Ein Schild weist den Weg zu einem Krankenhaus.
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Viele Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Dafür sind sowohl die Bundesregierung als auch die Bundesländer verantwortlich.

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#Faktenfuchs: Wer ist schuld am Krankenhaussterben?

#Faktenfuchs: Wer ist schuld am Krankenhaussterben?

Vielen Krankenhäusern geht es finanziell schlecht. Laut Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger trägt der Bund die Verantwortung dafür. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht’s:

  • Seit Juni 2022 haben 46 Krankenhäuser in Deutschland Insolvenz angemeldet, davon sechs in Bayern.
  • Vielen Krankenhäusern fehlt Geld für Betriebskosten. Auf die Höhe dieser Mittel kann der Bund über gesetzliche Rahmenbedingungen Einfluss nehmen - und trägt damit tatsächlich eine Mitverantwortung für die schlechte finanzielle Situation vieler Krankenhäuser.
  • Doch auch fehlende Mittel für Investitionen, zum Beispiel in neue Gebäude oder Geräte, tragen dazu bei. Für diese Kosten sind die Länder verantwortlich.

Es war ein Einschnitt für Bürger der Region und Beschäftigte des Krankenhauses: Ende 2023 musste die Klinik in Neuendettelsau im Landkreis Ansbach schließen. Das Defizit von mehreren Millionen Euro war zu hoch geworden.

Das Krankenhaus in Neuendettelsau ist nur eines von mehreren Beispielen für Kliniken in Deutschland, die rote Zahlen schreiben oder sogar schließen müssen. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) schlossen in Deutschland seit Anfang 2022 43 Krankenhäuser - von etwa 1.900 Krankenhäusern insgesamt. Nicht immer sind finanzielle Defizite der Grund für Schließungen.

Für Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) liegt die Verantwortung für die schlechte finanzielle Lage vieler Krankenhäuser eindeutig bei der Bundesregierung, er schrieb Anfang August auf dem Kurznachrichtendienst X:

"4 von 5 Krankenhäusern schreiben rote Zahlen, vor allem weil die Bundesregierung die Betriebskosten wie Personal/Energie/Kostensteigerungen zu wenig abdeckt, obwohl sie dafür zuständig ist. Deshalb findet ein unkontrolliertes Krankenhaussterben statt. Ampel, wo geht das Geld hin?"

An einigen Stellen verkürzt Aiwanger, in einigen Punkten hat er recht. Der #Faktenfuchs hat seine Behauptungen überprüft:

Behauptung 1: 4 von 5 Krankenhäusern schreiben rote Zahlen

Ob das stimmt, lässt sich noch nicht sagen. Es gibt dazu noch keine zuverlässigen Daten. Auf Nachfrage schreibt Aiwangers Pressesprecher, der Wirtschaftsminister beziehe sich in seinem Post unter anderem auf eine repräsentative Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) von 2023. Demnach erwarteten letztes Jahr 78 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland, am Ende des Jahres im Minus zu stehen. Das DKI hat die Befragung von Mitte April bis Ende Juni 2023 durchgeführt.

Aus den Erwartungen der befragten Krankenhäuser zu diesem Zeitpunkt lässt sich also nicht zwangsläufig ableiten, wie viele Krankenhäuser am Ende des Jahres tatsächlich einen Verlust geschrieben haben werden. Laut einer Befragung der bayerischen Krankenhausgesellschaft haben 2023 70 Prozent aller Krankenhäuser in Bayern rote Zahlen geschrieben.

Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung untersucht regelmäßig die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser in Deutschland. Jedes Jahr veröffentlicht es die Ergebnisse in einem "Krankenhaus Rating Report". Grundlage ist hierbei nicht eine Befragung von Krankenhäusern, sondern eine Stichprobe von Jahresabschlüssen von Krankenhäusern. Für 2023 nennt der Krankenhaus Rating Report noch keine Zahlen. 2022 haben der Untersuchung zufolge 3 von 10 aller Krankenhäuser Verluste geschrieben - auf Konzernebene.

