Ein Satz von Horst Seehofer sorgte 2018 für besonders viel Aufsehen: "Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land", lautete die damalige Einschätzung des früheren CSU-Ministerpräsidenten in einem Zeitungsinterview. Seehofer sagte das nicht, um Allianzen mit der AfD zu schmieden - ganz im Gegenteil. Die Äußerung fiel als Reaktion auf das Erstarken der Partei rechts der CSU. Mit einem Kurswechsel hin zu mehr Ordnung in der Migrationspolitik wollte Seehofer Vertrauen in der Mitte zurückgewinnen.
Die Spitzenkandidatin der AfD, Katrin Ebner-Steiner, machte am Mittwochabend in der BR24 Wahlarena dennoch deutlich, dass sich ihre Partei das "Mutter-aller-Probleme"-Zitat vollends angeeignet hat. Es war nahezu egal, welche Frage aus dem Publikum kam - als Lösung nannte Ebner-Steiner fast immer eine härtere Gangart gegen Migranten.
Altbekanntes zu Migration - doch die AfD trifft damit einen Nerv
In Bayerns Schulen sinke das Bildungsniveau, weil immer weniger Deutsch gesprochen werde; wenn Ausreisepflichtige konsequent abgeschoben würden, gäbe es freie Wohnungen; und mit eingespartem Geld bei Migranten könne man Krankenhäuser und Pflege im Freistaat finanziell besser ausstatten. Keine Migration, keine Probleme - so das heruntergebrochene Mantra von Ebner-Steiner.
Neu ist diese thematische Einbahnstraße nicht, die Forderungen der AfD sind altbekannt. Und dennoch trifft die Partei damit in Teilen der Bevölkerung einen Nerv. Die Debatte um Zuwanderung hat jüngst wieder an Fahrt aufgenommen. Im aktuellen BR24 BayernTrend ist das Thema gar auf Platz eins der wichtigsten Probleme im Freistaat gesprungen.
Bei der Frage nach Lösungskompetenz rund um Asyl und Geflüchtete hat die AfD zugelegt und steht nach wie vor auf Platz zwei hinter der CSU, aber noch vor den Freien Wählern. Insgesamt ist die Zustimmung für die Partei von Ebner-Steiner leicht angestiegen auf 13 Prozent. Es ist kein Zufall, dass auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Thema Migration zuletzt wieder stärker adressierte und eine Begrenzung des Zuzugs forderte.
Ebner-Steiner stellt ihre Partei als konstruktive Kraft dar
Gegenüber Geflüchteten formulierte Ebner-Steiner in der BR24 Wahlarena also einen schärferen Kurs. Wenn es dann aber doch mal um andere Themen ging, gab sich die AfD-Spitzenkandidatin beschwichtigend. Ihre Partei sei zwar für den Erhalt von Förderschulen, finde es aber "überhaupt nicht schlimm, wenn behinderte Menschen in Regelklassen sind". Zwar sei die Konstellation "Mutter, Vater, Kind" die "Idealvorstellung", aber "überall wo Liebe ist, muss auch eine Beziehung stattfinden können" - selbstverständlich dürften auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten und Kinder haben.
Ein Fragesteller äußerte sich beim Thema Zuwanderung besorgt, sagte aber auch, solange die AfD "Neonazis" wie ihren thüringischen Landeschef Björn Höcke bei sich dulde, sei die Partei für ihn unwählbar. "Ich kann Ihnen versichern, dass solche Personen nicht in unserer Partei sind", entgegnete Ebner-Steiner. Für sie ist Höcke demnach kein Neonazi. Ebner-Steiner und der AfD-Rechtsaußen gelten als freundschaftlich verbunden und unterstützen sich gegenseitig politisch.
In der Wahlarena klang es so, als würde Ebner-Steiner sagen wollen: So schlimm, wie ihr meint, sind wir gar nicht. Die Spitzenkandidatin stellte ihre Partei als konstruktive politische Kraft dar. Ein Beispiel sei der Gesetzentwurf der CDU in Thüringen zur Senkung der Grunderwerbssteuer, der mit Stimmen der dortigen AfD um Fraktionschef Höcke beschlossen wurde. In Ostdeutschland werde die AfD demnächst "in bestimmt ein oder zwei Bundesländern an der Regierung sein", nimmt Ebner-Steiner an.
