Eine Familie sitzt auf einer Bank.
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Familie Hashemy lebt seit fast einem Jahr in der Gemeinschaftsunterkunft in Neuburg.

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Geflüchtete versorgen und integrieren: Kommunen an ihren Grenzen

Geflüchtete versorgen und integrieren: Kommunen an ihren Grenzen

Derzeit leben in Bayern so viele Menschen in Asylunterkünften wie zuletzt 2016. Die Geflüchteten wollen ankommen, doch das dauert: Wohnraum, Kindergartenplätze und Deutschkurse sind knapp. Die Kommunen stoßen an ihre Grenzen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Sayed Shaw-Hashemy und seine Frau Margan spielen mit ihren beiden kleinen Kindern auf dem Spielplatz der Gemeinschaftsunterkunft im oberbayerischen Neuburg an der Donau. Die beiden älteren Kinder sind noch in der Schule. Der 35-jährige Sayed Shaw-Hashemy ist Bauingenieur und arbeitete in Afghanistan für deutsche Organisationen - er baute beispielsweise Schulen mit auf - bis zur Machtübernahme der Taliban. Die Situation wurde für ihn immer gefährlicher. Er floh mit seiner Familie.

In Deutschland zählt er zu den sogenannten ehemaligen Ortskräften. In Bayern fühlt er sich sicher. Doch der Alltag ist eine Herausforderung: Seit fast einem Jahr lebt die Familie mit ihren vier Kindern in der Unterkunft. Rund 30 Quadratmeter haben sie: "Ich suche nach einer Wohnung. Denn in einem Raum mit sechs Familienmitgliedern zu leben, ist etwas herausfordernd. Ich kann mich nicht so gut auf das Lernen konzentrieren. Die Kinder ins Bett zu bringen ist auch schwierig, weil sie unterschiedlich alt sind." Doch er weiß: Wohnraum in der Region um Ingolstadt ist Mangelware.

Knapper Wohnraum - Unterbringung wird immer schwieriger

Wohnraum im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen ist knapp. Die Unterbringung der geflüchteten Menschen wird immer schwieriger. Bereits seit fast einem Jahr nutzt der Landkreis zwei Turnhallen als Notunterkünfte. Rund 150 Menschen sind derzeit dort untergebracht.

"Wir haben mittlerweile fast keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr. Es wird von Woche zu Woche schwieriger, im boomenden Wohnungsmarkt der Region Ingolstadt etwas zu finden und neben der Unterbringung ist natürlich auch die Integration dann kaum noch leistbar", berichtet Landrat Peter von der Grün (FW). Er würde sich eine "Verschnaufpause" wünschen. Eine kurzzeitige Begrenzung der Zuweisungen in die Städte und Gemeinden wäre hilfreich, meint er. Doch in der nächsten Woche soll wieder ein Bus mit etwa 50 Menschen im Landkreis ankommen, die dann einen Platz brauchen. Bayernweit wird es in den Asylunterkünften eng.

Unterkünfte sind voll

Laut bayerischem Innenministerium sind die Unterkünfte aktuell zu 96 Prozent ausgelastet. Rund 119.000 Menschen sind derzeit dort untergebracht. In Bayern leben aktuell rund 380.000 sogenannte Schutzsuchende. Unter Schutzsuchende fallen unter anderem auch Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind und sich in Deutschland nur registrieren müssen. Lediglich ein Drittel von ihnen lebt in staatlichen Unterkünften. Dazu kommen Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben und noch auf einen Bescheid warten. Aber auch Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die dennoch in Deutschland geduldet werden, weil sie etwa berufstätig sind oder eine Ausbildung machen.

Um leichter Wohnraum zu finden, unterstütze die Staatsregierung die Kommunen: Beispielsweise werden alle ungenutzten Liegenschaften des Freistaats darauf geprüft, ob sie zu Unterkunftszwecken genutzt werden können, heißt es aus dem Innenministerium.

Landkreistag: "Kapazitäten erschöpft"

Der bayerische Landkreistag bestätigt die Probleme, die beispielsweise der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen hat. "Bayernweit steigen die Flüchtlingszahlen massiv an. Die Unterbringungs- und Versorgungskapazitäten sind vielerorts erschöpft. In allen Bereichen - von der Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge bis zur Kinderbetreuung - ist die Situation extrem angespannt", teilt der Präsident des bayerischen Landkreistags, Landrat Thomas Karmasin (CSU), auf BR-Anfrage mit.