Insgesamt stimmt laut Experten jedoch die Annahme, dass mehr Krankenhäuser rote Zahlen schreiben. Professor Boris Augurzky ist einer der Autoren der Leibniz-Studie und sagt: "In vielen Bundesländern geht es den Krankenhäusern gerade schlechter als vorher."

Behauptung 2: Die Bundesregierung ist dafür zuständig, die Betriebskosten von Krankenhäusern abzudecken

Diese Behauptung ist verkürzt. Nicht die Bundesregierung bezahlt die Betriebskosten, sondern die Krankenkassen. Die Krankenkassen vergüten jede Behandlung eines Patienten über eine sogenannte Fallpauschale. Die Summe aller Fallpauschalen deckt - zumindest in der Theorie - die Betriebskosten von Krankenhäusern.

Ein verhältnismäßig kleiner Teil der Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen stammt zwar aus Bundesmitteln — 2024 etwa 14,5 Milliarden Euro — insgesamt sind die gesetzlichen Krankenkassen jedoch zu 93 Prozent aus Versicherungsbeiträgen finanziert.

Die Bundesregierung kann aber indirekt auf die Höhe der Mittel für Betriebskosten einwirken. Boris Augurzky sagt: "Die Bundesregierung ist nicht die Krankenkasse, aber die Bundesregierung macht die Regeln, wonach die Krankenkassen die Vergütungen zu leisten haben." Die Bundesregierung kann das tun, indem sie mit ihrer Mehrheit im Bundestag das Krankenhausentgeltgesetz ändert.

Ende 2022 hat die Bundesregierung beispielsweise davon Gebrauch gemacht, auf diese Regeln einzuwirken. Thomas Vollmöller lehrt als Honorarprofessor an der Universität Augsburg Krankenhausrecht und berät als Rechtsanwalt Krankenhausträger. Laut ihm könne die Regierung für fehlende Mittel daher verantwortlich gemacht werden: "Aus meiner Sicht hat die Bundesregierung es mit ihrer Mehrheit im Bundestag in der Hand, die finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser im Bereich der Betriebskosten zu verbessern."

Boris Augurzky teilt Vollmöllers Einschätzung. Doch er merkt an: "Wenn ein einzelnes Krankenhaus ein Defizit hat, muss der Bund das nicht bezahlen. Er kümmert sich nur darum, dass es im Durchschnitt für die Krankenhäuser passt."

Wie viele Mittel für die Betriebskosten genau bereitgestellt werden, legt nicht der Bundesgesetzgeber fest. Er hat damit die gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen beauftragt. In der gemeinsamen Selbstverwaltung kommen die Interessenvertretungen der Krankenhäuser und der Krankenkassen in Deutschland zusammen.

Peter Rudolph, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Hochschule Magdeburg-Stendal, sagt daher: "Es ist nicht ganz korrekt, dass das von der Politik von oben bestimmt wird. Das ist im Rahmen der Selbstverwaltung geregelt".

Behauptung 3: Die Betriebskosten der Krankenhäuser wie Personal/Energie/Kostensteigerungen sind zu wenig abdeckt

Das ist richtig. Vielen Krankenhäusern fehlen Einnahmen für die Betriebskosten. Das liegt unter anderem an der Corona-Pandemie. In dieser Zeit waren Krankenhäuser zwar stark ausgelastet, was die Behandlung von Corona-Patienten anging. Insgesamt sank die Zahl der Behandlungen in den Krankenhäusern allerdings. Und die Einnahmen fehlten.

Denn Krankenhäuser konnten weniger Leistungen bei den Krankenkassen in Rechnung stellen, da sie weniger Patienten behandelten: 2019 waren es in Bayern noch fast 3 Millionen Behandlungsfälle, 2022 weniger als 2,6 Millionen. Für 2023 hat das Bayerische Landesamt für Statistik noch keine Zahlen veröffentlicht.

