Überdimensionale goldene Kronleuchter liegen kreuz und quer verteilt, antike Stühle türmen sich bis an die Decke des meterhohen Gewölbes. Im Münchner Löwenbraukeller ruhen Jahrzehnte Faschingsballgeschichte - die zumindest einmal im Jahr zum Leben erweckt werden: Frank Ebeling zieht mit einem kräftigen Ruck eine Holzwand aus dem Weg und einzelne, bunt bemalte Bretter kommen zum Vorschein: "Hier lagert unser Burgwagen", erklärt der Festwart des Vereins "Turmfalken e.V., Die Damischen Ritter", der jährlich den Münchner Faschingsumzug organisiert. "Und den müssen wir jetzt hier raustransportieren", fügt er hinzu.
"Oh mei, oh mei, oh mei", murmelt er beim Anblick der Burg. Was nach Seufzer klingt, ist für Ebeling eher Vorfreude. "Wenn wir dann losrennen, ist das unser Schlachtruf", erklärt er. Seit 17 Jahren führen die 45 Mitglieder der Damischen Ritter den Faschingsumzug in München an. Im vergangenen Jahr folgten ihnen 60 Faschingsgesellschaften - doch genau das könnte in diesem Jahr zum Problem werden. Steht der Münchner Fasching vor dem Aus?
Die Faschingstradition hatte in den letzten Jahren keinen leichten Stand. Zuerst sorgte die Corona-Pandemie dafür, dass Faschingsumzüge bundesweit ausfielen. Doch auch nach der Pandemie bleibt die Partylaune zur Fastnacht getrübt: höhere Sicherheitsauflagen, gestiegene Kosten, Beschwerden über Lautstärke, Müll und nicht zuletzt Vorwürfe kultureller Aneignung. Schaffen es die Faschingsvereine den Problemen zu trotzen? Und wie stemmen Ehrenamtliche derartige Großveranstaltungen?
Faschingszug wird kleiner: Nur noch 40 statt 60 Wägen
In München wühlt sich Festwart Frank Ebeling seit Oktober durch die Auflagen der Stadt. Nach kurzer Zeit steht fest: Der Faschingsumzug muss kleiner werden. "Wir hatten zu viele Teilnehmer, sodass quasi bevor der letzte Wagen losgefahren ist, der erste Wagen schon wieder am Ende war", erklärt er. Deshalb gilt in diesem Jahr: maximal 40 statt 60 Wägen, pro Wagen nur 50 Personen.
Grund für die Begrenzung sind die Vorgaben der Stadt - die sind jedoch nichts Neues: Laut Ebeling ist im vergangenen Jahr schlichtweg deutlich geworden, dass sie die Auflagen mit 60 Teilnehmergruppen nicht einhalten können. Die neue Regel sei das Ergebnis einer einfachen Rechnung: Auf der Aufstellfläche von 870 Metern muss jeder Wagen mindestens 20 Meter Platz haben. Damit das gewährleistet bleibt, dürfen nur 40 Wägen mitfahren.
Eine Veränderung, die Ebeling als schmerzhaft bezeichnet - für die Organisatoren, aber vor allem für die teilnehmenden Vereine: Im Dezember öffnete der Verein die Anmeldung für den Faschingsumzug. Rund 80 Gruppen haben sich laut Ebeling angemeldet - auf 40 Plätze. Die Platzvergabe musste per Losverfahren erfolgen, "damit wir irgendwo eine Gerechtigkeit herbringen", erzählt der Festwart. "Da ist natürlich die Stimmung bei manchen Vereinen nicht besonders gut, aber wir können uns da nicht drüber hinwegsetzen, weil dann hagelt es richtig Strafen und das können wir uns nicht leisten."
Gestiegene Kosten: Stadt München erhöht Zuschüsse
Statt Strafen soll es dann doch lieber weiter Bonbons hageln: Im Industriegebiet in Freimann, wo die Damischen Ritter einen Lkw-Anhänger in ihre Burg verwandeln, stapeln sich bereits Karton über Karton. Mit einem kleinen Messer schlitzt Frank Ebeling das Klebeband auf und Unmengen an Popcorn-Tüten, Manner-Schnitten und Bonbons kommen zum Vorschein. Guatl eben, und zwar 1,4 Tonnen davon. "Wurfmaterial", wie es Ebeling nennt, das nur einen kleinen Teil der Kosten ausmacht, die der Verein Jahr für Jahr stemmen muss. Dazu kommen Versicherungen, Technik, aber auch Dixiklos, Straßenreinigung und Sicherheitspersonal. 40.000 Euro waren es laut Frank Ebeling im letzten Jahr.
