Alle fünf bis sieben Jahre überarbeitet die Tiroler Landesregierung das "Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm" (TSSP). Der Öffentlichkeit sind Regelungen wie diese eher unbekannt, aber das TSSP bestimmt in Tirol seit 2005 die Raumordnung für Seilbahnen und Skigebiete.
Der Deutsche Alpenverein (DAV) ist wegen seiner vielen Hütten und Wege in Tirol auch in dem österreichischen Bundesland beteiligt und ein anerkannter Naturschutzverband. Die Kritik des DAV - gemeinsam mit dem Österreichischen Alpenverein (ÖAV) - an der Neuauflage des TSSP ist massiv: Es habe in seiner jetzigen Form keinen Wert mehr und müsse neu aufgelegt werden, heißt es.
"Ermöglichungsprogramm" statt Naturschutz
Mit jeder Neuauflage sei das TSSP seit 2005 immer weiter aufgeweicht worden, klagt Tobias Hipp, Experte für Naturschutz und Raumordnung im DAV, sodass es "nun eigentlich fast schon jegliche Skigebietserweiterung noch ermöglicht". So sind beispielsweise Eingriffe auch in mehrere unberührte Täler gestattet, wenn Skigebiete zusammengeschlossen werden. Auch können neue Lifte von bestehenden Skigebieten aus gebaut werden, wenn sie nur ein bis dahin unberührtes neues Gebiet, eine sogenannte Geländekammer, neu erschließen.
Trotzdem bekräftigt die Tiroler Landesregierung dem Bayerischen Rundfunk auf Anfrage, "dass am Verbot von Neuerschließungen festgehalten wird". Seilbahnen auf den Piz Valgronda im Skigebiet Ischgl oder auf den Schatzberg im Alpbachtal zählen zu den umstrittenen Neubauten.
Streitpunkt Gletscherschutz im Pitztal und Kaunertal
Die Alpenvereine in Deutschland und Österreich kritisieren insbesondere auch Sonderschließungsgebiete, die im Gletscherschutz des TSSP vorgesehen sind. Aktuell entladen sich die Konflikte im Pitztal und im Kaunertal, wo die Gletscherbahnen jeweils eine knapp zwei Kilometer lange Seilbahn am Linken Fernerkogel im Pitztal und an der Weißseespitze im Kaunertal bauen wollen.
Beide Verfahren liegen derzeit vor dem Bundesverwaltungsgericht in Wien. Die Tiroler Landesregierung hatte bei beiden Projekten eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung festgesetzt. Dagegen legten die Pitztaler und Kaunertaler Gletscherbahnen Beschwerde ein. Erst kürzlich demonstrierten Bürgerinitiativen und Umweltgruppen wie "Protect Our Winters" vor Ort wieder gegen die Pläne.
Klare Endausbaugrenzen
Gemeinsam mit dem ÖAV fordert der DAV eine gründliche Neuauflage des TSSP, die klare Endausbaugrenzen der Skigebiete festlegt. Für die Alpenvereine sind diese längst erreicht. Statt zahlreicher einzelner Konfliktherde gäbe es Klarheit, "wenn man die Endausbaugrenzen und den Gletscherschutz ein für allemal festlegt", so Tobias Hipp (DAV). "Dann können wir den sanften Tourismus entwickeln und uns um unsere Naturschutzprojekte kümmern in einer konstruktiven und positiven Weise."
Entscheidung im stillen Kämmerlein
Während Hipp inzwischen einen Stimmungswandel in der Tiroler Bevölkerung gegenüber weiteren Seilbahn- und Skigebietsausbauten bemerkt haben will, wird die weitere Diskussion um die Neuauflage des TSSP jetzt im nicht öffentlichen Teil des Verfahrens in der Tiroler Landesregierung geführt. Dort werden sämtliche Stellungnahmen, die bis zu diesem Freitag einging, bearbeitet.
Ob und inwieweit die geharnischte Kritik der Alpenvereine in die Neufassung der Skigebietsraumordnung einfließt, zeigt sich, wenn das neue Seilbahnprogramm veröffentlicht wird. In einer ersten Reaktion in der "Tiroler Tageszeitung" bezichtigte der zuständige Landesrat Mario Gerber von der konservativen Österreichischen Volkspartei die Alpenvereine und weitere Alpenschutzorganisationen bereits einer "Blockadehaltung". Sie würde das Wirtschaftswachstum in Tirol hemmen.
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