"Wir sind drin im System"
Die Diskussion um eine "Brandmauer" zu ihrer Partei verstehe sie nicht. Ebner-Steiner verwies auf mehrere Berichtsanträge der AfD in der ausklingenden Legislatur, denen andere Parteien in Ausschüssen des bayerischen Landtags zugestimmt hatten. Für die 45-Jährige ein Beleg, dass die Brandmauer im Freistaat "nicht so hoch" sei: "Wir sind drin im System und können positiv für unsere bayerischen Bürgerinnen und Bürger wirken."
Sätze wie dieser könnten bedeuten, dass die AfD genug hat von Fundamentalopposition in Bayern und stattdessen mitregieren will. Es ist jedoch genauso gut möglich, dass solche Aussagen vor allem dazu dienen, später den Vorwurf erheben zu können, man werde ausgeschlossen und dürfe nicht mitmachen: Eine realistische Chance auf einen Platz in der Staatsregierung hat die AfD nämlich nicht. Dass der Bayerische Verfassungsschutz den AfD-Landesverband beobachten darf, dürfte nur ein Grund von vielen sein. Alle anderen Parteien haben eine Koalition klar ausgeschlossen.
Das Problem der AfD: In Bayern hat sie einzigartige Konkurrenz
Die Kritik eines Fragestellers, die AfD betreibe populistische Politik, nahm Ebner-Steiner gar nicht als solche auf. Populismus heiße "dem Volk aufs Maul schauen", so die Spitzenkandidatin. Der Fragesteller widersprach prompt: Populismus sei, für komplexe Sachverhalte einfache Lösungen anzubieten, die es nicht gebe. So oder so: Mit Blick auf die Landtagswahl ist das Problem der bayerischen AfD, dass es mit Hubert Aiwanger hierzulande einen Politiker gibt, der die Strategie des "Aufs-Maul-Schauens" nahezu perfekt beherrscht.
Der Freie-Wähler-Chef langt verbal gerne derb zu und scheut kaum einen Frontalangriff auf die Linken, Grünen und Woken. Aus Sicht seiner Anhänger bleibt Aiwanger aber trotz seiner gelegentlichen populistischen Ausfallschritte in Bayerns Bierzelten ein Realpolitiker und er hat wenigstens eine Legislatur an Regierungserfahrung vorzuweisen - ein Pfund, mit dem Ebner-Steiner und Co. nicht wuchern können. Aktuell erzielt die AfD in den anderen Bundesländern mehrheitlich höhere Umfragewerte als im Freistaat. In den anderen Bundesländern gibt es zwar auch die Freien Wähler - einen Konkurrenten namens Hubert Aiwanger gibt es jedoch nur in Bayern.
Die BR24 Wahlarenen
An drei Abenden finden sechs einzelne Wahlarenen in der Länge von jeweils 30 Minuten statt. Das Konzept der BR24 Wahlarenen ist angelehnt an die Sendung "jetzt red i", ein Sendeformat des BR, in dem Bürgerinnen und Bürger live vor Ort mit verantwortlichen Politikerinnen und Politikern über aktuelle Themen diskutieren. Es moderieren Franziska Eder und Christian Nitsche, Helene Reiner greift die Fragen aus dem Netz auf.
Bei jeder der drei Sendungen haben etwa 90 Studiogäste die Möglichkeit zur Teilnahme. Um den speziellen Anforderungen der Wahlsendungen gerecht zu werden, soll das Publikum in seiner Zusammensetzung die ganze Breite der bayerischen Bevölkerung widerspiegeln - die Auswahl des Publikums besorgt jeweils das Institut Infratest dimap.
Die weiteren BR24 Wahlarenen, in denen sich die Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien den Fragen von Bürgern stellen, finden am Mittwoch, 27. September (20.15 Uhr Florian von Brunn, SPD, sowie 21 Uhr Martin Hagen, FDP) statt. Am 13. September waren Markus Söder (CSU) und Ludwig Hartmann (Grüne) zu Gast in der Wahlarena, am 20. September neben Hubert Aiwanger auch Katrin Ebner-Steiner (AfD).
Der BR24 Kandidaten-Check:
BR24 Kandidaten-Check: Wofür stehen die Direktkandidatinnen und -kandidaten der Landtagswahl in Bayern? Ihnen allen haben wir dieselben Fragen zu den relevantesten Themen des Wahlkampfs gestellt, mehr als 800 haben teilgenommen. Geben Sie im Tool Ihren Wohnort, Stimmkreis oder Ihre Postleitzahl ein und finden Sie heraus, wie die Bewerber geantwortet haben:
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