Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sieht nach den Beratungen von Bund und Ländern zur Corona-Strategie weiter Nachbesserungsbedarf bei den Indikatoren. "Beim Thema Inzidenz und weitere Faktoren hätte ich mir schon gewünscht, dass man vielleicht klarere Parameter gefunden hätte", sagte Holetschek im Deutschlandfunk. "Da ist der Bund auch nochmal gefordert, was vorzulegen."
- Zum Artikel "Die neuen Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern im Überblick"
Impfquote und Hospitalisierungen sollen berücksichtigt werden
In den juristisch relevanten Corona-Verordnungen, auch in Bayern, wird bislang nur die Inzidenz als Richtwert für bestimmte Einschränkungen aufgeführt. Die Indikatoren waren am Dienstag ein Thema der Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder. Seit Monaten wird angesichts weiter steigender Impfzahlen darum gerungen, den Inzidenzwert als Hauptmaßstab für Corona-Einschränkungen abzulösen oder zu ergänzen.
Im jüngsten Bund-Länder-Beschluss heißt es, auch die Zahl der Krankenhausaufnahmen wegen Covid-19 werde als "wichtige Größe zur Beurteilung des Infektionsgeschehens" betrachtet. Berücksichtigt werden sollen demnach "alle Indikatoren, insbesondere die Inzidenz, die Impfquote und die Zahl der schweren Krankheitsverläufe sowie die resultierende Belastung des Gesundheitswesens".
Holetschek: Aus für kostenlose Tests richtig
Wie Bundeskanzlerin Merkel und diverse Regierungschefs der Länder betonte auch Holetschek erneut, wie wichtig eine möglichst hohe Corona-Impfquote sei. Im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF sagte er: "Das Impfen hilft uns aus der Pandemie, nicht das Testen." Die Abschaffung der kostenfreien Corona-Schnelltests ab dem 11. Oktober sei richtig. Die Solidargemeinschaft könne nicht mehr dafür aufkommen, "wenn der eine oder andere sagt: Ich lasse mich nicht impfen, weil ich darauf warte, bis alle anderen geimpft sind."
Ähnlich argumentiert auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, was das Ende der kostenlosen Tests im Oktober angeht. Eher unzufrieden zeigte er sich mit den jüngsten Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz. Die ab 23. August geplante Testpflicht für Ungeimpfte in Innenräumen ab einem Inzidenzwert von 35 reicht laut Söder nicht aus. Nötig wäre eine grundlegende Entscheidung, welche Inzidenzwerte künftig wichtig seien, sagte er im BR Fernsehen. Auch müsse mehr darüber gesprochen werden, wie die Rechte von vollständig Geimpften wiederhergestellt werden könnten.
Grüne: Zu wenig Konkretes für Schulen
In Bayern sorgten die jüngsten Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern für viel Kritik aus unterschiedlicher Richtung. Die Grünen im Landtag beklagten besonders, dass eine Strategie für die Schulen fehle: Die Ministerpräsidenten hätten nicht einmal angesprochen, wie Präsenzunterricht ab Herbst stattfinden soll. "Die Ergebnisse sind wirklich enttäuschend", sagte Christina Haubrich, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Wie der angestrebte Präsenzunterricht umgesetzt werden könne, bleibe offen. "Dabei wären zum Beispiel PCR-Pooltests an allen Schulformen eine extrem wichtige und gleichzeitig einfache Maßnahme, um die Einrichtungen offen halten zu können."
Haubrich kritisierte auch, dass Bayern bei der Impfquote zu den Schlusslichtern in Deutschland zähle. Zum Wirbel um Bayerns impfskeptischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger sagte die Grünen-Politikerin: Ministerpräsident Söder müsse sich "ernsthaft die Frage stellen, wie eine künftige Regierungsarbeit mit einem Impfverweigerer als Vize-Ministerpräsidenten funktionieren soll."
Die bayerische SPD-Landeschefin Ronja Endres hält die Beschlüsse zum Umgang mit Nicht-Geimpften derweil zwar für grundsätzlich richtig. Die Tests müssten für Menschen aber bezahlbar sein, betonte sie. "Und wir dürfen nicht nur auf Sanktionen setzen, wir brauchen auch Anreize."
