Nach BR-Recherchen nahm die bayerische AfD unter Führung von Landeschef Protschka immer wieder Rechtsextremisten in die Partei auf.
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Nach BR-Recherchen nahm die bayerische AfD unter Führung von Landeschef Protschka immer wieder Rechtsextremisten in die Partei auf.

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Extremisten - Wie ernst ist es der AfD mit ihrer Abgrenzung?

Extremisten - Wie ernst ist es der AfD mit ihrer Abgrenzung?

Die AfD nimmt keine Rechtsextremen auf – so der Anspruch. Dafür gibt es die "Unvereinbarkeitsliste". Sie umfasst Gruppen und Parteien, die unvereinbar sind mit der AfD-Mitgliedschaft. BR-Recherchen zeigen: In Bayern wurde die Liste mehrmals umgangen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Von A wie "Anatolische Föderation" bis W wie "World Institute of Scientology Enterprises": 13 Seiten umfasst eine interne Liste der AfD von Organisationen, Vereinen und Parteien, die mit einer AfD-Mitgliedschaft unvereinbar sind. Wer aktiv oder früher in einer der mehr als 500 gelisteten Gruppierungen aus dem linksextremen, islamistischen und rechtsextremen Spektrum Mitglied ist oder war, darf grundsätzlich nicht in die AfD aufgenommen werden. Auch die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die Identitäre Bewegung (IB) sind auf der Unvereinbarkeitsliste. Doch BR-Recherchen zeigen, dass die AfD in Bayern trotzdem Personen mit rechtsextremer Vergangenheit integriert hat.

Aktivist der Identitären Bewegung im AfD-Kreisvorstand München Land

Ein prominentes Beispiel: Tim Schulz. Der 23-Jährige sitzt im Vorstand des AfD-Kreisverbands München-Land. Gleichzeitig ist er bis heute aktiv bei der "Identitären Bewegung", die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird und auf der AfD-Unvereinbarkeitsliste steht. Bilder zeigen den jungen Mann bei Aktionen der IB-Regionalgruppe "Lederhosen Revolte". Zuletzt ist der AfD-Politiker Ende September auf Fotos einer Wanderung der Gruppe in den Berchtesgadener Alpen zu sehen. Auf dem Gruppenbild der Aktivisten zeigt er die sogenannte White-Power-Geste, ein rassistisches Erkennungszeichen.

Die "Lederhosen Revolte" wird im Halbjahresbericht des Verfassungsschutzes für 2024 erwähnt. Darin wird der Gruppe vorgeworfen, medienwirksam gegen die moderne pluralistische Gesellschaft zu agitieren. Auch bei früheren Aktionen des IB wie etwa einer Demo in Wien ist Schulz auf einem Gruppenbild zu sehen, gekleidet mit einem T-Shirt der Bewegung. Trotzdem wurde er im Kreisverband München-Land in den Vorstand aufgenommen. Die örtliche Kreisvorsitzende Christina Specht scheint vom Engagement ihres Vorstandskollegen wenig zu wissen. Auf Anfrage schreibt sie BR24: "Nach meinem Kenntnisstand war er bloß auf einigen Demos dabei, so wie andere Bürger."

Kontrolle schwer möglich - keine formellen Mitgliedslisten

Hintergrund: Der Nachweis einer formellen Mitgliedschaft bei der Identitären Bewegung ist schwer einsehbar. Die als Verein "Identitäre Bewegung in Deutschland e.V." tätige Gruppe zählt mehrere Regionalgruppen unter verschiedenen Namen, deren organisatorischer Bezug zum Verein nicht immer ersichtlich ist. In der Szene ist bekannt: Die Bewegung wird von Aktivisten nach außen repräsentiert und getragen, weniger von formellen Mitgliedern. Das bestätigt auch der AfD-Landeschef: "Von der Identitären Bewegung gibt es sowieso keine Mitgliedsliste, wie soll ich da kontrollieren, dass jemand bei der IB war?" Es sei schwierig, das herauszufinden, sagt AfD-Landeschef Stephan Protschka im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers. Die Parteigremien behelfen sich laut Protschka damit, im Internet nach Auffälligkeiten zu suchen.