"Die Kosten sind extrem gestiegen", erzählt der Festwart. Allein das aufgestockte Sicherheitspersonal koste den Verein statt 7.000 nun 12.000 Euro. "Das ist finanziell für einen kleinen Verein, wie wir es sind, nicht tragbar." Maßnahmen, wie etwa Eintritt für Zuschauerinnen und Zuschauer oder eine Teilnahmegebühr zu erheben, käme für ihn jedoch nicht infrage.
Die letzte Rettung: die Stadt München. Zusammen mit anderen Faschingsvereinen beantragten die Damischen Ritter im Herbst 2023 höhere Zuschüsse. Damals ist klar: Bewilligt der Stadtrat die Zuschüsse nicht, steht der Münchner Fasching vor dem Aus. Im November dann die Erleichterung. Die Stadt unterstützt den Fasching mit 230.000 Euro - doppelt so viel wie bislang.
70.000 Euro davon gehen an die Damischen Ritter und ihren Faschingsumzug, heißt es in einer Pressemitteilung der SPD/Volt-Fraktion des Münchner Stadtrats. SPD-Stadtrat Klaus Peter Rupp lobte den Beschluss: "Der Fasching gehört zu München. Deshalb unterstützen wir die Vereine in diesen schwierigen Zeiten sehr gerne." Ein Fasching ohne Straßenumzug sei "undenkbar".
Höhere Auflagen belasten ehrenamtliche Narren bundesweit
Der Auslöser für die erhöhten Sicherheitsauflagen für Großveranstaltungen war die Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe von 2010. 21 Besucherinnen und Besucher kamen bei der Duisburger Veranstaltung im Gedränge ums Leben. Hunderte wurden schwer verletzt. Außerdem trug die Amokfahrt in Hessen am Rosenmontag 2020 dazu bei, dass Städte die Sicherheitsauflagen bei Veranstaltungen verschärften.
Für Faschingsumzüge, die überwiegend von Vereinen und deren Ehrenamtlichen organisiert werden, ein Kraftakt - bei dem die ersten Vereine in die Knie gehen: Im vergangenen Jahr stand im Landkreis Erding der traditionelle Dorfener Hemadlenzen-Umzug wegen steigender Kosten auf der Kippe. In der Karnevalshochburg Rheinland-Pfalz mussten mehrere Faschingsumzüge sogar ganz ausfallen.
Faschingsumzug in München: Kontrolle gut, alles gut
So weit will es Frank Ebeling nicht kommen lassen: Geht es nach ihm, steht dem Münchner Fasching im Jahr 2024 nichts mehr im Weg - auch, wenn das bedeutet: Kontrolle. Bei der Einfahrt werde jeder Wagen kontrolliert. Das gehe vom gültigen TÜV der Fahrzeuge bis hin zur Verkleidung und den Botschaften auf den selbst gestalteten Faschingswägen der Vereine. Und auch in Sachen Lautstärke hat Frank Ebeling vorgesorgt: Damit die vorgeschriebenen 85 Dezibel eingehalten werden, hat er Pegelmessgeräte angeschafft. Das Sicherheitspersonal soll so jede Anlage im Blick behalten, auch während des Zugs.
Also alles im Griff? "Da hat man wirklich ganz, ganz viele schlaflose Nächte. Aber dieses Jahr muss ich sagen, sind die Helfer richtig toll und es wurde mir unwahrscheinlich viel abgenommen", erklärt Frank Ebeling. Denn neben all den Auflagen, Kosten und Kontrollen steht der Fasching ja eigentlich vor allem für eins: gemeinsam Feiern. Und genau darauf freut sich Ebeling schon, deshalb macht er das alles: "Dann steh' ich auf dem Wagen und schau dir dieses Lächeln an, dieses Funkeln in den Augen, wenn die Leute sehen, dass wieder Fasching in München ist."
Am Sonntag, 4. Februar ist es also so weit: Zum 17. Mal zieht der Gaudiwurm durch die Münchner Innenstadt. Los geht es um 13.13 Uhr in der Frauenstraße, von wo aus die Faschingsgesellschaften, Musikkapellen, Tanzgruppen und historischen Vereine bis zum Marienplatz und schließlich zum Alten Rathaus ziehen. Angeführt auch in diesem Jahr wieder von den Damischen Rittern - allen voran Festwart Frank Ebeling, der den Schlachtruf bereits in der Organisation zum Motto macht, wenn es heißt: "Oh mei, oh mei, oh mei".
- Im Video: Wie Bayerns Narren der Krise trotzen
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!