Die FDP-Fraktion im bayerischen Landtag bekommt prominenten Zuwachs: Der CSU-Abgeordnete und frühere Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer wechselt zu den Liberalen, wie er in München bekanntgab. Die Christsozialen reagierten verärgert.
Zur Begründung erklärte der 66-Jährige auf einer Pressekonferenz, dass er schon immer große inhaltliche Schnittmengen mit der FDP verspürt habe, etwa bei Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik. Zugleich räumte er Probleme in seinem CSU-Heimatverband ein. In seinem Stimmkreis in Schwaben drohte ihm ein Machtkampf um die Landtagskandidatur - für Pschierer die Initialzündung für den Wechsel.
Pschierer beklagt "Intrigantenstadl"
Das Vertrauensverhältnis zu bestimmten Führungspersonen in der schwäbischen CSU sei zerstört, dort habe es in den vergangenen Tagen inakzeptable Vorgänge gegeben, sagte Pschierer und fügte an: "In dem Intrigantenstadl wollte ich diese Legislaturperiode nicht zu Ende bringen."
Deshalb suche er eine neue politische Heimat, und dabei komme nur die FDP infrage, so Pschierer. Ob er bei der nächsten Landtagswahl für die FDP kandidieren wolle, sei für ihn noch nicht ausgemacht.
FDP-Fraktionschef Martin Hagen teilte mit, die Fraktion habe einstimmig beschlossen, Pschierer aufzunehmen. Dieser sei ein Gewinn für seine Partei – die CSU verliere eine ihrer letzten marktwirtschaftlichen Stimmen.
Fast 30 Jahre für die CSU im Landtag
Seit 1994 saß Franz Josef Pschierer für die CSU im Landtag. In der Regierung von Horst Seehofer diente er längere Zeit als Staatssekretär. Im März 2018 ernannte ihn Seehofers Nachfolger Markus Söder zum Wirtschaftsminister. Nach der Landtagswahl acht Monate später ging das Ministerium an die Freien Wähler - und Pschierer wurde nicht mehr fürs Kabinett berücksichtigt. Das hatte ihn bitter enttäuscht - und wirkt bis heute nach.
Zuletzt zählte der 66-jährige Pschierer nicht mehr zur ersten Reihe in der CSU. Der schwäbische Politiker ist aber Landesvorsitzender der einflussreichen Mittelstandsunion. Immer wieder scheute er sich nicht, den Kurs von Ministerpräsident Söder zu kritisieren - zum Beispiel in der Corona-Politik.
"Charakter in der Ministerkarosse vergessen"
In der CSU-Fraktion wurde der Wechsel Pschierers wütend aufgenommen: "Offensichtlich hat da einer seinen Charakter in der Ministerkarosse vergessen - erbärmlich", schrieb der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, Tobias Reiß, bei Twitter.
CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer verwies auf die bevorstehende Kampfabstimmung in Pschierers Stimmkreis und sagte: "Ich habe kein Verständnis, wenn jemand politische Überzeugungen, die er über Jahre an maßgeblicher Stelle für die CSU vertreten hat, über Bord wirft, um seine Haut zu retten." Der Abgeordnete Klaus Stöttner sprach von einer "total egoistischen Entscheidung", er hätte mehr Vernunft von Pschierer erwartet.
"Kränkung und Verbitterung" bei Pschierer
Auch der Kaufbeurer Oberbürgermeister Stefan Bosse (CSU) zeigt sich „überrascht, traurig und enttäuscht“ von der Entscheidung Franz-Josef Pschierers, zur FDP zu wechseln. Die nahezu 18 Jahre, in denen er jetzt OB von Kaufbeuren ist, hätten Pschierer und er immer gut zusammengearbeitet und ein enges Verhältnis aufgebaut, so Bosse. Allerdings hätte sich Franz-Josef Pschierer in den vergangenen fünf Jahren verändert, nachdem er Ende 2018 das Amt als bayerischer Wirtschaftsminister abgeben musste. Die Entscheidung, nun die Partei zu wechseln, sei, so Bosse, wohl auch "Ausdruck dieser Kränkung und Verbitterung".
Gegenkandidatur im Stimmkreis
Vergangenen Montag habe diese "Kränkung" laut Bosse eine neue Dimension erhalten, nachdem der Bürgermeister aus Markt Wald, Peter Wachler, seine Kandidatur um das CSU-Direktmandat für den Wahlkreis Kaufbeuren öffentlich gemacht hatte. Diese Kandidatur habe er laut Bosse "ganz höflich und vorsichtig" vorgebracht und wollte sie keineswegs als Kampfabstimmung gegen Franz-Josef Pschierer verstanden wissen. Auch im BR-Gespräch betont der 41-jährige Peter Wachler, dass er sich nach eigenen Angaben mit Pschierer gerne dem Votum der Delegierten gestellt hätte.
Der Vorsitzende des CSU-Kreisverband Unterallgäu, Martin Osterrieder, sagte dem BR, Pschierers Wechsel komme vollkommen überraschend, bislang habe nichts darauf hingedeutet. Den Austritt Pschierers aus der CSU müsse er akzeptieren, auch wenn er die Entscheidung nicht verstehe, so Osterrieder.
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Nächster Coup für die FDP
Mit dem Wechsel des Abgeordneten Pschierer wächst die Fraktion der FDP nun von bisher elf auf zwölf Mitglieder an. Die CSU-Fraktion verliert nach Alfred Sauter und Franz Rieger – beide sind derzeit fraktionslos im Landtag - nun das dritte Mitglied und ist künftig mit 82 Abgeordneten im Landtag vertreten.
Bereits kürzlich hatte die FDP in Bayern schon einen Coup vermelden können: Susanne Seehofer, 31-jährige Tochter des einstigen CSU-Ministerpräsidenten, kandidiert zur Landtagswahl im kommenden Jahr für die Liberalen. Bayern dürfe man nicht den Christsozialen überlassen, sagte sie.
Freie Wähler reagieren mit Spott
Der Fall Pschierer wird von den anderen Parteien unterschiedlich bewertet: Die Freien Wähler reagierten mit Spott, ihr parlamentarischer Geschäftsführer Fabian Mehring erklärte, die FDP scheine "jeden Strohhalm" zu ergreifen, um in Bayern über der Fünf-Prozent-Hürde zu bleiben. Es sei aber fraglich, ob ausgerechnet Pschierer, der von der CSU bereits aussortiert worden sei, dazu einen Beitrag leisten könne.
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte, er sei überrascht von dem Wechsel. Pschierer sei ein "angenehmer und verlässlicher Kollege im Landtag". Mit seiner Wirtschaftskompetenz könne er der FDP helfen.