AfD warnt vor Spaltung - FDP fordert Eigenverantwortung
Die Landtags-AfD warnte vor eine Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte. "Durch sinnlose Testpflichten sollen Menschen, die die Impfung skeptisch sehen oder ablehnen, drangsaliert werden", kritisierte die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner. Während viele Länder längst zur gesellschaftlichen Normalität zurückgekehrt seien, hielten die Regierenden in Deutschland den Ausnahmezustand aufrecht - "ungeachtet der Seltenheit schwerer Krankheitsverläufe".
Bayerns FDP-Fraktionschef Martin Hagen sagte, die deutsche Corona-Politik stecke in einer Sackgasse. "Jetzt, wo sich jeder durch eine Impfung schützen kann, ist die richtige Zeit, die Einschränkungen zu beenden." Während Länder wie England und Dänemark zur Eigenverantwortung zurückkehrten, "würfeln Merkel und die Ministerpräsidenten wieder neue Inzidenz-Grenzwerte aus". Das Fazit des FDP-Politikers: "Armutszeugnis!"
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dominik Spitzer, kritisierte Holetscheks Forderung nach weiteren Parametern jenseits der Inzidenz. "Anstatt dem Bund die alleinige Verantwortung zuzuschieben, sollte sich Bayerns Gesundheitsminister lieber an die eigene Nase fassen", erklärte Spitzer. Die wichtigsten Parameter liegen ihm zufolge auf der Hand: "Die Auslastung der Intensivstationen sowie die Impfquote und die Reproduktionsrate muss in die Einschätzung der epidemiologischen Lage mit einbezogen werden."
Kostenpflichtige Tests: Freie Wähler einverstanden
Zu den voraussichtlich ab 11. Oktober kostenpflichtigen Tests sagte Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl dem BR: Es sei gut, dass nun ein Zeitpunkt genannt sei. "Ewige Zeiten wird der Staat diese Leistungen nicht erbringen können", ergänzte Streibl. Er betonte aber, dass die Tests für Schulkinder oder bestimmte andere Gruppen auch darüber hinaus kostenlos seien. In den kommenden zwei Monaten hätten nun alle bisher Ungeimpften die Gelegenheit, sich gegen Corona impfen zu lassen.
Schon vor der Ministerpräsidentenkonferenz hatte Streibl betont, seine Fraktion fordere "einen festen Zeitpunkt für die Beendigung der staatlichen Corona-Maßnahmen, sobald jeder Bundesbürger die Möglichkeit zu einer Impfung hatte". Nun legte er nach: Spätestens nach der Bundestagswahl wird die Debatte über einen solchen "Freedom Day" wie in Großbritannien laut Streibl auch hierzulande "heiß entbrennen". Innerhalb der bayerischen Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern dürfte das für Diskussionen sorgen. Denn Ministerpräsident Söder erklärte zuletzt mit Blick auf den Herbst: "Lieber vorher präventiv agieren, als hinterherzulaufen."
Kritik auch von VdK und Gastronomie
Kritik an den jüngsten Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz gibt es derweil auch von anderer Seite. Der Sozialverband VdK kritisierte, Pflegeheime seien bei den jüngsten Beschlüssen erneut vergessen worden. Für alle Besucher und Mitarbeiter müsse es weiter kostenlose Tests geben. "Nur so lassen sich Leben retten", teilte VdK-Präsidentin Verena Bentele mit. "Die ungeimpften Bewohner sind der Gefahr der Infektion besonders ausgesetzt, wenn wir jetzt nicht weiter testen."
Für die Gastronomie fordert der Verein zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK) mehr Verhältnismäßigkeit bei Zugangsregeln. "Das Gastgewerbe gilt seit Anbeginn der Corona-Krise als Sündenbock", beklagte Geschäftsführerin Ursula Zimmermann. "Dabei macht diese Branche einen zu vernachlässigenden Anteil in den Infektionen aus." Besonders für Clubs und Diskotheken gebe es bisher keine Öffnungsperspektive, betonte Zimmermann.
mit Informationen von dpa
Im Video: Das BR24live mit der Pressekonferenz nach dem Corona-Gipfel vom 10. August in voller Länge:
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