Er sei dankbar für dieses "beeindruckende Werk", schreibt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, über das 14 Seiten lange Schriftstück der "Freunde Abrahams". Damit leiste der interreligiöse Verein einen wichtigen Beitrag, um die Situation in Nahost einzuordnen, Vorurteile abzubauen und für den wieder aufgeflammten Antisemitismus zu sensibilisieren.
Seit einem halben Jahr wachsen die Ängste jüdischer Menschen in Bayern - und umgekehrt fühlen sich muslimische Menschen in München immer weiter ausgegrenzt, so beobachtet es Stefan Jakob Wimmer, Vorsitzender der "Freunde Abrahams". "Mich erschreckt das sehr, diese extreme Polarisierung seit dem 7. Oktober und dass so wenig wahrgenommen wird, dass es auf beiden Seiten Täter und Opfer gibt", sagt Wimmer im BR-Interview.
Freunde Abrahams wollen mit Handreichung zum Verständnis beitragen
Er möchte das nicht einfach hinnehmen und hat sich mit einer "Handreichung" an die Öffentlichkeit gewandt, weil er hofft "dass wir zumindest in München die Probleme konstruktiver, effektiver und vernünftiger angehen können, als das bisher offenbar der Fall ist".
Darin etwa wird betont, dass der Nahost-Konflikt zwei Seiten habe, dass er per se kein religiöser Konflikt sei und dass jeder Konflikt überwindbar sei. Dass es dazu wichtige Regeln der Kommunikation brauche - und es keine Lösung sei, bestimmte Einschätzungen zu unterdrücken, so sie nicht hetzerisch oder verleumderisch seien.
So plädiert der Verein für verbale Differenzierung und erläutert in seiner Handreichung etwa, dass nicht auf der einen Seite "Israel", "die Israelis", "die Zionisten" oder gar "die Juden" stünden und auf der einen Seite des Konflikts "Palästina", "die Palästinenser", "die Araber" oder gar "die Muslime". "Sondern es stehen auf beiden Seiten sowohl solche Menschen, die eine friedliche und gerechte Lösung anstreben, gegenüber solchen, die sich dem verweigern." Das Spektrum an Meinungen und Sichtweisen sei außerdem nicht "monolithisch". Mit Israelis würde man beispielsweise oftmals die jüdische Bevölkerung meinen. Tatsächlich aber gebe es auch muslimische und christliche Israelis ebenso wie säkular-jüdische Israelis und praktizierend religiöse.
Außerdem sei Israelkritik nicht per se antisemitisch, es brauche einen differenzierten Umgang von öffentlichen Ämtern genau wie in Schulen oder im privaten Dialog. Der Konflikt lasse sich zwar nicht von München aus lösen, ein wertschätzendes Miteinander der Stadtgesellschaft brauche es aber.
Wimmer: Solidarität mit Israel bedeutet nicht Gutheißen israelischer Politik ohne Wenn und Aber
Solidarität mit Israel sei in Deutschland enorm wichtig, so Wimmer im BR-Gespräch. "Wer das nicht versteht, ist in Deutschland fehl am Platz." Dennoch bedeute diese Solidarität nicht, ohne Wenn und Aber mit der Politik Israels einverstanden zu sein. "De facto wird es aber gerade in München viel zu häufig so gehandhabt." Es sei eine verheerende Entwicklung, wenn umgekehrt die Position der Palästinenser generell unter Antisemitismus-Verdacht gestellt würde. Die hierzulande oft vorgegebene Position, "an der Seite Israels" zu stehen, fordere indirekt häufig eine Unterstützung des rechts und rechtsextrem geprägten, israelischen Regierungsnarrativs ein und gehe an der Vielstimmigkeit israelischer Realität vorbei, heißt es in der Handreichung.
Stefan Jakob Wimmer fordert, klar dagegen zu arbeiten. Inzwischen, so berichtet er, werde auch schon darauf geachtet, dass bei öffentlichen Veranstaltungen um Opfer auf beiden Seiten getrauert wird. Juden und Muslime würden wieder ein Stück weit aufeinander zu gehen - so wie beispielsweise am 13. März im Münchner Forum für Islam, beim interreligiösen Iftar.
Es sei ihr nicht leicht gefallen, der Einladung der Muslime zum öffentlichen Fastenbrechen zu folgen, sagte damals Eva Haller. "Der 7. Oktober sitzt wirklich sehr tief in meiner Seele. Er sitzt sehr tief in der Seele des jüdischen Volkes allgemein", so die Jüdin und Vorsitzende der Europäischen Janusz-Korczak Akademie. Und dennoch trat sie ans Rednerpult - auch weil sie festgestellt habe, dass Menschen auf beiden Seiten weinen. Und weil es ihr um die Freundschaften gehe, die sie über Jahre aufgebaut habe - über Religionsgrenzen hinweg in der bayerischen Landeshauptstadt - und an denen der Angriff der Hamas in Israel und der Krieg in Gaza nicht vorbeigegangen sind.
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