Geht es nach dem bayerischen FDP-Fraktionschef Martin Hagen, dann haben sich die Landtags- und Bundestagsabgeordneten der Liberalen mit dem Kloster Seeon keineswegs eine reine CSU-Trutzburg zu eigen gemacht. Es sei "ein Ort auch mit liberaler Geschichte", betont Hagen bei der dreitägigen Winterklausur der Landtagsfraktion. Die oberbayerische FDP habe Seeon schon lange als Tagungsstätte genutzt, "bevor die CSU-Landesgruppe dieses Kloster für sich entdeckt hat".
Man könnte die Wahl des Veranstaltungsorts als Nebensächlichkeit einordnen, aber es steckt durchaus eine gewisse Symbolik drin, wenn jetzt FDP-Politiker ausgerechnet im verschneiten Chiemgau Papiere beraten und Forderungen präsentieren. Und noch einen Hinweis an die CSU hat der FDP-Landeschef parat, nachdem deren Parteichef Markus Söder derzeit bei fast jeder Gelegenheit betont, wie "unbayerisch" die Ampel-Regierung sei. Die FDP-Abgeordneten im Landtag und Bundestag verstünden sich "auch als die Vertreter bayerischer Interessen in Berlin", sagt Hagen.
Auch FDP-Bundestagsabgeordnete dabei
Auch die Bundestagsabgeordneten der bayerischen FDP sind in Seeon dabei oder zugeschaltet. Das Selbstbewusstsein als Teil der Bundesregierung zeigt sich in den Äußerungen von Landesgruppen-Chef Karsten Klein. Das Nein der Ampel zu Steuererhöhungen, ein FDP-Erfolg bei den Verhandlungen, sei "für die Wirtschaft in Deutschland ein ganz wichtiges Signal". Vor nicht allzu langer Zeit wurden in Seeon sogar Steuersenkungen gefordert: Darauf hatte der CSU-Vorsitzende Söder vergangenen Sommer bei einer Pressekonferenz im Klosterhof gedrängt – CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet war aber dagegen.
Die CSU ruckelt sich in Berlin nach der verlorenen Bundestagswahl gerade in der Opposition zurecht. In Bayern sieht der jüngste BR-BayernTrend aktuell derweil keine Mehrheit für die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern - die einen stehen bei 36 Prozent, die anderen bei acht. Hagen und seine Fraktion sehen sich dagegen im Aufwind: sieben Prozent – für bayerische FDP-Verhältnisse ein guter Wert. Bei ihrer Klausur stellen sich die Liberalen auch auf die Landtagswahl Ende 2023 ein. Personell sind die Fronten geklärt: Hagen ist seit November nicht nur Fraktionschef, sondern auch Landesvorsitzender – wird den Wahlkampf also anführen.
Bildung: Revolution des Systems?
Und inhaltlich? Da widmet sich die FDP nach ihrem Klimaschutz-Schwerpunkt im Herbst bei dieser Klausur besonders dem Thema Bildung. "Bitte keine Veränderung" – das sei die Strategie der Staatsregierung, wenn es um Schulen und Bildung geht. Matthias Fischbach, bildungspolitischer Sprecher der Fraktion, will stattdessen "unser Bildungssystem komplett revolutionieren". Der sogenannte Schulsprengel, der Schülerinnen und Schüler abhängig vom Wohnort eine Grundschule zuteilt? Soll weg, stattdessen: freie Schulwahl für alle.
Als "mutigen Schritt" bezeichnet das Fischbach. Man wolle eine "neue Dynamik schaffen". Es ist aber auch ein umstrittener Ansatz. Kritiker sorgen sich, dass dadurch die sozialen Schichten schon bei den Grundschülern mehr getrennt werden. Fischbach hingegen sieht es als Chance auf mehr Wettbewerb, "dass die Schulen um die Schülerinnen und Schüler mit den besten Bildungsangeboten konkurrieren müssen".