Zwar steigen trotzdem die Ausgaben der Krankenkassen für Krankenhausbehandlungen. 2023 haben die gesetzlichen Krankenkassen dafür 94 Milliarden ausgegeben, rund 6,6 Prozent mehr als noch 2022 und 17 Prozent mehr als 2019 - also vor Corona. Auch die Ausgaben der privaten Krankenkassen sind in diesen Zeiträumen gestiegen, wie der Verband der Privaten Krankenversicherung auf Anfrage mitteilt.

Das liegt unter anderem daran, dass im selben Zeitraum auch die Landesbasisfallwerte - also die Grundlage für die Fallpauschalen - gestiegen sind, in Bayern zwischen 2019 und 2023 um ungefähr 13 Prozent.

Doch die gestiegenen Ausgaben der Krankenkassen sind nicht genug, um gegen die fehlenden Einnahmen der Krankenhäuser anzukommen. Denn die kämpfen auch mit Kostensteigerungen aufgrund der Inflation, zum Beispiel für Löhne und Energiekosten. Laut Statistischem Bundesamt waren 2023 die Krankenhauskosten um 6,95 Prozent höher als im Vorjahr. "Es kommen zwei Dinge zusammen. Auf der einen Seite weniger Erlöse, auf der anderen Seite starke Kostenzuwächse", so Augurzky.

Behauptung 4: Krankenhäuser schreiben rote Zahlen vor allem, weil Mittel für Betriebskosten fehlen

Das ist verkürzt. Richtig ist zwar: Fehlende Betriebskosten tragen dazu bei, dass Krankenhäuser rote Zahlen schreiben.

Doch dass Krankenhäuser mit Defiziten kämpfen, liegt auch an fehlenden Mitteln, um Investitionskosten zu decken. Die tragen die Bundesländer. Darunter fallen größere Ausgaben, wie zum Beispiel der Bau von Gebäuden oder die Anschaffung neuer Geräte. Und die bereitgestellten Mittel der Länder für Investitionen sind im Moment ebenfalls niedriger als die Bedarfe der Krankenhäuser.

"Die Länder geben oft nur die Hälfte dessen, was nötig wäre", so Augurzky. Zwar gebe Bayern mehr als die meisten Bundesländer aus: Laut bayerischem Finanzministerium investierte der Freistaat 2023 rund 643 Millionen Euro in Krankenhäuser, 2024 sollen es 800 Millionen sein. Zum Vergleich: Das bevölkerungsstärkere Nordrhein-Westfalen plante im Haushalt 2023 722 Millionen Euro für Krankenhäuser ein, das etwas kleinere Baden-Württemberg im selben Jahr 455 Millionen Euro.

Das bayerische Finanzministerium teilt auf #Faktenfuchs-Anfrage mit, alle "beantragten und erforderlichen Krankenhausvorhaben" könnten "auskömmlich finanziert werden". Doch Augurzky sagt: "Auch in Bayern gab es immer eine gewisse Lücke."

Die Bayerische Krankenhausgesellschaft teilt auf Anfrage mit, sie sehe "den Bedarf einer Erhöhung der sogenannten pauschalen Investitionsmittel", mit denen die Krankenhäuser die laufende Instandhaltung finanzieren könnten.

Behauptung 5: Wegen finanzieller Defizite der Krankenhäuser findet ein unkontrolliertes Krankenhaussterben statt

Aiwanger schreibt in seinem Post auf X, die Defizite der Krankenhäuser trügen dazu bei, dass ein unkontrolliertes Krankenhaussterben stattfinde.

Richtig ist: Seit Anfang 2022 haben in Deutschland laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) 43 Krankenhäuser geschlossen. Außerdem haben ihr zufolge seit Juni 2022 in Deutschland 46 Krankenhäuser in Deutschland Insolvenz angemeldet, wovon sich sechs in Bayern befänden.

Doch Boris Augurzky sagt: "Insolvenz heißt nicht gleich Schließung, es gibt noch Eingriffsmöglichkeiten." Wenn ein Krankenhaus insolvent gehe, könne der Landkreis überprüfen, was passieren würde, wenn das Krankenhaus schließen würde. Hat das Krankenhaus einen wichtigen Stellenwert für die Versorgungssicherheit der Region, könne es zusätzliche finanzielle Unterstützung von den Krankenkassen bekommen - sogenannte Sicherstellungszuschläge. "Völlig unkontrolliert kann man es nicht nennen", so Augurzky.

