Im oberen Inntal ist der Brennernordzulauf bereits fertiggestellt. Nun macht sich die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) an den Abschnitt Radfeld – Schaftenau, der sich von Kramsach an Wörgl vorbei über 20,5 Kilometer Richtung Norden bis zur Grenze bei Kiefersfelden/Kufstein zieht. Zehn Jahre Bauzeit sind vorgesehen, um auch hier die neue Trasse weitgehend unterirdisch zu verlegen. 14 Kilometer der Strecke sind als zweigleisiger Tunnel geplant.
Erkundungsstollen bei Wörgl wird vorangetrieben
Um den langen Haupttunnel zwischen Langkampfen und Kundl vorzubereiten, treibt die ÖBB seit wenigen Monaten den sogenannten "Rohbaustollen Angath" in den Angerberg. Dieser Stollen verläuft parallel zum künftigen Haupttunnel. Er soll zunächst wichtige Erkenntnisse liefern: zu den geologischen Verhältnissen und Herausforderungen sowie zu Wasserstand und Wasserläufen unter dem Berg. Mit Baubeginn für die eigentliche Trasse wird der Stollen dann zur Logistik genutzt. Der Stollen wird 2,6 Kilometer lang sein. Bisher sind die Bergleute rund 360 Meter weit vorgedrungen.
Vier Sprengungen täglich
Bei einem Pressetermin zeigt die Bauherrin, die Österreichische Bundesbahn, wie die Spezialisten von mehreren Bergbaufirmen Hand in Hand arbeiten. Der Stollen wird "bergmännisch" vorangetrieben, das heißt ohne Bohrmaschine. Der Projektleiter von der ÖBB für diesen Abschnitt des Brennernordzulaufs, Norman Schubert, spricht von "zyklischem Vortrieb": "Es wird gesprengt, dann geschuttert, das heißt, das Material wird ausgeschafft, dann wird die nächste Sprengung vorbereitet." Man arbeite rund um die Uhr. Hier unten im Berg sei das möglich, weil es keine Lärmemissionen gebe.
Pro Tag finden etwa vier Sprengungen statt, mit denen jeweils gut zwei Meter Raum gewonnen werden. Eine wichtige Erkenntnis, die man bisher gewonnen habe: Der Wasserandrang sei kein Problem. Das sei eine große Erleichterung für den Neubau, so Schubert.
Viel Kritik an Deutschland
Der Leiter dieses Bauabschnitts ist sichtlich zufrieden mit dem Fortschritt, den das Brenner-Projekt hier macht. Zu den deutschen Verhältnissen möchte er sich nicht äußern, dafür ist der Ingenieur zu diplomatisch. Bei den Menschen in den Gemeinden entlang der Neubaustrecke heißt es allerdings oft, dass vor allem der Güterverkehr endlich auf die Schienen müsse. Bayern sei bei der Planung zehn Jahre hinterher. Gefordert werde, die Bahnstrecke bis zur Grenze zügig viergleisig auszubauen. Andernfalls ergebe der Brennerbasistunnel gar keinen Sinn, sagt eine Frau aus Oberlangkampfen, die nah an der Neubaustrecke wohnt.
"Ganz Tirol will die neue Trasse, und zwar schnell"
Klare Gegner einer neuen Trasse gibt es im Tiroler Inntal nicht. Einige Bürgerinitiativen fordern bessere Lösungen, etwa bei der Lagerung des Abraums. Aber grundsätzlicher Widerstand gegen das Projekt ist hier, im Gegensatz zum bayerischen Inntal, nicht zu finden.
Auch der Bürgermeister von Langkampfen, Andreas Ehrenstrasser, sieht langfristig nur Vorteile durch die neue Bahnlinie. Die Hälfte der Züge fahre dann unterirdisch, es werde wesentlich leiser im Tal, sagt er. Und beim Blick nach Bayern wirkt er fast mitleidig.
"Die Bayern sind uns hintnach", sagt er, "nicht nur mit der Bahn, sondern in vielen Dingen. Bei uns hier im letzten Abschnitt wird 2025 mit dem Haupttunnel begonnen, auf der anderen Seite sind sie da, wo wir 2008 gewesen sind mit der Trassenplanung." Er wünsche sich, dass in Bayern aktiver vorangegangen werde beim Neubau.
Ganz Tirol wünsche sich möglichst rasch die neue Trasse, vor allem mit Blick auf den Lkw-Verkehr, der nicht mehr zu ertragen sei. 2007 habe es 1,25 Millionen Lkw-Fahrten durchs Inntal gegeben, rechnet der Bürgermeister vor, 2022 seien es 2,3 Millionen gewesen. Wenn das so weitergehe, dann könne das nur mit einem modernen Bahntransport aufgefangen werden.
Streit in Bayern um den Trassenverlauf
Während in Tirol Bohrmaschinen röhren und die Bagger rollen für den neuen Nordzulauf, wird auf bayerischer Seite noch um den Verlauf der Trasse gerungen. Gerade eben erst haben sich die Bürgermeister von zehn Gemeinden im Inntal zu Wort gemeldet, die der Ansicht sind, der Verlauf der Brennertrasse müsse völlig neu gedacht und geplant werden – sieben der zehn Lokalpolitiker sind aus Bayern. Sie verlangen, dass eine Verknüpfungsstelle, die zwischen Flintsbach und Oberaudorf im Landkreis Rosenheim entstehen soll, unterirdisch gebaut wird und nicht – wie von der Bahn vorgesehen – oberirdisch. Die Bahn widerspricht. Sie meint, Sicherheitsbestimmungen machten eine Tunnellösung an dieser Stelle unmöglich.
Bayerische Gemeinden erstellen "Kernforderungen"
Die Gemeinden im bayerischen Inntal werden ihre Idee zum komplett unterirdischen Trassenverlauf aber als sogenannte Kernforderung dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen. In allen Gemeinden entlang des Brennernordzulaufs werden gerade diese Kernforderungen beraten. Nördlich von Rosenheim zum Beispiel soll nach dem Willen der Kommunen der Inn untertunnelt werden. Die Bahn plant einen Brückenbau. Bei Aßling kämpft eine Bürgerinitiative für die sogenannte "Bürgertrasse" entlang der bestehenden Strecke. Die Bahn hat hier die Variante "Limone" als Vorzugstrasse bestimmt.
Um Rosenheim herum gibt es Bürgerinitiativen, die strikt gegen einen Neubau sind. Sie meinen, dass eine Ertüchtigung der Bestandsstrecke ausreicht, um mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Und im Inntal gibt es heftigen Protest gegen die Baustelleneinrichtungen, die die Bahn vorgesehen hat.
Während in Tirol also die neue Trasse nicht nur komplett durchgeplant ist, sondern sich der Fertigstellung nähert, sind in Bayern noch viele Fragen offen: Soll die neue Trasse überhaupt kommen? Und wenn ja, wo soll sie verlaufen? Die Antworten soll der Bundestag geben. Für 2025 ist die Abstimmung geplant.
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