Fischbach: Schulfinanzierung "auf den Kopf stellen"
Um vergleichen zu können, will die FDP ein Schulqualitätsranking einführen, um zu erkennen, welche Schulen ihre Schülerinnen und Schüler gut voranbringen. Außerdem will Fischbach die Finanzierung der Schulen "auf den Kopf stellen", jede Schule soll ein eigenes Budget bekommen. Viele Vorschriften sollen gestrichen werden, um den einzelnen Schulen so mehr Handlungsfreiheit zu geben. Die sollen sie auch bei der Wahl der Lehrerinnen und Lehrer haben, die momentan oft einfach zugeteilt werden.
Auch sonst hält die FDP das Schulsystem für revolutionsbedürftig – und erneuert bereits im Vorfeld der Klausur eine Klassiker-Forderung der Liberalen: Lehrkräfte sollen stärker nach Leistung bezahlt werden, fordern Fischbach und Hagen. Selbst große Leistungsunterschiede schlagen sich demnach in der Laufbahn von Lehrkräften bisher kaum nieder. Hagen betont aber auch: Bayern habe schon jetzt "sehr gute Schulen, sehr engagierte Lehrkräfte".
Zweiter Schwerpunkt der FDP-Klausur ist die Wirtschaftspolitik. Genauer: die Sorge der Liberalen um den Wirtschaftsstandort Bayern. Genug Fachkräfte, sichere und bezahlbare Energie, der Wandel der Wirtschaft wegen Digitalisierung und Klimaschutz – laut Fraktionschef Hagen sind das zentrale Baustellen im Freistaat. Die bayerische Wirtschaftspolitik hält er seit drei Jahren für ambitionslos. Die unausgesprochene Botschaft an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und dessen Freie Wähler: Die FDP würde das mit der Wirtschaftspolitik im Freistaat gerne übernehmen.
FDP anschlussfähig an fast alle - wie lange noch?
Strategisch stehen die Liberalen aktuell gut da. Anschlussfähig zeigt sich Hagen bisher sowohl Richtung CSU als auch Richtung SPD und Grüne, den neuen Ampel-Kollegen in Berlin. Er spricht vom "Kurs der Eigenständigkeit", man sei im Bayerischen Landtag auch nicht der "verlängerte Arm der Ampelregierung". Hagen lobt auch den angedeuteten Kurswechsel von CSU-Chef Söder in der Corona-Politik, ein möglicher Paradigmenwechsel, den die Grünen bisher eher kritisch sehen.
Je näher der Wahltermin rückt, desto schwerer dürfte dieses Offenhalten der Optionen für die FDP aber werden: Die CSU hat mit den Freien Wählern eine Alternative im sogenannten bürgerlichen Lager, SPD und Grüne könnten im bayerischen Wahlkampf ein Bekenntnis der FDP zum Ziel "Ampel" erwarten. Dazu kommt: Die Impfpflicht-Debatte ist für die Liberalen besonders heikel. Bayerns FDP hat sich laut Hagen klar gegen eine allgemeine Impfpflicht positioniert, letztlich werde es aber eine "Gewissensentscheidung frei gewählter Abgeordneter". Nicht die einzige Herausforderung: Auch die Antwort auf die Frage, ob die FDP-Anhänger generell das gemeinsame Bündnis mit SPD und Grünen überwiegend goutieren, steht noch aus.
Einer der nächsten Schritte in Berlin, mit Auswirkungen für Bayern: Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, wahrlich kein FDP-Projekt, geplant wohl zum 1. Oktober. Der Chef der FDP-Landesgruppe im Bundestag, Karsten Klein, sagt dazu in Seeon: "Wir sind verlässliche Partner." Man werde keine künstlichen Hürden aufbauen, sondern zustimmen: "Denn wir erwarten auch, dass unsere Projekte schnell und unkompliziert umgesetzt werden." Da blitzt es dann nochmal auf, das Selbstbewusstsein der Liberalen, im Nicht-mehr-nur-CSU-Ort Seeon.
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