Kiffen ist in Bayern jetzt erlaubt – allerdings gibt es noch viele Fragen zu den potenziellen Verbotsbereichen.
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Kiffen ist in Bayern jetzt erlaubt – allerdings gibt es noch viele Fragen zu den potenziellen Verbotsbereichen.

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Cannabis: Berlin und Bayern uneins über Regeln und Kontrollen

Cannabis: Berlin und Bayern uneins über Regeln und Kontrollen

Das Cannabis-Gesetz wirft Fragen zu Konsumverbotszonen auf: Was heißt in "Sichtweite", wann gilt ein 100-Meter-Umkreis? Das Bundesministerium antwortet vage, Bayern legt Regeln restriktiv aus und kontrolliert streng.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

Seit fast zwei Wochen ist Kiffen in der Öffentlichkeit in Deutschland legal. Allerdings sollen Verbotszonen den Cannabis-Konsum einschränken, insbesondere aus Gründen des Kinder- und Jugendschutzes. Das bayerische Gesundheitsministerium veröffentlichte einen achtseitigen Katalog mit hohen Bußgeldern, die bei Verstößen gegen das Cannabis-Gesetz drohen – mit dem Ziel Konsumentinnen und Konsumenten abzuschrecken.

Das Problem: Die Regeln sind nicht so eindeutig, wie sich das Konsumenten und Konsumentinnen wünschen würden. Auch die Polizei wird vor Herausforderungen gestellt, was die Kontrolle angeht. In der Praxis drohen Unklarheiten und Konflikte. Das Bundesgesundheitsministerium bleibt bei Fragen zum Gesetz eher vage, während die bayerische Staatsregierung auf die strengstmögliche Auslegung setzt. Ein Überblick.

Was bedeutet "in Gegenwart" von Minderjährigen?

Besonders auf den Jugendschutz legt das Gesetz großen Wert: "Der Konsum von Cannabis in unmittelbarer Gegenwart von Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist verboten", heißt es darin. Der Freilassinger Strafverteidiger Konstantin Grubwinkler beklagte im ZDF, hier fehle eine Definition – obwohl Verstöße in Bayern mit einem Bußgeld von 1.000 Euro geahndet werden sollen.

"Was ist denn 'unmittelbare' Anwesenheit? Ist es, wenn ich im Café mit Minderjährigen am Tisch sitze?", fragte er. "Reicht schon der Nachbartisch, reicht es irgendwie im Park auf zwei Bänken, die nebeneinander sind? Oder muss die Person direkt neben mir sitzen?" Diese Klärung steht laut Grubwinkler noch aus.

Ministerium: In Bayern kein Konsum in Biergärten und Freizeitparks

Für das bayerische Gesundheitsministerium dagegen ist klar: Das Ziel, Konsumanreize für Kinder und Jugendliche zu vermeiden, könne nur erreicht werden, wenn diese den Konsum nicht mitbekommen. "Das heißt: Auch im Freien wird eine solche Gefährdungslage an Orten mit viel Publikumsverkehr vorliegen", sagt ein Sprecher dem BR.

So könne zum Beispiel in Biergärten, auf Volksfesten und in Freizeitparks im Regelfall eine – zumindest zeitweilige – unmittelbare Gegenwart Minderjähriger nicht sicher ausgeschlossen werden. Für Cannabis-Konsumenten bestehe also "stets die Möglichkeit", gegen das Gesetz zu verstoßen. "Die Staatsregierung prüft, ob ein Konsumverbot in Biergärten und gastronomischen Außenbereichen klarstellend auch im Landesrecht geregelt werden soll", erläutert der Sprecher.

Wie groß ist die Verbotszone um Schulen und Spielplätze?

Weiter wird im Gesetz Kiffen an und um Orte verboten, an denen Kinder und Jugendliche sich oft aufhalten: rund um Schulen, Spielplätze, Sportstätten und Jugendzentren. Konkret heißt es im Gesetzestext, dass "in Sichtweite" dieser Einrichtungen der öffentliche Konsum verboten ist.

