Russlands Präsident Wladimir Putin versucht über Parallel-Importe die westlichen Sanktionen zu übergehen.
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Sanktionen gegen Russland: Trickst Putin den Westen aus?

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Sanktionen gegen Russland: Trickst Putin den Westen aus?

Russlands Präsident Wladimir Putin spricht von einem Wirtschaftswunder. Trotz westlicher Sanktionen soll die russische Wirtschaft 2023 laut dem Internationalen Währungsfonds um 2,2 Prozent gewachsen sein. Sind die westlichen Sanktionen gescheitert?

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Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat der Westen Russland Wirtschaftssanktionen von historischem Ausmaß auferlegt. Das Ziel laut Bundesregierung: "Hohen wirtschaftlichen Druck auf die russische Föderation ausüben." Doch seit Verhängung der Sanktionen versucht der Kreml alles, um die wirtschaftlichen Einschnitte abzuwehren.

Der Lieferstopp von westlichen Technologie-Gütern soll mithilfe von sogenannten Parallelimporten aufgefangen werden. "Das sind Waren, die ohne Genehmigung des Eigentümers oder Markeninhabers nach Russland eingeführt werden können", erklärt Alexandra Prokopenko von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Westliche Waren würden so nach wie vor über Drittstaaten wie Kasachstan, Armenien oder Kirgistan in den Regalen russischer Einkaufszentren landen. Allein die Exporte aus Deutschland in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind im Zeitraum Januar bis Oktober 2023 um 30 Prozent gestiegen.

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Sanktionen: "Import westlicher Waren schwieriger und teurer"

Laut Michael Rochlitz, Professor für Russlands Volkswirtschaft an der Universität Oxford, wird das Problem, dass Sanktionen umgangen werden, etwas zu übertrieben diskutiert. Auch wenn der Handel westlicher Länder mit zentralasiatischen Staaten jüngst stark angestiegen sei und es dabei auch zur Umgehung von Sanktionen käme, würde das dennoch nicht gegen die Wirksamkeit der Sanktionen sprechen. "Die Mengen, die dann wirklich in Russland ankommen, sind viel geringer als die Mengen, die man vorher auf dem freien Markt einfach einkaufen konnte", erklärt Rochlitz.

Die Sanktionen zielen darauf ab, dass Russland nur noch kleinere Mengen an westlicher Technologie über umständlichere Lieferwege einkaufen kann. "Die Sanktionen schaffen es, den Import viel schwieriger und viel teurer zu machen", so Rochlitz. Dies mache es der russischen Verteidigungsindustrie auch schwerer, technologisch fortschrittliche Waffen zu produzieren.

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Michael Rochlitz, Michael Rochlitz, Professor für Russlands Volkswirtschaft an der Universität Oxford

Sanktionen wirken sich auf Qualität russischer Produkte aus

Die große Abhängigkeit Russlands von westlichen Technologie-Gütern können weder Parallelimporte noch neue Ersatz-Güter aus China, Indien oder Iran kaschieren, erklärt Ekaterina Zolotova. Zolotova lebt in Moskau und schreibt für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures. Solche technologischen Umstellungen würden normalerweise vier bis fünf Jahre dauern. Die westlichen Sanktionen würden zu einer schnellen, aber primitiveren Produktion von Technologie in Russland führen. "Es wirkt sich natürlich auf die Lebensdauer dieser Waren aus, sprich, es wirkt sich auf die Qualität aus“, so Zolotova.

Arbeitskräftemangel in Russland

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine führte in Russland auch zu einer Verschärfung des Arbeitskräftemangels. Einerseits haben viele aus Zentralasien einreisende Arbeiter Angst vor der Mobilisierung, andererseits ist der russische Rubel aufgrund der Sanktionen schwächer geworden und damit für neue Arbeitskräfte weniger attraktiv, erklärt Zolotova. "Das ist nicht das, was die Arbeiter sehen wollen. Sie bekamen nicht mehr genug Geld für sich selbst, also entschieden sie sich für andere Länder wie die Türkei und China", so Zolotova.

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Ekaterina Zolotova, Analystin aus Russland beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures

Hohe Löhne in Russland mit Risiko behaftet

Der Arbeitskräftemangel, aber auch die wirtschaftliche Fokussierung auf Militär und Sicherheit in eine Kriegswirtschaft führen in Russland zwar zu höheren Gehältern. Dies wirke sich allerdings nicht auf den Wohlstand der russischen Bevölkerung aus, vor allem wegen der Inflation, erklärt Prokopenko. Laut der russischen Wirtschaftsexpertin besteht aufgrund der überhitzten Gehälter sogar ein weiteres potenzielles Risiko. Denn die russische Wirtschaft arbeite aktuell bei maximaler Kapazität für den Krieg in der Ukraine. Das sei jedoch langfristig nicht möglich. "Und dann geht es normalerweise nicht gut, wenn man versucht, die Gehälter der Leute zu senken. […] Ich sehe keine guten Lösungen für dieses Problem", sagt Prokopenko.

Zwar sei Russlands Wirtschaft aufgrund der westlichen Sanktionen von externen wirtschaftlichen Schocks isoliert, jedoch mit einer Ausnahme - dem Ölpreis. "Wenn die Ölpreise dramatisch sinken, wird die Inflation in die Höhe gehen und die Einnahmequellen der russischen Exporte werden versiegen", sagt Prokopenko. Tatsächlich sind Russlands Steuereinnahmen aus dem Energiesektor 2023 um 24 Prozent gesunken. Bei den Einnahmen aus Öl-Exporten gab es einen Rückgang von 17 Prozent.

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Alexandra Prokopenko, arbeitete bis 2022 bei der russischen Zentralbank

Russlands Kriegswirtschaft: "Zukunft der russischen Wirtschaft wird geopfert"

Auch wenn Russlands aktuelle Kriegswirtschaft trotz Sanktionen ein Wachstum aufweist, ist dies laut Rochlitz nicht produktiv. Russland produziere Waffen, die dann in die Ukraine gefahren und dort wieder zerstört werden. "Das ist nicht etwas, was nachhaltig zum Beispiel den Lebensstandard der russischen Bevölkerung anhebt", so Rochlitz.

"Was zurzeit in Russland passiert, ist, dass die langfristige, wirtschaftliche Entwicklung des Landes geopfert wird, um kurzfristig diesen Krieg weiterführen zu können." Michael Rochlitz, Professor für Russlands Volkswirtschaft an der Universität Oxford

Durch die russische Kriegswirtschaft und den damit verbundenen Ausbau der Verteidigungsindustrie entstehen laut Rochlitz viele finanziell gestärkte Lobbygruppen. Diese Gruppen würden nach Kriegsende nicht auf ihre neue Macht verzichten wollen und so notwendige Reformprozesse blockieren, wie zu Zeiten der Sowjetunion. "Wir hatten (damals) ein Land, das sich wirtschaftlich seinen Verteidigungsapparat nicht mehr leisten konnte. Und dahin steuert Russland jetzt wieder hin", sagt Rochlitz.

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