Zwei Jugendliche hatten gegen Priester Dieter Scholz aus dem Erzbistum Bamberg 1963 Missbrauchsvorwürfe erhoben. Das Erzbistum erlaubte ihm daraufhin, als Missionar nach Bolivien zu gehen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1969 gab es nach Aussage der Pressestelle des Erzbistums in der bayerischen Heimatgemeinde zahlreiche weitere Opfer.
Darunter auch der damalige Ministrant, Martin Berger (Name von der Redaktion geändert): Scholz habe ihn in den 70er Jahren mehrfach missbraucht, sagt Berger. Dass das damalige Erzbistum den Priester Scholz weiter wirken ließ, obwohl dem Bistum die Vorwürfe bekannt waren, empört ihn: "Für mich ist das ein Freibrief und eine Lizenz für den Täter zum Weitermachen."
Das Erzbistum Bamberg schreibt auf Anfrage, warum das Erzbistum damals "Staatsanwaltschaft oder Polizei nicht eingeschaltet hat, ist für uns nicht nachvollziehbar". Inzwischen wurde eine wissenschaftliche Studie zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch durch Kleriker der Erzdiözese in Auftrag gegeben.
Bistum Eichstätt finanzierte mutmaßlichen Sexualstraftäter verdeckt
Auch Pfarrer Josef Ludwig Zottmann aus dem Bistum Eichstätt verschwand im Ausland. Er wurde sogar mit einem Haftbefehl gesucht. Danach hatten ihn fünf Schulmädchen 1969 wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Ein Kind berichtete sogar über Geschlechtsverkehr mit dem Pfarrer.
Das Bistum Eichstätt finanzierte den Auslandsaufenthalt verdeckt, indem es sein Gehalt als "Missionsspende" tarnte. Über ein zwischengeschaltetes Kloster ließ der Eichstätter Generalvikar das Geld weiter ins Ausland transferieren. "Aufenthalt unbekannt" – hieß es hingegen gegenüber der Polizei. Dies zeigen bisher unter Verschluss gehaltene Unterlagen aus dem Archiv des Bistums Eichstätt, die report München exklusiv vorliegen.
Der frühere Polizist Peter Grimm arbeitet den Fall Zottmann derzeit für die unabhängige Aufarbeitungskommission der Diözese auf. "Da ist schon sehr viel kriminelle Energie dahinter. Das muss man schon sagen", erklärt Grimm.
Video: Der Fall Zottmann
Kirchliche Würdenträger entzogen Täter wissentlich der Strafverfolgung
Hochrangige Kirchenvertreter in Deutschland und in Brasilien – darunter ein Abt und mehrere Bischöfe – waren über die Strafverfolgung informiert. Doch mit den Behörden kooperierten sie nicht. Dies belegen Briefe, die das ARD-Politikmagazin report München und das ARD Studio Rio de Janeiro exklusiv einsehen konnten. Erst als die Tat verjährt wäre, kehrte Zottmann in den 1980er Jahren wieder zurück nach Deutschland.
report München liegen weitere Fälle von Priestern mit Missbrauchsgeschichte aus anderen Bistümern vor, die im Ausland unterkamen. Mehrere Fälle sind nach Angaben der Pressestelle etwa aus dem Bistum Trier bekannt. Darunter ein Priester, gegen den es im Vorfeld in Deutschland ein Strafverfahren wegen sexuellem Missbrauch gegeben hatte. Er wurde noch Ende der 1990er Jahre in Osteuropa eingesetzt.
Ein zweiter Priester arbeitete ab 1966 als Pfarrer in Südamerika, obwohl es auch in diesem Fall bereits in den 60er Jahren "deutliche Hinweise auf mögliche Missbrauchsfälle" in Deutschland gegeben habe, erklärt die Pressestelle des Bistums Trier auf Anfrage. Auch das Bistum Trier lässt solche Fälle aktuell von einer unabhängigen Aufarbeitungskommission prüfen.
Juristin: Kirche kreativ beim Verschleiern und Vertuschen
Die Aufarbeitungsexpertin und Juristin Bettina Janssen stieß auf vergleichbare Fälle. Sie untersuchte Akten im Auftrag der katholischen Kirche – unter anderem für die Deutsche Bischofskonferenz. Ihr Fazit: "Man hat verschiedenste Möglichkeiten gefunden, um einen Priester verdeckt zu halten und die Verbindung zum Bistum zu verschleiern, zu vertuschen und um ihm finanzielle Hilfe zukommen zu lassen." Janssen stieß auf falsche Namen, Konten von Mittelsmännern und verdeckte Finanzströme. Die Opfer hätten dabei keine Rolle gespielt. Die Juristin und Mediatorin aus Köln bewertet Praktiken wie diese als "eine Form der Strafvereitelung".
Eichstätter Bischof spricht von "Praktiken mit kriminellem Anstrich"
Im Interview mit report München spricht der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke von einem "No-Go" und von Praktiken mit "kriminellem Anstrich": "Das war für mich eine schockierende Nachricht, dass dieses System so vernetzt war und so gearbeitet hat. Ich habe sehr darunter gelitten – auch mit Blick auf die Betroffenen. Priester sind Vertrauenspersonen. Und dieses Vertrauen ist zutiefst mit Füßen getreten worden."
Die Bistümer in Trier und Eichstätt und das Erzbistum Bamberg fordern mögliche Betroffene auf, sich zu melden.
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