Über diese Formulierung wird viel diskutiert, denn konkreter wird nur festgehalten: Eine Sichtweite sei "bei einem Abstand von mehr als 100 Metern von dem Eingangsbereich der (...) genannten Einrichtungen nicht mehr gegeben". Höhe des Bußgeldes bei Verstößen in Bayern: 500 Euro. Die genannten 100 Meter stellen demnach das Maximum der Verbotszonen dar. Im Internet gibt es bereits mehrere interaktive Karten, auf denen nachgeschaut werden kann, wie weit sie reichen.

Die folgende Grafik gibt einen Überblick über das Ausmaß der Verbotszonen in bayerischen Städten, wenn man den 100-Meter-Radius Radius als Grundlage nimmt:

Grafik: Potenzielle Cannabis-Verbotszonen in München

Was bedeutet "außer Sichtweite"

In den meisten der gezeigten Städte würden zwischen 20 und 25 Prozent der Stadtfläche zur Verbotszone werden, wenn man die 100 Meter zugrunde legt – und das ohne die Fußgängerzonen, wo nur zwischen 20 und 7 Uhr Cannabis konsumiert werden darf. Ausreißer ist die Landeshauptstadt: In München bedecken die Abstandskreise fast 40 Prozent der Stadtfläche.

Allerdings legt das Gesetz nicht fest, dass 100 Meter immer der Maßstab sind. Was ist, wenn man nur 50 Meter von einer Schule entfernt kifft, diese aber durch ein Gebäude oder Vegetation verdeckt ist – also im herkömmlichen Sinn "außer Sichtweite"? Fragen wie diese stellen sich in Bayern beispielsweise vor den Toren des Parlaments. Wie die folgende Karte zeigt, wird der Bereich um den Landtag von vielen 100-Meter-Abstandskreisen durchzogen – unter anderem wegen eines Spielplatzes.

Grafik: Überblick Verbotszonen um den Landtag

Wer aber schonmal vor Ort war, weiß, dass viele Bäume und Büsche die Sichtweite zu Rutsche und Schaukel leicht unterbrechen könnten, obwohl man keine 100 Meter entfernt steht.

Rechtsanwalt Jeremy Gartner sagt bei BR24live, die Frage nach der "Sichtweite" stellten sich gerade viele Juristen. "Wenn man das jetzt so liest, würde man sagen: In dem Moment, wo ein Hindernis im Weg ist, ist die Sichtweite zum Beispiel unterbrochen." Gartner zufolge kann beispielsweise ein Busch oder auch ein Lkw ein solches Hindernis darstellen.

Der Begriff "Sichtweite" sei aus dem Straßenverkehr bekannt: "Wenn man zum Beispiel im Nebel fährt, (...) da ist die Sichtweite dann 20 Meter, wenn man im Neben nicht weiter gucken kann." Diesen Maßstab müsse man auch beim Cannabis-Konsum anlegen, auch wenn die Formulierung im Gesetz sehr schwammig sei.

Unterschiedliche Angaben aus Berlin

Für die oberbayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge, die am Gesetz mitgearbeitet hat, steht fest: Es gelte nicht immer die 100-Meter-Abstandsregelung, entscheidend sei die "Sichtweite". "Das kann auch deutlich weniger als 100 Meter sein", schrieb sie kürzlich auf X. "Um die Regelung nicht zu unbestimmt zu lassen, haben wir aber im Gesetz festgelegt, dass die Sichtweite spätestens nach 100 Metern nicht mehr gegeben sein kann." Im BR Fernsehen sagte die Innen- und Rechtspolitikerin am Mittwoch, beim Gesetz seien die Regierungsfraktionen auch der Polizei "entgegengekommen" und hätten auf "starre Metergrenzen" verzichtet.

Dagegen gibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) von Karl Lauterbach (SPD) auf BR-Anfrage nur allgemeine Hinweise, wie das Gesetz zu verstehen ist. "In Sichtweite" bedeute, "so nahe, dass mit bloßem Auge ohne Aufwand erkennbar", erklärt eine Sprecherin. Dass dieser Begriff im Gesetz mit einem "konkreten Mindestabstand in Metern" verknüpft worden sei, diene dazu, die Umsetzbarkeit des Konsumverbots in der Praxis zu verbessern.

