Der Miltenberger Landrat äußert sich skeptisch bezüglich der Äußerungen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese bekräftigte, eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme abzulehnen und erklärte, dass der Bund die Kommunen im letzten Jahr mit 4,4 Milliarden Euro unterstützt habe, für 2023 seien weitere 2,75 Milliarden zugesagt. "Das ist bei weitem zu wenig", kritisierte Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.
"Jede Woche werden dem Landkreis Miltenberg 25 bis 30 Geflüchtete zugewiesen. Wir bräuchten jede Woche eine neue Unterkunft – doch weder die Einrichtungen noch das Personal fallen vom Himmel. Wir brauchen Personal, um die Menschen zu betreuen und zu integrieren und diese Gelder werden uns nicht erstattet."
"Leute gehen auf dem Zahnfleisch": Landrat warnt vor Reaktion der Bevölkerung
Scherf fordert mehr Transparenz bezüglich der Kostenverteilung und einen dauerhaften Dialog zwischen Bund und Land. 3,75 Stellen stünden seinem Landkreis von staatlicher Seite für die Beratung und die Integration Geflüchteter zur Verfügung – bei weitem zu wenig. Von den aktuell 1.200 Plätzen für Geflüchtete seien bereits 95 Prozent belegt. Weitere 1.300 Menschen aus der Ukraine hätten private Unterkünfte gefunden. "Der Austausch zwischen Bund und Land muss intensiver werden", so Scherfs Forderung.
In Sachen Obergrenze sagt er: "Wir brauchen legale Arbeitswege, wir müssen Ordnung und Struktur in die Sache bringen, gerade was die Situation auf den Transitrouten anbelangt. Die Lage auf unserem Wohnungsmarkt, die ärztliche Versorgung, Kindergartenplätze – die Leute gehen auf dem Zahnfleisch. Wir müssen Sorge tragen, dass es bei einer breiten positiven Akzeptanz in der Bevölkerung bleibt".
Offener Brief an Scholz - doch die Situation hat sich weiter zugespitzt
Im Januar 2023 hatte sich Landrat Scherf mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt: Die Kommunen seien bei der Betreuung von Geflüchteten überfordert, hieß es damals. Mitte März folgte ein zweiter offener Brief, den Scherf zusammen mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) an den Bundeskanzler geschickt hatte. Seit Jahresbeginn hat sich die Situation weiter zugespitzt, wie Scherf vor wenigen Tagen dem BR berichtete.
Faeser räumt schwere Situation der Kommunen ein - lehnt weitere Hilfen aber ab
In einem Interview mit der "Funke"-Mediengruppe hatte Faeser eingeräumt, dass die Situation der Kommunen sehr schwer sei. Die Lage müsse gemeinsam bewältigt werden. Sie könne Forderungen der Kommunen nach mehr Geld vom Bund für die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten jedoch nicht nachvollziehen.
Die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, lehnt die Bundesinnenministerin ebenfalls ab: "Wir erleben einen furchtbaren Krieg mitten in Europa. Acht von zehn Geflüchteten kommen aus der Ukraine. Da kann es keine Höchstgrenzen für Menschlichkeit geben", so Faeser im Interview. Kommunale Vertreter kritisieren diese Aussagen, ebenso Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Implizit rassistisch? Bayerischer Flüchtlingsrats kritisiert Rufe nach Obergrenze
Der Bayerische Flüchtlingsrat stützt die Aussagen von Nancy Faeser zur Flüchtlingspolitik. Auf Anfrage von BR24 sagt der Sprecher des Flüchtlingsrats Stefan Dünnwald dazu: "Wir sind hier ausnahmsweise mit Innenministerin Faeser einer Meinung. Wenn von fünf Flüchtlingen vier aus der Ukraine kommen, dann kann man nicht fordern, dass Geflüchtete aus Afghanistan, aus Syrien oder aus Afrika außen vor bleiben sollen, um die Situation in der Aufnahme der Kommunen zu verbessern." Politikerinnen und Politiker aller Couleur, die das fordern, sollten sich fragen, ob der Hintergrund dieser Forderung nicht implizit rassistisch sei, so Dünnwald.
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