Ein Blick auf die Liste der eingeladenen Gäste offenbart eine ungewöhnliche Gruppe, die sich da am Montagabend im großen Sitzungssaal des Münchner Ratshauses versammelt hat: Wohlfahrtsverbände neben Vertretern von BMW und Siemens, ein namhafter Soziologe der LMU neben einem Mitarbeiter des Bellevue di Monaco, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch ist mit von der Partie, ein paar Stühle entfernt sitzt Fridays-For-Future – und ja: Der Einladung zum Dialog für Demokratie und gegen Rechtsextremismus von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) war sogar der FC Bayern gefolgt.
Breit aufgestelltes Bündnis als Ziel
Ein breit aufgestelltes Bündnis gegen Rechtsextremismus und für Demokratie sollte an diesem Montagabend im Münchner Rathaus entstehen. Die Idee ist nicht neu: Bereits während der Regierungszeit von Alt-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatten sich religiöse Gemeinden, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Universitäten im "Bündnis für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaat" zusammengetan und gegen Rechtsextremismus engagiert.
Die Idee, ein solches Bündnis in ähnlicher Zusammensetzung wieder aufleben zu lassen, kam nach der Großdemonstration im Januar dieses Jahres am Münchner Siegestor auf. An jenem Sonntagnachmittag hatten sich – je nach Schätzung – zwischen 100.000 und 250.000 Menschen versammelt, um "gegen rechts" zu demonstrieren. Nur wenige Wochen später erstrahlte die Theresienwiese in den mitgebrachten Lichtern von rund 30.000 Demonstranten.
Auslöser für die großen Demos war die Recherche des Netzwerks "Correctiv", wonach Mitglieder der AfD, der CDU und rechte Aktivisten bei einem Geheimtreffen über die Idee einer "Remigration" – also einer Ausweisung von Menschen, auch Bundesbürgern, mit Migrationshintergrund aus Deutschland – diskutiert hatten. München habe damals ein "europaweites, ja weltweites Zeichen gesendet", sagte Dieter Reiter im Nachgang.
Kritik an FFF als Mitveranstalter
So "beeindruckend" die beiden Demos nach den Worten von Dieter Reiter waren – die Veranstaltungen, besser gesagt deren Organisatoren, gaben auch Anlass für ziemlich viel Kritik. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hielt Fridays-For-Future als Mitveranstalter damals für "ungeeignet", der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) beklagte eine Unterwanderung der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus "von Linksextremisten", und auch aus der SPD kam Kritik an den Redebeiträgen bei der Demonstration auf der Münchner Ludwigsstraße.
Der Wunsch nach einem breiter aufgestellten Bündnis war offenbar groß. Nur: Ganz so einfach schien sich diese Idee dann doch nicht umsetzen zu lassen: Am Ende der Veranstaltung von Oberbürgermeister Reiter steht zwar ein Plakat mit dem Appell "Sei ein Mensch!" und der Hashtag #gegenRechtsextremismus sowie eine gemeinsame Erklärung "für Demokratie" und "gegen Rechtsextremismus". Ein festes Bündnis sei aber nicht entstanden, erzählten Teilnehmer des Dialogs im Anschluss an die nicht-öffentliche Veranstaltung. "So weit waren wir heute noch gar nicht", so Justizminister Eisenreich.
Kampagne der Stadt München
Bündnis oder kein Bündnis: Das, meint wiederum Oberbürgermeister Dieter Reiter, sei lediglich eine Frage der Definition: "Für mich ist es schon ein konkretes Bündnis, wenn ich mich mit den gleichen Teilnehmern zu einem nächsten Veranstaltungstermin verabrede". Man habe eben heute keine konkrete Namensgebung diskutieren wollen, so Reiter, denn es habe Wichtigeres zu besprechen gegeben als das Label der Gruppe. Ziel sei es nun, die gemeinsame Werteerklärung weiterzutragen in die Münchner Stadtgesellschaft. Das wolle die Stadt München mit einer Kampagne begleiten.
Wie können die nächsten Schritte aussehen?
Und doch stellt sich die Frage, wie die nächsten Schritte nun konkret aussehen könnten. Soll die Initiative in Zukunft die Organisation von Demonstrationen übernehmen oder in einer anderen Form wirken? Von Fridays-For-Future, dem viel kritisierten Veranstalter der ersten Großdemo, kommen einordnende Worte: "Bündnis muss nicht gleich Bündnis sein", sagte Klimaaktivist Len Schindlbeck dem BR nach der Veranstaltung. Ein neues Bündnis müsse nicht unbedingt dem bislang bestehenden Bündnis "Gemeinsam gegen Rechts" ähneln, indem sich der neue Zusammenschluss künftig ausschließlich um die Organisation von Demos kümmere. Zumindest eine neue Großdemo wurde bei dem ersten Treffen nicht geplant - denn welche Aufgaben ein potenzielles neues Bündnis tatsächlich übernehmen wird, blieb weiterhin unklar.
"Ein neues Bündnis könnte zum Beispiel auch Bildungsarbeit leisten", so Schindlbeck. Man sei sehr offen in den Austausch mit den anderen Institutionen gegangen. Die Frage sei nur, ob tatsächlich ein Bündnis entstehen könne aus den sehr vielen verschiedenen potenziellen Partnern, "aber das wird sich noch zeigen".
Sorge vor Stimmenzuwachs der AfD
Geplant sei auf jeden Fall eine "Fortsetzung dieses Dialogs", heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt München, ob in gleicher oder anderer Besetzung "muss sich noch zeigen". Fest steht: Ein Zusammenschluss aller relevanten Akteure in der Stadt München wäre ein klares Signal – denn nicht nur in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wächst die Sorge, die AfD könnte bei den anstehenden Landtagswahlen dieses Jahr an Stärke gewinnen. Laut dem letzten BayernTrend lag die Partei im Januar 2024 bei über 14 Prozent im Freistaat Bayern und überholte damit sogar zwischenzeitlich die Freien Wähler.
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