Begleitet von mehreren Demonstrationen ist in München eine Drag-Lesung für Kinder veranstaltet worden. Anders als angemeldet waren weit mehr Personen vor Ort, die die Lesung verteidigten.
Rund 225 Personen erschienen nach Polizeiangaben vor der Stadtteilbibliothek in Bogenhausen, um gegen die Veranstaltung zu protestieren - darunter 100 Menschen auf der Demo der AfD München-Ost, 25 bei der Demo vom Verein "Stimme der Stillen" und noch mal 100 Personen bei der Demo eines privaten Demo-Anmelders.
Über 500 Menschen demonstrierten für die Drag-Lesung
Gleichzeitig folgten über 500 Personen dem Aufruf der Solidaritäts-Demo von "München ist bunt", die die Drag-Lesung befürworten, so die Polizei. Der Münchner Verein setzt sich für Toleranz und gegen Rassismus ein und hatte eigentlich selbst nur mit 50 Demo-Teilnehmenden gerechnet.
Vor den Toren der Bibliothek sangen die beiden Seiten mit Sprechchören gegeneinander an, während die Lesung drinnen friedlich und ungestört begann. Die Stadtteilbibliothek Bogenhausen bestätigte indes, dass das Haus über Nacht beschmiert wurde und diverse Drohnachrichten erhielt.
200 Polizisten im Einsatz
Die Polizei war wie angekündigt mit etwa 200 Beamten vor Ort. Da beide Demonstrationen direkt nebeneinander stattfanden, kam es vor der Stadtteilbibliothek zu einem direkten Aufeinandertreffen beider Seiten. Kurz nach Beginn der Lesung in der Stadtteilbibliothek hatten Demonstrierende von "München ist bunt" den gesamten Bereich, in dem die Veranstaltung der AfD stattfinden sollte, eingekreist und versuchten, die Demonstration der AfD zu stören.
Ermittlungen wegen Hausfriedensbruch
Die Besucher der Lesung wurden indes über einen Hintereingang in die Stadtteilbibliothek gelotst. Die Lesung fand unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit statt; dabei sein durfte nur, wer sich für die Veranstaltung angemeldet hatte. Allerdings hätten sich sieben Personen als Besucher der Bibliothek ausgegeben, seien dann in das Gebäude gegangen und hätten schließlich T-Shirts angezogen mit Logos, die der Identitären Bewegung zuzuordnen sind. Gegen die Personen werde nun wegen Hausfriedensbruch ermittelt, sagte Werner Kraus, Pressesprecher der Polizei München.
Das Motto der Lesung in der Münchner Stadtbibliothek im Stadtteil Bogenhausen lautete "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt". Nach Angaben der Stadtbibliothek sollten bei der Lesung Kinder ab vier Jahren in farbenfrohe Welten mitgenommen werden, die zeigen, was das Leben unabhängig vom Geschlecht für sie bereithält, wenn sie an ihren Träumen festhalten. Die 75 Plätze waren laut Bibliothek schnell ausgebucht.
Im Audio: Begleitet wurde die Lesung von Demonstrationen - die Befürworter waren dabei klar in der Überzahl
💡 Was ist eine Dragqueen / Was ist ein Dragking?
Dragqueens sind – meist, nicht immer – Personen, denen bei Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, und die u.a. im Rahmen von künstlerischen Performances Weiblichkeit(-en) darstellen bzw. parodieren. Beim gezielten Einsatz von Geschlechter-Zeichen geht es dabei zum Teil um das Aufzeigen der Konstruiertheit von Geschlecht, aber auch teilweise um den Ausdruck eigener Identitäten. Es gibt Dragqueens und Dragkings, wobei Dragqueens "Frauen" überzeichnet darstellen und Dragkings "Männer". Quelle: Sauer, Arn (2018): LSBTIQ-Lexikon. Grundständig überarbeitete Lizenzausgabe des Glossars des Netzwerkes Trans*Inter*Sektionalität. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn. / https://100mensch.de/dragqueen-und-dragking/
Im lila Prinzenkostüm und weißem Kleid
Dragking "Eric BigClit" kam in einem lila Prinzenkostüm zu der Lesung. Dragqueen Vicky Voyage erschien in langem weißem Kleid und weißer Perücke. Der Dragking las den Kindern die Geschichte "Der Junge im Rock" vor. Darin geht ein Bub im Rock in den Kindergarten. "Echte Jungs ziehen Hosen an", lästern die Kinder. Felix ist verunsichert - bis sein Vater eine Idee hat. Später folgten noch Ausschnitte aus dem New-York-Times-Kinderbuch-Bestseller "Ein Tag im Leben von Marlon Bundo", sowie aus "Puppen sind doch nichts für Jungen". Und in "Flora und der Honigkuss" will eine Prinzessin partout keinen der Frösche heiraten, die ihr die Eltern der Reihe nach vorstellen. Eine Qual für Flora - bis Mila auftaucht. Die Bilderbücher thematisieren zum Beispiel Patchwork- und Regenbogen-Familien, aber auch, wie einengend und belastend geschlechterspezifische Kleidung und Spielzeug für Kinder sein kann.
