Tiergartendirektor Dag Encke blickt ernst in die Runde. Er und sein Team haben eine schwere Entscheidung hinter sich und eine schwere Ankündigung vor sich. Es geht um die Paviane im Tiergarten. Mehrere der Tiere sollen getötet werden. Den Verantwortlichen ist klar, dass sie damit erstmals eine Grenze überschreiten.
Paviangruppe zu stark gewachsen
Das Affenhaus im Nürnberger Tiergarten ist für 25 Paviane ausgelegt, momentan leben 45 Tiere in der Anlage. Dementsprechend leiden die Primaten unter viel Stress, es kommt oft zu Streit unter den sonst eher sozialen Tieren, der immer häufiger auch blutig endet. Den Kontrahenten fehlt schlicht der Platz, um sich aus dem Weg zu gehen, heißt es aus dem Tiergarten.
Lebensraum der Tiere wird immer kleiner
In der Vergangenheit hat es der Tiergarten bei den Pavianen mit Empfängnisverhütung versucht und gelegentlich auch Tiere an andere Zoos abgegeben. Trotzdem ist die Paviangruppe in Nürnberg weiter angewachsen. Eine Auswilderung einzelner Tiere sei auch keine Option, erklärt Tiergartenleiter Dag Encke. Denn der Tiergarten hält eine besondere Art von Pavianen, die Guinea-Paviane. In freier Wildbahn leben diese nur noch in verschiedenen westafrikanischen Ländern, hauptsächlich in Schutzgebieten. Dort sind aber so viele Paviane, dass für neue Tiere kein Platz mehr ist. Die Schutzgebiete stehen zudem selbst unter enormem Druck und kämpfen zum Teil ums Überleben. Der Tiergarten hat sogar bei einer Affenauffangstation angefragt. Doch diese führt bereits eine Warteliste für 200 konfiszierte Tiere.
"Keiner aus dem Tiergarten hält es für gut, was getan wird. Aber es ist vernünftig." Dag Encke, Leiter des Tiergartens Nürnberg
Jungtiere wichtig für Sozialleben von Pavianen
Die Paviangruppe in Nürnberg ist nicht nur zu groß, sondern auch überaltert. Wenn nun im Vergleich zu wenige Jungtiere nachkommen, gefährde das nicht nur die genetische Vielfalt sowie die Nachzucht, sondern zerstöre auch das soziale Gefüge, heißt es vom Tiergarten. Partnerwahl, Paarung, Geburten und Aufzucht spielten im Sozialleben der Tiere eine wichtige Rolle. Das Töten von Tieren für den Arterhalt scheine paradox, so Encke. Es sei aber unumgänglich und vernünftig.
Grafik: Natürliche und unnatürliche Altersverteilung bei Tieren
Mortalität in der Natur wichtiger Faktor der Arterhaltung
Auch in freier Wildbahn wird der Bestand einer Tierart über den Tod einzelner Tiere reguliert. Wenn etwa ein Silberrücken eine Gorillagruppe übernimmt, tötet er seinen Kontrahenten und dessen Nachkommen. So will nun auch der Tiergarten durch den Tod einzelner Tiere die genetische Vielfalt unter seinen Pavianen sicherstellen. Eine Alternative wäre nur, "wir kastrieren alles und geben auf", erklärt der Tiergartenleiter. Das gelte dann aber auch für alle anderen Primaten wie Gorillas oder Totenkopfäffchen.
Auch in anderen Situationen müsse der Mensch regulierend eingreifen. So würden zum Beispiel Biber getötet, wenn sie in Konflikt mit dem Menschen kommen, und Baumarten aus Südeuropa würden für den Waldumbau in Deutschland eingesetzt.
Andere Zoos planen Haltung von Guinea-Pavianen
Es ist internationaler Konsens, dass Guinea-Paviane zur Arterhaltung in Zoos gehalten werden sollen. Ihr Bestand wird von der Weltnaturschutzunion IUCN als gefährdet eingestuft. Andere Zoos, die bislang Bärenpaviane oder Steppenpaviane halten, wollen ihre Tiere sterilisieren und auch auf die Haltung der besonders gefährdeten Guinea-Pavianen wechseln. Dieser Prozess wird aber Jahrzehnte dauern.
Tote Paviane werden der Wissenschaft übergeben und verfüttert
Damit die Tiere nicht sinnlos sterben, werden sie zum Teil zu Forschungszwecken abgegeben und zum Teil an die Raubtiere im Tiergarten verfüttert. Dieses Vorgehen ist seit Jahrzehnten gängige Praxis in Zoos. In Nürnberg betrifft das vor allem Tiere, die außerhalb von Zoos auch für den menschlichen Verzehr getötet werden, also Huftiere, Kängurus, Nagetiere und Fische. Das Töten von Primaten ist für den Tiergarten aber das erste Mal. Deswegen rechnet man am Schmausenbuck mit einer sehr starken Reaktion aus der Gesellschaft und entschloss sich dazu, frühzeitig zu informieren.