Langjähriger Rechtsextremer bei der AfD in Würzburg

Diese Suche allerdings wäre im Fall von Tim Schulz erfolgreich gewesen: Bilder auf der Plattform Instagram zeigen, dass der junge Mann dem Umfeld der Bewegung zuzurechnen ist und weit mehr ist als ein bloßer Sympathisant. Das gleiche gilt für einen anderen Fall in Würzburg. Auch hier wurde nach BR-Informationen mindestens ein IB-Aktivist in den Reihen der AfD aufgenommen: Dorian S. gilt als umtriebiger Unterstützer der rechtsextremen Gruppierung. Seinen Weg begann der heute 34-Jährige bei einer Gruppe der Jungen Nationalisten (JN) in Lörrach, der Jugendorganisation der NPD. Beide Gruppierungen stehen ebenfalls auf der AfD-Unvereinbarkeitsliste. Als junger Mann nahm S. deutschlandweit an Treffen der rechtsextremen Szene teil. Später zog es ihn zur Gruppe "Kontrakultur Halle", einen Ableger der Identitären Bewegung in Halle. Dort wohnte er in einem Haus der Bewegung. Auch an einem Vernetzungstreffen der deutschen IB mit französischen Mitgliedern in Paris nahm er teil.

Trotz seiner gut belegten Aktivität im rechtsextremen Milieu wurde S. in die AfD aufgenommen. Er war auch beim AfD-Parteitag in Greding Ende Januar präsent, als eine Gruppe junger AfD-Mitglieder am Rand des offiziellen Programms in einer Diskothek rassistische Parolen sang. Dem BR liegen Unterlagen vor, wonach der AfD-Kreisverband Würzburg im März 2024 dem Wechsel des langjährigen Rechtsextremen in seine Reihen zugestimmt hat. Auf offizielle Anfrage heißt es vom Vorstand des Kreisverbands lapidar: "Wir können uns leider grundsätzlich nicht zu Mitgliederangelegenheiten aufgrund des Datenschutzes äußern."

AfD-Abgeordneter Halemba: "Inhalte der Identitären Bewegung ähnlich wie bei AfD"

In Würzburg ist das Netzwerk rund um den umstrittenen AfD-Abgeordneten Daniel Halemba nach wie vor einflussreich. Halemba, der in Würzburg wegen Volksverhetzung angeklagt ist und den der AfD-Landesverband mit einer zweijährigen Ämtersperre belegt hat, soll weiterhin die Fäden ziehen. Der 23-jährige Abgeordnete zeigte in einem BR-Interview in diesem Jahr offene Sympathie für die Identitäre Bewegung: "Sie ist eine Bewegung von jungen patriotischen Aktivisten, die eine große Überschneidung zur AfD hat." Und weiter: "Die Ziele der Identitären Bewegung sind ähnlich, sie haben ähnliche Inhalte wie die AfD."

Früherer NPD-Politiker in Schwaben aufgenommen

Bemerkenswert ist auch eine Personalie in Schwaben: Hier hat die AfD ein früheres Mitglied der rechtsextremen NPD aufgenommen. Der Mann trat bei der Landtagswahl 1998 für die NPD im Allgäuer Stimmkreis Sonthofen an. Das belegt eine Liste der Wahlkreisvorschläge der NPD, die dem BR vorliegt. Die NPD steht ebenfalls auf der Liste jener Parteien, die eigentlich unvereinbar sind mit einer AfD-Mitgliedschaft. Die NPD-Vergangenheit des Mannes war der AfD zum Zeitpunkt des Aufnahmeantrags bekannt. Sogar der Bundesvorstand wurde in der heiklen Angelegenheit eingeschaltet. Im Mai 2023 schließlich stimmte eine Zweidrittelmehrheit des bayerischen Landesvorstands für eine Ausnahmegenehmigung - der frühere NPD-Mann wurde aufgenommen.

AfD: Ausnahmen von Unvereinbarkeitsliste möglich

Diese ist laut Satzung der Bundespartei möglich: Demnach dürfen auch Personen, die in einer der gelisteten Organisationen in der Vergangenheit Mitglied waren, in die AfD, "wenn sie darüber im Aufnahmeantrag Auskunft geben und der zuständige Landesvorstand sich nach Einzelfallprüfung mit Zweidrittel seiner Mitglieder für die Aufnahme entscheidet". Landeschef Stephan Protschka bestätigt, dass es ein Einzelgespräch des Landesvorstandes mit dem früheren NPD-Landtagskandidaten gab: "Er muss sich vor uns zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und zum Grundgesetz, und das war glaubhaft, dann kann er auch Mitglied werden bei der AfD."

Gleichzeitig betont Protschka, dass die Unvereinbarkeitsliste ernst zu nehmen sei. "Wir grenzen uns als einzige Partei von jedem Extremisten ab, Extremismus hat bei uns nix verloren", so der bayerische Parteichef.