Eiskönigin und kleiner Prinz
Bei der Lesung wurde gelacht, gesungen und erzählt. Vicky Voyage schwebte im Prinzessinnenkleid herein, mit schwingendem Rock und Zopf-Perücke. "Lass jetzt los", sang sie, Prinzessin Elsas Lied aus dem Film "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren". Ihr Begleiter stellte sich den Kindern als Prinz Eric vor, im Gewand des "Kleinen Prinzen" von Antoine de Saint-Exupéry.
Die kleinen und großen Besucher und Besucherinnen lauschten der Botschaft, sich nicht zu verbiegen und nicht zu viel auf die Meinung anderer zu geben.
Hasskommentare und Morddrohungen
Den Kindern habe die Lesung gut gefallen, sagte Drag Queen Vicky Voyage bei einer Pressekonferenz nach der Lesung. Sie hätten viele Fragen gestellt, einige hätten auch Fotos mit dem Drag King und der Drag Queen gewollt. Vor allem aber die Diskussionen im Vorfeld der Veranstaltung hätten an den Nerven der beiden Drag Künstler gezerrt: "Wir mussten für eine Sache, die eigentlich selbstverständlich hätte sein sollen, sehr kämpfen", so Voyage. Neben den vielen Hasskommentaren habe Voyage auch Morddrohungen erhalten. Auch kritisierten die beiden Drag-Künstler, dass der Druck auf die dritte geladene Leserin, Julana Gleisenberg, so groß gewesen sei, dass sie schlussendlich nicht an der Veranstaltung teilnahm. Sie hatte eigentlich aus ihrem Buch "Julana, endlich ich" vorlesen sollen, in dem sie ihre Transidentität thematisiert.
Diskussion um den Künstlernamen "Eric BigClit"
"Wir brauchen Vorbilder, die zeigen, dass es okay ist, anders zu sein, das ist die schlichte Botschaft", sagt der Direktor der Stadtbibliothek, Arne Ackermann.
Der vieldiskutierte Künstlername des Drag Kings, "Eric BigClit", sorgte auch auf der Pressekonferenz noch einmal für Diskussionen. Der Direktor der Münchner Stadtbibliothek sagte: "Ich finde es unsäglich, wie wir einen medizinischen Begriff derart aufladen können".
Die Sorge um die Frühsexualisierung wollten beide Drag-Künstler aber erneut ausräumen: Beide hätten sich einem Kinderpublikum angemessen "aufgehübscht", sagte Vicky Voyage, die im ausladenden, weißen Kleid mit weißer Perücke auftrat. Eric BigClit war in einem Königskostüm aufgetreten.
Politiker kritisieren Lesung
Schon im Vorfeld hatten konservative und rechtspopulistische Politiker die Veranstaltung kritisiert. Die Münchner CSU störte sich vor allem an den Namen der Dragkünstler. Hubert Aiwanger von den Freien Wählern sah gar Kindswohl gefährdet und einen Fall fürs Jugendamt. Die AfD hatte für ihre Gegen-Demonstration Plakate mit dem Text "Hände weg von unseren Kindern! Genderpropaganda verbieten!" im Stadtgebiet aufgehängt.
Strafanzeige gegen AfD-Plakat
Wegen dieser Plakate haben sowohl die Linke in Bayern als auch ein Münchner Pfarrer Strafanzeige gegen die Bayern-AfD erstattet - unter dem Vorwurf der Volksverhetzung. Der Text im Zusammenhang mit dem Bild nehme offen Anleihen an antisemitischen Karikaturen der NS-Zeit, teilte die Partei mit. Der katholische Priester Wolfgang Rothe sagte gegenüber dem BR: "Mir war sofort klar, dass ich Anzeige erstatten muss". Zumal die Plakate unweit der Kirche hingen, in der er Gottesdienst feiert. Gerade Christen, so sagt er, müssten bei "Hass und Hetze gegen queere Menschen" endlich klare Kante zeigen.
Münchner Stadtbibliothek will Vielfalt
Die Münchner Stadtbibliothek hatte die Kritik von CSU, Freien Wählern und der AfD zurückgewiesen. Das breit aufgestellte Programm richte sich an eine vielfältige Stadtgesellschaft, hieß es in einer Stellungnahme. Auch die Landesarbeitsstelle Aktion Jugendschutz äußerte sich positiv über die Lesung. Zwar seien die Namen der Drag-Künstler missverständlich, doch das sei Kindern egal, so ein Sexualpädagoge.
Nicht die erste Drag-Lesung
Dass Drag-Künstler Kindern Bücher vorlesen, ist keine neue Idee. Schon letztes Jahr gab es in der Münchner Stadtbibliothek laut eigener Aussage eine Drag-Lesung. Damals störte sich aber nach Angaben der Stadtbibliothek kaum einer daran.
Im Video: Drag-Lesung für Kinder von Demonstrationen begleitet: 500 Menschen für ein buntes München
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