Ein Blick über die Felder, Räucherstäbchen und Cannabis: Für Uwe gehört dieses kleine Ritual am Ende eines Arbeitstages dazu. Er bekommt Cannabis auf Rezept gegen seine Rückenschmerzen, aber er genießt es auch, den Tag so ausklingen zu lassen. Der Landwirt aus Oberfranken baut Nutzhanf an und ist auf sein Auto angewiesen. Bislang hat er sich in einer Grauzone bewegt: Denn wer kifft und fährt, riskiert ein Bußgeld oder sogar seinen Führerschein.
Auch wenn Uwe sich nur ans Steuer setzt, wenn er sich vollkommen nüchtern fühlt: Die Unsicherheit fährt trotzdem mit. "Zum Glück bin ich ja kein Neuling auf dem Gebiet", sagt er. "Ich weiß, was es für mich bedeutet, wenn ich was geraucht habe und wie lange ich mich von der Straße fernhalten muss." Doch der neue, vom Bundestag beschlossene Grenzwert, gibt ihm Hoffnung.
Cannabis und Autofahren: Bundestag beschließt neuen Grenzwert
Mit der Legalisierung von Cannabis hat der Bundestag für Autofahrende nun nachgebessert: Der THC-Grenzwert soll von einem auf 3,5 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blut angehoben werden. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich im Juli mit dem Gesetz befassen. Das Bundesverkehrsministerium schreibt auf Anfrage, dass bis zu diesem Grenzwert von keinem Unfallrisiko ausgegangen wird. Das hat eine vom Verkehrsministerium beauftragte Expertenkommission empfohlen.
Für Dauerkonsumenten wie Uwe ist das ein Lichtblick, denn so könnten sie Dank der Anhebung des Grenzwertes wenigstens am Tag nach dem letzten Cannabis-Konsum kein Fahrverbot riskieren. Aber ab wann ist dieser Grenzwert erreicht und wie lange lässt sich THC im Blut nachweisen?
Y-Kollektiv-Selbstversuch: Fahren mit Cannabis
Um das herauszufinden, hat der Y-Kollektiv-Reporter Sebastian Meinberg zusammen mit Uwe für eine Reportage ein Experiment durchgeführt: "Wir wollten eigentlich gucken: Kann ich mich, so wie ich mich mit einem Bier an 0,5 Promille rantrinke, an den Grenzwert rankiffen?", sagt Sebastian Meinberg. Das bedeutet: Die beiden fahren einen vorbereiteten Test-Parcours mit dem Auto. Bei der ersten Fahrt sind sie quasi nüchtern: Uwe hat 36 Stunden nichts geraucht und Sebastian Meinberg raucht normalerweise sowieso kein Cannabis.
Doch dann wird konsumiert und das Fahren wird schwieriger, vor allem für den Reporter: "Also dieser Schwindel, der ist jetzt deutlich da und er wird gerade noch stärker", sagt Meinberg nach mehreren Zügen von Cannabis. Dauerkonsument Uwe fährt die Teststrecke weitestgehend fehlerfrei, doch Meinberg muss in der dritten Runde kurz vor dem Ziel abbrechen. Aber die große Überraschung wartet am nächsten Tag, denn vor und während des Experiments wurden Blutproben der beiden genommen.
Nach Selbstversuch: Überraschung bei der Auswertung der Blutwerte
Am nächsten Tag ist auch der Cannabis-Rausch von Reporter Meinberg überstanden. Nun steht die Auswertung der Blutwerte an und schon der erste Wert von Uwe kurz vor dem Experiment, ist unerwartet: "Da war noch aktives THC mit 5,5 Nanogramm, also über dem neuen Grenzwert nachweisbar", sagt Julian Wichmann, Arzt und Spezialist für Cannabis-Behandlungen, der das Experiment überwacht.
Für Uwe ist das ein Schock, da dieser 36 Stunden abstinent war: "Ich bin jetzt ganz schön emotional - nach 1,5 Tagen noch fünf Nanogramm!" Dauerkonsumenten wie er riskieren also auch, wenn sie Tage nicht gekifft haben, dass sie den Grenzwert übertreffen. Uwe muss sich keine Sorgen machen, denn für ihn zählt der Grenzwert eigentlich nicht, da er das Cannabis auf Rezept bekommt. So regelt es § 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG).
Doch das Ergebnis bewegt ihn trotzdem. Für Meinberg sieht es in diesem Versuch ganz anders aus: Bei ihm ist einen Tag nach dem Konsum kein THC im Blut mehr nachweisbar.
Wie aussagekräftig ist der THC-Grenzwert?
Das Experiment gibt Hinweise darauf, dass das jeweilige Konsumverhalten den THC-Gehalt im Blut beeinflusst. Aber wie kann der Grenzwert dann über die Fahrtüchtigkeit bestimmen? Und wie sinnvoll ist es, diesen mit der Promillegrenze für Alkohol zu vergleichen? Der Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin Frank Mußhoff sieht den neuen Grenzwert sehr kritisch: "Das ist einfach das große Problem: Beim Alkohol kann man das ausrechen, da hat man Erfahrungswerte", so Mußhoff. "Das ist beim Cannabis so nicht der Fall. Keiner kann vorhersagen, was für eine Wirkstoffkonzentration man zu sich nimmt."
Aus seiner Sicht sagt dieser Grenzwert kaum etwas darüber aus, ob jemand in der Lage ist, noch Auto zu fahren. Und der Selbstversuch von Uwe und Meinberg hat auch gezeigt, dass Konsumenten, die regelmäßig konsumieren, länger einen hohen THC-Gehalt im Blut haben. Für Kiffer ist das wohl keine gute Nachricht und bei Konsument Uwe bleibt deshalb die Unsicherheit. Und die Aussagekraft des neuen Grenzwerts über die Fahrtüchtigkeit ist umstritten.
Die ganze Reportage "Kiffer am Steuer - was bringt der Grenzwert?" von Y-Kollektiv ist ab sofort in der ARD-Mediathek abrufbar.
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