Stephan Bauhofer von der Bergwacht Bayern war 2014 als erster Retter beim verunglückten Höhlenforscher in der Riesending-Schachthöhle.
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Stephan Bauhofer von der Bergwacht Bayern war 2014 als erster Retter beim verunglückten Höhlenforscher in der Riesending-Schachthöhle.

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Damals im Riesending: Rettung aus 1.000 Metern Tiefe

Vor genau zehn Jahren verunglückt ein Forscher in der Riesending-Höhle. Wie soll man den Schwerverletzten von dort jemals wieder an die Oberfläche bringen? Zwölf Tage hält die Rettung die Welt in Atem.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

"So einen Notruf hat es bei uns davor noch nie gegeben und danach auch nicht mehr", erinnert sich Stephan Bauhofer von der Bergwacht Bayern in Kontrovers – Die Story. Damals, am Pfingstsonntag, erreicht die Bergwacht Bayern die Nachricht, dass es in der Riesending-Höhle einen Unfall gegeben hat. Die Höhle befindet sich im Untersberg-Massiv zwischen Berchtesgaden und Salzburg und ist die größte und tiefste Deutschlands. "Das Riesending hat nicht umsonst seinen Namen", erklärt Bauhofer. Johann Westhauser und zwei Kameraden sind seit Tagen in der Höhle unterwegs. Dann löst sich Gestein und trifft den Höhlenforscher auf den Kopf. 1.000 Meter unter der Erde. Die beiden Begleiter denken zunächst, er sei tot. Doch der damals 52-Jährige atmet.

Lebensfeindliche Bedingungen

Die Bergwacht Bayern ist mit einer Aufgabe konfrontiert, die sie so noch nie zu lösen hatte. Zunächst konnte sich niemand vorstellen, dass man eine schwerverletzte Person aus dieser Tiefe lebend retten könnte. In der Höhle gibt es tiefe Schächte, einer misst allein 180 Meter, Engstellen, Canyons und Wasserfälle. Die Temperatur beträgt konstant vier Grad bei annähernd 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Bedingungen, die wenig Hoffnung auf eine gelungene Rettungsaktion machen. Erschwerend kommt hinzu, dass an jenem Pfingstwochenende nur wenige Personen mit entsprechenden Höhlenkenntnissen für einen Einsatz zur Verfügung stehen. Stephan Bauhofer aus Berchtesgaden ist zwar Rettungssanitäter und Höhlenretter. Doch er war noch nie zuvor im Riesending. Trotzdem erklärt er sich bereit, gemeinsam mit einem österreichischen Höhlenforscher in die Tiefe zu gehen. Tatsächlich kommen die beiden in Rekordzeit bei dem Verletzten an. Nach nur sieben Stunden erreichen sie Johann Westhauser, der ohnmächtig auf einem wenig geeigneten Lagerplatz liegt. Bauhofer wird ihn dort tagelang pflegen und versuchen warmzuhalten.

Höhlenspezialisten aus ganz Europa helfen

Es wird vier Tage dauern, bis auch zwei Ärzte den Weg in 1.000 Meter Tiefe bewältigen können und eine Diagnose stellen. Der Verletzte leidet unter einem Schädel-Hirn-Trauma, ist halbseitig gelähmt, aber zwischenzeitlich wieder ansprechbar. Die Hoffnung, dass der Patient den Weg zurück an die Oberfläche vielleicht aus eigener Kraft bewältigen kann, ist damit zerschlagen. Zwischenzeitlich sind Höhlenspezialisten aus ganz Europa nach Oberbayern gekommen, um ihre Hilfe anzubieten. Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr, THW, Rotes Kreuz und die Bergwacht Bayern organisieren Material, Hubschrauberflüge und Einsatztrupps in und um die Höhle herum. Tagelang arbeiten rund 70 Menschen im Riesending – als Transporteure, als Bautrupps, um die Höhle mit Trittstiften, Schraubanker und Seilen auszustatten. Und es gibt Mannschaften, die sich mit dem Transport des Verletzten abwechseln.

Im Video: Kontrovers - Die Story: Riesending-Höhle: So lief die Rettung aus 1.000 Metern Tiefe ab

Der Transport beginnt

Nach sechs Tagen sind alle notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen und Westhauser befindet sich in einem transportfähigen Zustand. Die Rettung kann beginnen. Zum ersten Mal seit seinem Unfall wird Johann Westhauser Richtung Ausgang bewegt. Die Retter haben für ihn eine Trage und einen speziell ausgeschäumten Kopfschutz in die Tiefe gebracht, dabei sämtliche Engstellen austariert und kämpfen sich nun mit ihrer über 100 Kilogramm schweren Fracht nach oben. Meter für Meter. Mit Flaschenzügen, einer Seilbahn - aber auch mit reiner Muskelkraft.

Schauen, wie der Berg entstanden ist

Während der aufwändigen Rettungsaktion kam immer wieder die Frage auf, warum Menschen sich in solche Tiefen begeben. Sebastian Heiland ist Geologe und Höhlenforscher. Er war bei der Rettungsaktion vor zehn Jahren auch beteiligt und beschreibt in Kontrovers – Die Story, dass er nach wie vor regelmäßig seine Urlaube im Riesending verbringt. Ihn treibt wissenschaftliche Neugier in die Tiefe: "Ich möchte wissen, wie der Berg, auf dem ich stehe, entstanden ist."

Heiland und seine Höhlen-Kameraden bringen immer wieder Wasser- und Gesteinsproben mit an die Oberfläche. "Wir haben den Kies, der auf dem Höhlenboden lag, untersucht und Quarz darin gefunden. Als Geologe muss ich feststellen: Quarz kommt in unserem Kalksteingebirge eigentlich gar nicht vor. Wie ist das also da reingekommen?" Heiland und seine Forscherkollegen wollen herausfinden, wie und wann der Untersberg entstanden ist - Grundlagenforschung, von der andere Wissenschaftler profitieren können.

"Ein überwältigendes Erlebnis"

Johann Westhausers Weg an die Oberfläche wird sechs Tage in Anspruch nehmen. Dann erblickt er wieder Tageslicht und kann mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden. "Den Optimismus, dass wir den Verletzten rausbringen, den hat eigentlich jeder geteilt," erinnert sich Stephan Bauhofer von der Bergwacht Bayern. "Aber dass es dem Johann dann auch noch so gut geht, das war einfach überwältigend für uns Retter." Hinter den Helfern liegen zwölf Tage harte Arbeit, viel Geduld und Fingerspitzengefühl.

Höhle unter Verschluss

Eine Rettung aus so großer Tiefe hat es in Deutschland zuvor noch nie gegeben. Insgesamt haben sich 700 Spezialisten für den verletzten Höhlenforscher eingesetzt und zum Teil ihr eigenes Leben riskiert. Die Höhle wurde kurz nach der Rettungsaktion mit einem Gitter verschlossen, um etwaige Schaulustige abzuhalten. Den Schlüssel hat die Gemeinde Bischofswiesen. Ausgehändigt bekommen ihn nur Personen mit nachgewiesenem Forschungsvorhaben.

Forschung im Riesending geht weiter

Westhauser hat sich später bei den Einsatzkräften bedankt. Mittlerweile forscht er wieder in der Riesendinghöhle, viele weitere Kilometer sind erkundet und kartiert. Nach der spektakulären Rettungsaktion hat sich die Bergwacht Bayern in Bezug auf Höhlenrettungen anders aufgestellt. Seitdem finden regelmäßig groß angelegte, internationale Übungen mit den betreffenden Höhlenrettungsverbänden statt.

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