Auf wiederholte Nachfrage, ob das bedeute, dass die "Sichtweite" der Bewertungsstandard sei und die 100 Meter für Zweifelsfälle, antwortet das Ministerium nicht. Auch nicht auf die Frage, ob "nicht in Sichtweite" auch weniger als 100 Meter sein können. Eine BMG-Sprecherin schreibt stattdessen, man könne keine Rechtsauslegung anhand von Einzelbeispielen abgeben. "Nach Verabschiedung des Gesetzes durch Bundestag und Bundesrat obliegt die Auslegung des Gesetzes den Gerichten."

Bayern beklagt "Grauzonen" - und legt "restriktiv" aus

Das bayerische Gesundheitsministeriums kritisiert diese Antwort des BGM: Sie zeige, "dass das Bundesgesundheitsministerium selbst nicht in der Lage ist, klare und praktikable Vollzugshinweise zu geben", sagt ein Sprecher. Der Bund habe im Gesetz "viele Grauzonen" offengelassen. Bayern will dies nutzen und die Vorschriften "restriktiv auslegen".

In der Praxis dürfte das bedeuten, dass im Freistaat eher die 100 Meter der Maßstab sind als die Sicht mit bloßem Auge. Der Ministeriumssprecher betont: Eine Sichtweite sei grundsätzlich auch dann noch gegeben, "wenn lediglich ein Baum oder eine Hecke die Sichtlinie unterbricht". Mehr noch: Bei dazwischenstehenden Mauern oder Gebäuden müsse im Einzelfall anhand der Umstände vor Ort beurteilt werden, ob "Sichtweite" gegeben ist.

Polizei soll "so streng wie möglich" kontrollieren

Das bayerische Innenministerium beklagt "unklare Regelungen". Für die Polizei sei es eine Zumutung, "diesen undurchdachten Regelungswust kontrollieren zu müssen". SPD-Innenpolitikerin Wegge wundert sich über diese Klagen: "Cannabis war und ist ein Kontrolldelikt", sagte sie im BR Fernsehen. Man finde bei Cannabis immer nur so viel, wie man auch kontrolliere.

Für das Innenministerium ist ein Verzicht auf Kontrollen aber keine Option – im Gegenteil: "Die bayerische Polizei wird die neuen Cannabis-Regelungen so streng wie möglich kontrollieren, sie wird Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Zusammenhang mit dem Cannabis-Konsum konsequent verfolgen", sagt ein Sprecher.

Die Schwerpunkte der Polizei-Maßnahmen sollen zum einen im Straßenverkehr liegen: Verkehrskontrollen würden verstärkt, auch Schwerpunktkontrollen werde es geben, kündigt der Sprecher an. Zum anderen stehe der Kinder- und Jugendschutz im Fokus. Die bayerische Polizei verstärke daher die Präsenz im Bereich von Konsumverbotszonen. "Verstöße werden konsequent zur Anzeige gebracht."

Viele Fälle könnten vor Gericht landen

Strafrechtler Grubwinkler sieht alle, die im Park oder auf der Straße Cannabis konsumieren wollen, vor Schwierigkeiten. "Immer, wenn jemand in der Öffentlichkeit konsumiert, muss er sich vergewissern: Gibt es eine Schule, einen Spielplatz, einen Kindergarten oder irgend so etwas in der Richtung in Sichtweite?" Ein Verstoß gegen das Gesetz könne sehr schnell passieren.

Die Sichtweiten-Regelung wird nach Meinung des SPD-Rechtsexperten im Landtag, Horst Arnold, wahrscheinlich immer wieder Gerichte beschäftigen. Wenn Aussage gegen Aussage stehe, müssten letztlich Gerichte entscheiden: über die Angemessenheit der Bußgeldhöhe oder auch einen Freispruch, "weil keine gerichtsfeste Beweisbarkeit vorliegt", sagt der ehemalige Staatsanwalt und Richter dem BR. Das bayerische Gesundheitsministerium kritisiert, die "handwerklichen Schwächen" des Gesetzes müssten die Landesverwaltungen ausbaden - "und in der Folge wohl auch in vielen Fällen die Gerichte".

Dieser Artikel ist erstmals am 12.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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