Verfassungsschutz: "Netzwerk aus AfD, Junger Alternative und Identitärer Bewegung"

Das AfD-Neumitglied gilt als enger Vertrauter des schwäbischen Bezirksvorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführers der AfD im Landtag, Christoph Maier, sowie des Landtagsabgeordneten Franz Schmid. Beide werden dem extrem rechten Netzwerk innerhalb der AfD zugeordnet. Schmid ist beispielsweise der einzige AfD-Abgeordnete in Bayern, den der Verfassungsschutz trotz hoher rechtlicher Hürden beobachtet. In den Augen der Verfassungsschützer ist Schmid zu einer "treibenden Kraft der Vernetzung zwischen der AfD und der Jungen Alternative einerseits und der rechtsextremistischen Neuen Rechten, insbesondere der Identitären Bewegung", geworden. Schmid ist zugleich Chef der Jungen Alternative Bayern. Die AfD-Nachwuchsorganisation wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Der früherer NPD-Mann half Schmid dabei, die Jungen Alternative in Nordschwaben aufzubauen. Nach BR-Informationen sind mindestens zwei weitere Mitglieder der Jungen Alternative in Schwaben gleichzeitig bei der Identitären Bewegung aktiv. Einer davon sitzt sogar für die AfD im Stadtrat in Ulm.

Auf BR-Anfrage bezweifelt der Verfassungsschutz in seiner Antwort, dass die AfD ihre eigene Brandmauer ernst nimmt: "Es ist davon auszugehen, dass die Unvereinbarkeitsliste trotz ihrer weiterhin bestehenden Gültigkeit zumindest in Teilen der bayerischen AfD faktisch keine Beachtung mehr findet."

Kritik aus den eigenen Reihen

Zweifelhafte Aufnahmen im Kreisverband Würzburg machen dem stellvertretenden Bezirksvorsitzenden Klaus-Uwe Junker Sorgen. Der AfD-Politiker sagt, die Unvereinbarkeitsliste sei von den Mitgliedern verabschiedet und Anträge auf Streichung der Liste immer abgelehnt worden: "Als AfD treten wir ein für Recht, Ordnung und die Einhaltung von Gesetzen. Da können wir intern nicht die Regeln, die wir uns selber geben, einfach umgehen." Seine Forderung an die eigene Partei: "Ich erwarte von allen Vorständen in der AfD, sei es im Kreis, Bezirk, Land oder im Bund, dass sie diese Regeln auch durchsetzen und bei strittigen Aufnahmen prüfen und auch ein Veto einlegen."

Weiter Diskussionen um AfD-Verbotsverfahren

Im Lichte der BR-Recherchen hält es die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge für umso dringlicher, ein Verbotsverfahren gegen die AfD auf den Weg zu bringen. Wegge ist federführend für ihre Partei am geplanten Gruppenantrag von mehreren Fraktionen im Bundestag beteiligt. Sie findet: "In Deutschland wurde bereits einmal mit demokratischen Mitteln die Demokratie abgeschafft und unser Kontinent ins Verderben gestürzt. Wenn eine Partei bestrebt ist, die Demokratie abzuschaffen, so ist es demokratisch, diese Partei zu bekämpfen."

Die CSU lehnt ein solches Verbotsverfahren weiterhin ab. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist zurückhaltend, was ein AfD-Verbotsverfahren betrifft. Die AfD müsse als "Partei mit verfassungsfeindlichen Elementen konsequent beobachtet werden", äußert sich Herrmann schriftlich auf BR-Anfrage, jedoch: "Wir dürfen auch nicht den Eindruck entstehen lassen, als wolle man sich unliebsame Konkurrenten mit einem Verbot vom Hals halten. Wir müssen zusehen, dass die überwältigende Mehrheit der Wahlberechtigten wirklich für demokratische Parteien stimmen."

Bundesvorstand verlangt Überprüfung der bayerischen Aufnahmen

Der AfD-Bundesvorstand schreibt auf BR-Anfrage, dass ihm die drei Aufnahmen und deren Hintergründe nicht bekannt sind. In der Antwort heißt es: "Der Bundesvorstand wird den bayerischen Landesvorstand bitten, eine Prüfung dieser drei Fälle vorzunehmen und über das Ergebnis dem Bundesvorstand zu berichten." Bei mehr als 1.000 neuen Mitgliedern pro Monat bundesweit sei eine nochmalige Prüfung jeder einzelnen Mitgliederaufnahme nicht möglich, so der Bundesvorstand weiter. Nach eigenen Angaben erwartet die AfD im kommenden Monat das Überschreiten der Marke von 50.000 Mitgliedern bundesweit. Von der Identitären Bewegung distanziert sich die Parteispitze. Ein Sprecher des AfD-Bundesvorstands nennt die IB eine der "Organisationen, die weder organisatorisch noch in irgendeiner anderen formalen Weise mit uns verbunden sind".

Im Video: AfD ignoriert eigenes Regelwerk

Die bayerische AfD hat in der Vergangenheit wiederholt Rechtsextreme in die Partei aufgenommen - trotz der sogenannten Unvereinbarkeitsliste.
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Die bayerische AfD hat in der Vergangenheit wiederholt Rechtsextreme in die Partei aufgenommen - trotz der sogenannten Unvereinbarkeitsliste.

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