Ein Beispiel für eine solche Kernforderung könnte die Untertunnelung des Inns nördlich von Rosenheim sein, wie sie vom dortigen Landratsamt voraussichtlich eingereicht wird.
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