"Gefangene haben einfach keine Lobby. Umso wichtiger ist Ihr Beitrag", schreibt uns Diakon Peter Wellkamp nach der Berichterstattung über die JVA Kaisheim. Gefangene und Anwälte hatten Vorwürfe erhoben: Um Drogen, eingeschmuggelte Handys und harte Strafen sowie zu wenig Resozialisierungsmöglichkeiten ging es da. Dinge, die benannt werden müssen, meint Peter Wellkamp. Sehr viele Gefangene in Kaisheim hätten ein Drogenproblem, meint er, viele seien psychisch auffällig. Den Sozialarbeitern mache er keinen Vorwurf, sie seien überlastet, auch Drogenberater gebe es zu wenige.
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Wellkamp war zunächst in der JVA Gablingen, ab 2019 dann in der JVA Kaisheim als Gefängnisseelsorger tätig. Seit dem 1. Juni ist er in Ruhestand. Zuvor war er jeden Werktag in der JVA und hatte das, was viele Bedienstete dort zu wenig haben: Zeit. Zeit, Gefangenen zuzuhören. Wellkamp konnte Gespräche führen, ohne alles dokumentieren zu müssen. Für die Gefangenen sei das etwas Besonders gewesen. Sie seien dankbar gewesen, wenn sie von ihm nicht auf ihre Tat fixiert wurden, sondern als Menschen gesehen wurden.
Dankesbriefe von Gefangenen: Für die Zeit und das Zuhören
Peter Wellkamp sitzt in seinem Garten, einen gelben Schnellhefter in der Hand. Darin: Briefe von Gefangenen. Er liest einige Stellen vor. "Ihren barmherzigen, unermüdlichen seelsorgerischen Beistand werde ich immer in Erinnerung halten", steht da, von Hand geschrieben. Der Schreiber möchte ihm danken, von ganzem Herzen. Wellkamp habe ihm "Kraft, Lebensmut und Licht" gegeben, "in dieser schweren Zeit", schreibt ein anderer. Dafür sei er sehr dankbar.
Er habe sie alle gleich behandelt, sagt Wellkamp. Egal ob Mörder oder Schwarzfahrer. "In unserem Grundgesetz steht, die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt natürlich auch für die Würde von Gefangenen." sagt der Diakon. Klar, die Gefangenen seien kriminell geworden. Das streite ja auch keiner ab. Dennoch habe er großen Wert darauf gelegt, sie wertschätzend und mit Respekt zu behandeln. "Und, die Dankbarkeit, die ich da gespürt habe, hat mir gezeigt, wie wichtig das ist: Man darf Menschen nie festlegen und dieser dumme, wirklich dumme Spruch "einmal kriminell immer kriminell" ist einfach falsch und wird den Menschen nicht gerecht".
Telefonieren für Gefangene in anderen Bundesländern schon lange erlaubt
Sein Anliegen war es auch, Hürden abzubauen. Die Sozialarbeiter seien häufig überlastet, so Wellkamp, es gebe einfach zu wenige. Viele Gefangene hätten aber manchmal das dringende Bedürfnis, kurz zu telefonieren. Sei es mit der Frau, die im Krankenhaus liege, oder mit der Drogenberatung. Das habe er ihnen ermöglicht, die Sozialarbeiter danach darüber informiert. Kleine Dinge, aber er habe gemerkt, "wie viel man schaffen kann, ohne Klimmzüge zu machen".
In anderen Bundesländern, etwa in Berlin, können Gefangene mit bestimmten Kontakten auch in ihrer Zelle telefonieren. In Bayern ist das seit etwa einem Jahr auch erlaubt, laut dem Kaisheimer Anstaltsleiter plant man auch, das umzusetzen.
Peter Wellkamp fragt sich allerdings, warum das so lange dauert: "Ich kann das nicht verstehen. Es wäre sehr wichtig, dass die Gefangenen über Telefon wenigstens mehr Kontakt zu Familien, zu Freundinnen halten können. Deshalb habe ich es auch als Seelsorger für nötig gesehen, ihnen diese Möglichkeit zu verschaffen", sagt er. Bei bundesweiten Treffen mit anderen Gefängnisseelsorgern habe er immer festgestellt, wie unterschiedlich die Vorschriften in den Haftanstalten seien.
"Man hat immer einen Spielraum - auch im Gefängnis"
Für Wellkamp war es wichtig, dass die Gefangenen im Gespräch mit ihm wieder lernten, sich zu spüren und den Bezug zu sich selbst wieder zu finden. Nur so könne man merken, wenn Aggressionen hochsteigen, um dann auch damit umgehen zu können. "Ich wollte den Männern in dieser totalitären Institution Gefängnis zeigen, dass sie auch dort einen Spielraum haben, so oder so zu reagieren".
Überhaupt hätten die Gefangenen den Glauben als wichtige Kraftquelle erlebt, um die schwierigen Lebensbedingungen zu meistern. Ein gut besuchter Bibel- und Meditationskreis boten dabei konkrete Unterstützung an, über die intensiv gesprochen wurde. Dabei wurde der Glaube bei etlichen Gefangenen als wichtige Kraftquelle erlebt, um die schwierigen Lebensbedingungen zu meistern.
Klar gebe es in einem Gefängnis Vorschriften, die müssten auch eingehalten werden. Dennoch haben die Gefangenen bei der Auslegung dieser Vorschriften die Freiheit, so oder so zu handeln. Gemeinsam mit den Gefangenen habe er erörtert: wo lag deren Anteil am Verbrechen, wo haben schwierige Umstände eine Rolle gespielt? An den Umständen könne man oft nichts ändern, wohl aber an sich selber arbeiten. "Diese Freiheit haben sie", sagt Wellkamp. Sich selbst und die Tat zu reflektieren, das sei auch sehr wichtig für die Zeit danach, die Zeit in Freiheit.
Haft ist teuer – etwa 150 Euro kostet ein Tag im Gefängnis den Staat
Der Strafvollzug sei teuer, etwa 120 bis 150 Euro koste ein Gefangener den Staat pro Hafttag. Dabei sei das Gefängnis für viele gar nicht der richtige Ort, meint Wellkamp, der vor seiner Zeit als Gefängnisseelsorger in der Psychiatrie gearbeitet hat. Im Gefängnis habe er viele psychisch kranke Menschen kennengelernt. Die gehörten eigentlich in die Psychiatrie, nicht ins Gefängnis.
Doch die Forensiken hätten keine Kapazitäten. Immer wieder kommt es in Gefängnissen zu Suiziden. In Kaisheim sind, wie die Anstaltsleitung bestätigt, die Arrestzellen immer besetzt. So eine Unterbringung, über Tage alleine in einer Zelle, ohne persönliche Gegenstände, das setze manchen Gefangenen psychisch stark zu. Seinem Eindruck nach mache die Haft viele krank. Das wiederum sorge für Folgekosten.
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