Wählerin und Wähler sind flüchtige Freunde – das wissen sie besonders in der Bayern-FDP nur allzu gut. Denkbar knapp sind die Liberalen vor dreieinhalb Jahren in den Landtag gekommen, mit 5,1 Prozent. Aktuell sieht es dagegen gut aus, Umfragen sehen die FDP einigermaßen sicher weiter im Parlament, im jüngsten BR-BayernTrend waren es sieben Prozent.
Aber nochmal kleinste Oppositionsfraktion – das ist Landes- und Fraktionschef Martin Hagen deutlich zu wenig. "Wir wollen nächstes Jahr Regierungsverantwortung übernehmen", betont er beim Landesparteitag im oberfränkischen Hirschaid. Die gut 400 Delegierten applaudieren laut, mangelndes Selbstbewusstsein ist traditionell kein Problem der FDP. Dabei wäre nach den strengen Regeln der Mathematik schon der erneute Landtagseinzug der Liberalen ungewöhnlich: Seit 1978 schaffte es die Bayern-FDP bei zehn Landtagswahlen nur viermal ins Parlament.
Hagen: Corona-Gegenwind ist okay
Bei der Wahl im Herbst 2023 soll diese Statistik weiter verbessert werden – nicht zuletzt wegen ihrer Corona-Politik hoffen Hagen & Co auf nachhaltigen Wählerzuspruch. Mit ihren nachdrücklichen Lockerungsforderungen erhält die FDP seit langem bei einer vergleichsweise kleinen, aber stabilen Gruppe viel Unterstützung. Corona sei nicht vorbei, sagt Hagen. Aber angesichts einer hohen Impfquote und der Omikron-Variante müsse man damit jetzt "so umgehen wie mit jeder anderen Infektionskrankheit auch". Denn nicht die Freiheit müsse in einer freien Gesellschaft begründet werden, sondern ihre Einschränkung.
Deutschland kehre zurück zur Normalität, betont Hagen – und verweist auf andere europäische Länder, in denen die Corona-Maßnahmen schon ausgelaufen sind. Passenderweise steht auch der Parteitag an diesem Wochenende für die Zäsur in der deutschen Corona-Politik: Während am Samstag noch 3G und Maskenpflicht abseits des Sitzplatzes gelten, gibt es am Sonntag keine Zugangsbeschränkungen mehr – und die Maske ist freiwillig. Ein bisschen Freedom Day also. Zur Wahrheit gehört aber auch: Breiter Konsens sind die massiven Lockerungen in Deutschland bislang nicht. Der FDP-Landeschef sagt dazu: Gegenwind sei okay, solange es um die Sache gehe.
Landtagswahl im Blick: Energie, Bildung, Wirtschaft
Dass die aktuell FDP-geprägte Corona-Politik in anderthalb Jahren wahlentscheidend wird, glauben auch bei den Liberalen nur die wenigsten. Und so widmen sie sich auf ihrem Parteitag anderen Akzenten – vor allem in der deutschen Energiepolitik, besonders brisant seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Liberalen ringen vor allem um die Atomkraft – und wollen nach kontroverser Debatte eine Verlängerung über 2022 hinaus prüfen. Auch bei der Windkraft gibt es Neues: Die umstrittene 10H-Regel soll nicht nur reformiert, sondern ganz abgeschafft werden.
Weitere Themen für die Landtagswahl hat die FDP schon bei ihrer Winterklausur im Januar festgezurrt. An den Schulen wollen die Liberalen mehr Chancengerechtigkeit und ein flexibleres Schulsystem, Lehrerinnen und Lehrer sollen "nach Leistung" bezahlt werden. Dazu kommen FDP-Klassiker wie mehr Digitalisierung, vor allem in der Verwaltung.
Bundeswehr aufstocken – ohne Wehrpflicht
Auch die Bundeswehr soll wieder mehr in den Blick: Hagen spricht davon, dass Deutschland "eine der modernsten und schlagkräftigsten Armeen Europas" brauche. In einem dazu verabschiedeten Antrag steht: "Wir fordern, die Zielgröße der Bundeswehr auf 250.000 Mann zu erhöhen" – aktuell sind es rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten. Die Wehrpflicht soll aber nach dem Willen der FDP ausdrücklich nicht zurückkehren.
Einer großen innerparteilichen Baustelle widmet sich die Bayern-FDP an diesem Wochenende nur am Rande: dem sogenannten Frauenproblem, das wenn überhaupt natürlich ein Männerproblem ist. Denn was auffällt: Nicht nur bei diesem Parteitag führen bei der FDP deutlich öfter Männer das Wort als Frauen. Landeschef, Generalsekretär, Chef der Landesgruppe im Bundestag – allesamt Männer. Helfen soll, dass künftig Doppelspitzen auf allen Parteiebenen der Bayern-FDP möglich sind. In der geänderten Satzung steht aber nicht, dass bei einer Doppelspitze mindestens eine Frau dabei sein muss.
FDP will in Bayern regieren – aber mit wem?
Bei allem Gestaltungdrang ist klar: Um bald in Bayern regieren zu können, brauchen die Liberalen einen oder zwei Koalitionspartner – und aller Voraussicht nach die CSU. Die Frage nach einer Ampel-Regierung auch in Bayern ist laut Hagen eine "Phantomdiskussion, weil wir momentan in keinen Umfragen auch nur in der Nähe einer Ampel-Mehrheit in Bayern sind". Die Tür zu den Christsozialen will der FDP-Landeschef offenhalten, wenn auch nicht sperrangelweit: "Wir haben traditionell einige inhaltliche Schnittmengen mit der CSU – auch wenn das bei dem Zickzackkurs von Markus Söder nicht immer so klar erkennbar ist."
Umgekehrt ebenso: Auch bei den Christsozialen war die Nähe zur FDP schon deutlich ausgeprägter. Zuletzt betonte CSU-Chef Söder, dass er sich eine Wiederauflage der schwarz-orangen Koalition mit den Freien Wählern gut vorstellen kann. Sollte es dafür nicht reichen, könnte die FDP als dritter Partner ins Spiel kommen – oder aber die CSU setzt weiter auf ein Zweierbündnis, zum Beispiel mit den Grünen. All diese Gedankenspiele eint aber: Es sind Gedankenspiele – und die eineinhalb Jahre bis zur Landtagswahl ein sehr langer Zeitraum. Und das wissen sie bei allem Selbstbewusstsein auch bei der Bayern-FDP.
Eine Sondersendung zum FDP-Parteitag sehen Sie um 23.15 Uhr im BR Fernsehen.
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