In einem Schreiben haben sich die bayerischen Landrätinnen und Landräte an die Bundesregierung gewandt. Sie fordern beispielsweise eine lückenlose Sicherung der Grenzen, statt Geldleistungen ein Bezahlkartensystem und dringend Entlastung bei der Unterbringung.

Grafik: Zahl der Personen in bayerischen Asylunterkünften

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So hat sich die Zahl der Menschen in bayerischen Asylunterkünften seit 2014 entwickelt.

Kitaplätze knapp, Integrationskurse voll

Im Landratsamt in Neuburg gibt Landrat von der Grün zu bedenken, dass neben der Unterbringung die Integration derzeit höchstproblematisch sei. "Bürgermeister erzählen, dass sie mit dem Bau von Schulen und Kitas kaum nachkommen. Die Träger der Integrationskurse berichten über Wartelisten." Die Abfrage der Träger im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen bestätigt das. Auf BR-Anfrage berichten sie von vollen Kursen, teilweise mit Wartelisten von bis zu 200 Personen. Vereinzelt gebe es noch freie Plätze für Kurse im November oder Januar.

Deutsch lernen: Wichtigster Schritt für die Integration

Auch der Afghane Sayed Shaw-Hashemy sucht noch Kindergartenplätze für seine jüngeren Kinder. Zum einen könnten er und seine Frau in dieser Zeit noch mehr Deutsch lernen. Zum anderen sieht er viele Vorteile im Kindergarten: "Leider haben wir bislang noch keinen Platz. Es war so gut für sie, weil sie dort schnell Deutsch lernen und auch ganz viele andere Dinge lernen und dort gefördert werden. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, die Kinder zu bilden."

Glück hatte er beim Integrationskurs: Seit Kurzem besucht er den Deutschkurs der Volkshochschule in Neuburg. Vier Stunden, viermal pro Woche. Rund 20 Menschen sind im Kurs – sie kommen aus sechs verschiedenen Nationen. "Wir lernen jeden Tag sehr viel. Unsere Lehrerin spricht über das deutsche Bildungssystem, den Verkehr, Gesetze, über alles – die Wirtschaft. Jeden Tag lernen wir viel Neues, neben der Sprache. Und das macht viel Spaß", erzählt Sayed Shaw-Hashemy, während er in seinem Buch blättert und Fragewörter markiert. Er hofft auf eine gute Zukunft für sich und seine Familie in Deutschland.

Hoffnung auf ein neues Leben

Während Sayed Shaw-Hashemy nachmittags den Kurs besucht, lernt seine Frau Margan vormittags Deutsch – beziehungsweise erst mal das lateinische Alphabet. Einer kümmert sich immer um die Kinder. Mittags kommen die beiden Schulkinder nach Hause. Sie machen dann ihre Hausaufgaben. Die elfjährige Sama besucht die vierte Klasse der Grundschule. Sorgfältig schreibt sie Sätze ab. Danach Rechenaufgaben: "Ich muss ins Gymnasium gehen, weil ich will in Zukunft eine Ärztin werden, damit ich der Menschheit helfen kann. Ich bin so glücklich, weil in Afghanistan sehe ich, dass die Mädchenschulen geschlossen sind."

Die Bildung seiner Töchter ist Vater Shaw-Hashemy wichtig. Nach und nach will sich die Familie in Deutschland eine Zukunft aufbauen. Er selbst wartet noch auf die Anerkennung seines Masterabschlusses. Wenn er dann gut Deutsch spricht, will er arbeiten. "Ich will mit meinen Erfahrungen hier zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft werden, dafür muss ich die Sprache lernen. Das ist mir sehr wichtig."

Er wünscht sich, dass seine gesamte Familie schnell die Sprache lernt und den Zugang zur Bildung nutzt. Vor allem hofft er, schnell eine Wohnung zu finden – dass er für die Integration viel Geduld braucht, hat er bereits gelernt. Doch er ist froh, in Deutschland zu sein, und will alle Chancen, die sich ihm bieten, nutzen.

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