Augsburger Zoo sieht Tiertötungen als letztes Mittel
Die Direktorin des Augsburger Zoos, Barbara Jantschke, sagte auf BR-Anfrage, dass auch in ihrem Zoo die Tötung von Tieren als letzte Option betrachtet wird, insbesondere wenn keine Möglichkeit zur Abgabe besteht. Sie sagte: "Bei manchen Tieren ist eine Abgabe nicht möglich. Bisher haben wir keinen Primaten schlachten müssen. Aber ich kann nicht ausschließen, dass das irgendwann mal der Fall sein wird," so Jantschke.
Empfängnisverhütung im Augsburger Zoo
Der Augsburger Zoo bemüht sich um Transparenz und informiert über solche Entscheidungen in seinem Newsletter. Zur Vermeidung von Überpopulation setzt der Zoo auf Empfängnisverhütung und die Bildung von Single-Sex-Gruppen. Bei der Entscheidung zur Tötung von Tieren wird eine Ethikkommission hinzugezogen, die sich aus dem Amtstierarzt, dem Tierarzt des Zoos, Tierpflegern und der Zoo-Leitung zusammensetzt. Jantschke betonte zudem, dass das Wohlergehen der Tiere stets im Vordergrund steht und schwierige Entscheidungen wie die Tötung von Tieren nicht leichtfertig getroffen werden: "Das macht keiner von uns gerne. Wir versuchen alles, um das zu vermeiden".
Der Augsburger Zoo hat in der Vergangenheit Tiere wie Mishmitakins, eine Rinderart, und Rotbüffel geschlachtet, wenn keine andere Lösung möglich war. Diese Maßnahmen werden laut Jantschke stets sorgfältig abgewogen und sind Teil eines umfassenden Managements, um das Gleichgewicht der Tierpopulationen im Zoo zu erhalten.
Tierschützer gegen Zucht und Tötung von Zootieren
Tierschutzorganisationen üben an den Plänen des Tiergartens massive Kritik. Die Entscheidung sei "eine Bankrotterklärung", sagt James Brückner vom Deutschen Tierschutzbund zu BR24. Dass im für 25 Paviane ausgelegten Gehege mittlerweile 45 Tiere leben, sei ein Problem, das der Tiergarten "sich über Jahre quasi herangezüchtet hat". Deswegen sei es auch unverständlich, "wenn man jetzt so tut, als hätte man keine andere Option", so Brückner. Das Problem der Überpopulation hätte man viel früher regeln können. Die Paviane nun töten zu wollen, sei "unverantwortlich".
Tierschutzbund: Tötung als "Populations-Management?"
James Brückner vom Tierschutzbund sieht im Vorgehen des Nürnberger Tiergartens auch keinen Einzelfall. Vielmehr sei zu beobachten, dass Zoos und Tiergärten das Töten von überzähligen Tieren als Methode für ihr Populations-Management etablieren wollen. Gerade der Nürnberger Tiergarten sei hier eine "treibende Kraft". Statt die Paviane zu töten, müsste der Nürnberger Tiergarten oder ein anderer Zoo Platz schaffen für die Tiere. Alternativ müsste man einen Zuchtstopp in Erwägung ziehen, was bedeute, dass man die betreffenden Tiere eben nicht weiter hält.
Peta fordert Zuchtstopp
Ähnlich kritisch sieht es auch die Tierschutzorganisation Peta. Sie fordert, die Zucht der Guinea-Paviane zu stoppen. "Wenn man nicht weiß, wo man die Tiere unterbringen soll oder ob man sie abgeben kann, braucht es eben den Zuchtstopp", so Yvonne Würz von Peta. Nur so lasse sich vermeiden, dass weiteres Tierleid entstehe.
Vor Kurzem rechtliche Hürden entstanden
Wie viele Paviane wirklich sterben müssen, ist noch unklar. Auch der Zeitpunkt steht noch nicht fest. Eine rechtliche Hürde ist erst vor Kurzem entstanden: Ein Kommentar zum Tierschutzgesetz stuft das Töten und Verfüttern von Zootieren grundsätzlich als gesetzwidrig ein. In dieser Hinsicht müssen sich die Experten im Tiergarten erst mit der rechtswissenschaftlichen Öffentlichkeit auseinandersetzen, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor juristischen Konsequenzen zu schützen.
Trächtige Weibchen und schlaue Tiere sind geschützt
Ausnahmen, welche Tiere auf keinen Fall getötet werden sollen, hat der Tiergarten auf jeden Fall schon geregelt: Weibchen müssen deswegen mit einem Netz gefangen und untersucht werden. Sind sie trächtig, kommen sie wieder zur Gruppe. Auch Paviane, die zuletzt in wissenschaftlichen Programmen mitgewirkt haben und etwa das Bedienen eines Tablets gelernt haben, sind außen vor, um nicht die monatelange Arbeit von Forschern zunichte zu machen.
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