"Sie haben jetzt die Chance, ihr Leben straffrei auf die Reihe zu bekommen", sagte der Richter zu einer sichtlich bewegten Sibel H. vor dem Oberlandesgericht München. Die 33-jährige IS-Rückkehrerin weinte, als das Urteil verkündete wurde. Tränen hatte Sibel H. schon in der vergangenen Woche vergossen, als ihr nach den Plädoyers das Schlusswort überlassen wurde: "Ich weiß, dass ich einen großen Fehler begangen habe."
IS-Rückkehrerin schon länger auf freiem Fuß
Drei Jahre Freiheitsstrafe – unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung: So lautet das Urteil gegen die 33-Jährige aus dem Raum Aschaffenburg. Sibel H. befindet sich aber schon länger auf freiem Fuß, weil die Behörden keine Fluchtgefahr sehen. Die Verteidigung kann beantragen, dass diese Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Wenn das Urteil rechtskräftig sei, müsse über die Bewährung entschieden werden, sagte ein Gerichtssprecher. Das hänge vor allem davon ab, ob die Frau dann als rückfallgefährdet gelte.
Mehr als acht Monate hatte die 33-jährige Deutsche nach ihrer Zeit bei der Terrormiliz IS in einem kurdischen Gefangenenlager verbracht. Diese Zeit wird laut Gericht angerechnet. Ein Tag Lagerhaft gilt wie drei Tage Haft in Deutschland. Diese Anrechnung hatte die Verteidigung gefordert - aufgrund der Bedingungen in dem Lager. Anwältin Seda Basay-Yildiz war zufrieden mit dem Urteil, will aber noch abwarten wie die Bundesanwaltschaft reagiert. Diese hatte dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe gefordert.
Hintergrund ist die sogenannte "Anrechnung von im Ausland erlittener Haft" nach Paragraf 51 des Strafgesetzbuches. Danach werden Aufenthalte in einem ausländischen Gefängnis wegen schlechterer Bedingungen als hierzulande mit einem Faktor bemessen und bei einer Haftstrafe in Deutschland angerechnet.
Ehemann im Irak zu Freiheitsstrafe verurteilt
Mehrere Frauen und Männer aus Europa, auch aus Deutschland, sitzen bis heute in diesen kurdischen Lagern – ehemalige IS-Unterstützer, die versuchen über den Gerichtsweg ihre Rückkehr nach Deutschland zu erstreiten. Seit mehr als einem Jahr werden immer wieder die Zustände in den Lagern angeprangert. Auch die Anwältin von Sibel H. hatte beschrieben, wie es dort zugeht: kaputte Toiletten, Menschen auf engstem Raum zusammen, hohe Infektionsgefahr. Beobachtungen des Auswärtigen Amtes, aus denen während des Verfahrens zitiert wurde, bestätigen derartige Berichte.
In kurdischer Gefangenschaft sitzt ebenfalls Deniz B., Ehemann von Sibel H.. Mit ihm war die Angeklagte 2016 zum IS ausgereist. Er ist der Vater der beiden gemeinsamen Kinder, die im Kriegsgebiet geboren wurden. Ein Gericht im Irak hat Deniz B. nun zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt. Wann er wieder nach Deutschland kommt, ist vollkommen unklar. Deniz B. beteuert, er sei ausgereist, um humanitäre Hilfe zu leisten
Angeklagte durchläuft ein Aussteigerprogramm
Das Gericht sieht als erwiesen an, dass sich Sibel H. ganz bewusst zweimal der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak angeschlossen hat. Das erste Mal 2013. Nach dem Tod ihres ersten Ehemanns sei sie Anfang 2014 zurückgekehrt. Zurück in Deutschland wurde sie dem Richter zufolge in der Salafisten-Szene als Märtyrer-Witwe verehrt. Gleichzeitig erfuhr sie aber in ihrer Heimatstadt bei Aschaffenburg aufgrund ihres IS-Hintergrunds viel Misstrauen und Ablehnung. Schließlich, so das Gericht, habe sie sich gemeinsam mit ihrem Ehemann Deniz B. zu einer zweiten Ausreise entschieden.
Sibel H. und Deniz B. lebten während ihrer Zeit beim IS in unterschiedlichen Immobilien. Vom IS bekam der Ehemann nach Ansicht des Gerichts Waffen zur Verfügung gestellt, die er auch nach Hause mitbrachte. So war Sibel H. den Ermittlungen zufolge eine Mitbesitzerin der Waffen – ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
Seit April 2018 ist Sibel H. wieder in Deutschland. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern. Das Gericht sieht positiv, dass die Angeklagte ein Geständnis abgelegt hat und seit ihrer Rückkehr ein Aussteigerprogramm durchläuft. Sie habe sich von der Salafisten-Szene distanziert.