Fazit

2022 haben 3 von 10 Krankenhäusern auf Konzernebene rote Zahlen geschrieben. Wie viele es 2023 genau waren, lässt sich noch nicht sagen. Die Defizite der Krankenhäuser kommen auch daher, dass sie ihre Betriebskosten nicht mehr decken können. Denn seit der Corona-Pandemie sinken die Patientenzahlen, wodurch Krankenhäuser weniger Einnahmen erzielen. Zusätzlich treibt die Inflation die Kosten der Krankenhäuser in die Höhe.

Der Bund kann indirekt auf die Mittel für Betriebskosten von Krankenhäusern Einfluss nehmen. Per Gesetzesänderung kann er die Möglichkeit schaffen, die Beträge zu erhöhen, die die Krankenkassen den Krankenhäusern zahlen.

Es gibt aber noch einen anderen Grund für die schlechte finanzielle Situation vieler Krankenhäuser: fehlende Mittel für Investitionen, zum Beispiel in Gebäude oder neue Geräte. Für die Finanzierung der Investitionskosten sind die Bundesländer zuständig.

Quellen

Interview mit Prof. Dr. Peter Rudolph, Professor für Management im Gesundheitswesen von der Hochschule Magdeburg-Stendal

Interview mit Prof. Dr. Thomas Vollmöller, Honorarprofessor für Öffentliches Recht und Gesundheitsrecht an der Universität Augsburg, berät als Rechtsanwalt Krankenhausträger

Interview mit Prof. Dr. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs "Gesundheit" am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen

Schriftliche Antwort der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf Anfrage des #Faktenfuchs

Schriftliche Antworten der Bayerischen Krankenhausgesellschaft auf Anfrage des #Faktenfuchs

Schriftliche Antwort des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen auf Anfrage des #Faktenfuchs

Schriftliche Antwort des Verbands der privaten Krankenversicherung auf Anfrage des #Faktenfuchs

Artikel/Veröffentlichungen

AOK Bundesverband: Beitragssatzstabilität

Ärzteblatt: Sicherstellungszuschlag für 136 Krankenhäuser

Baden-Württemberg: 248 Millionen Euro für Krankenhäuser im Land

Bayerische Krankenhausgesellschaft: 15. Bayerischer Krankenhaustrend

Bayerischer Rundfunk: 24/7 Versorgung endet: Neue Struktur für Schongauer Krankenhaus

Bayerischer Rundfunk: Klinik schließt für immer: Von Tränen und geplatzten Hoffnungen

Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention: Investitionen an bayerischen Krankenhäusern

Bundesamt für Soziale Sicherung: Schätztableau des GKV-Schätzerkreises

Bundesministerium für Gesundheit: Das Prinzip der Selbstverwaltung

Bundesministerium für Gesundheit: Krankenhausfinanzierung

Bundesministerium für Gesundheit: Fallpauschalen

Buzer.de: Änderung §10 KHEntgG vom 29.12.2022

Deutscher Bundestag: Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Krankenhausrechts

Deutscher Bundestag: Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft zum Regierungsentwurf eines Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes (KHPflEG)

Deutsches Krankenhausinstitut: Krankenhausbarometer 2023

Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus: DRG-Fallpauschalen

Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung: Krankenhaus Rating Report 2024: Wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich 2022 erneut verschlechtert

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen: Investitionsprogramm 2023 und sonstige Krankenhausmaßnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen

Statistisches Bundesamt: Orientierungswert für Krankenhauskosten beträgt 2023 6,95%

Verband der Ersatzkassen: Daten zum Gesundheitswesen: Krankenhaus

Verband der Ersatzkassen: Landesbasisfallwerte 2019

Verband der Ersatzkassen: Landesbasisfallwerte 2023

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