Würzburg ist Vorreiter und hat schon vor über zwei Jahren begonnen, seine Kirchen zu kategorisieren, um zu entscheiden, welche sie selbst erhalten möchte und welche nicht. "Es wird wohl kein Massenphänomen und vielleicht werden wir mal in einem Jahr nur wenige oder gar keine Kirche schließen müssen, aber es ist eine Situation, die uns in den nächsten Jahren begleiten wird", sagt Jürgen Emmert, der Leiter des Projekts Immobilienkategorisierung.
Aber auch für andere bayerische Bistümer und die evangelische Landeskirche sei es aufgrund der gegenwärtigen Situation unausweichlich, sich mit dem Thema Nachnutzung von Kirchen zu beschäftigen.
Schrumpfende Gemeinden, sinkende Einnahmen
Die Zahlen sprechen für sich. Im vergangenen Jahr verzeichnete die katholische Kirche die höchsten Austrittszahlen ihrer Geschichte. Eine Trendumkehr ist nicht absehbar. Gemeinden schrumpfen, immer weniger besuchen regelmäßig die Gottesdienste. "Bei uns im Bistum gehen wir davon aus, dass sechs Prozent der Katholiken regelmäßig Gottesdienste besuchen, ich kann mich noch an 20 bis 25 Prozent erinnern", sagt Emmert.
Damit sinken auch die Kirchensteuereinnahmen. Zudem gebe es immer weniger ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter. Wie viel durch den Verkauf einer Kirche jährlich eingespart wird, lasse sich nicht pauschal sagen. "Das können kleinere Summen, mehrere zehntausend Euro sein, bei einem größeren Sanierungsfall aber auch deutlich mehr."
Letzter Gottesdienst in Kirche in Rüdenhausen
Aktuelles Beispiel ist die katholische Kirche in Rüdenhausen im Landkreis Kitzingen. 1953 wurde die Kirche Maria Hilfe der Christen in dem eigentlich evangelisch geprägten Ort gebaut, als nach dem Krieg viele katholische Heimatvertriebene dort angesiedelt wurden. Doch im Laufe der Zeit verstarben viele, ihre Kinder zogen oftmals weg.
"Am Ende waren wir oft nicht mehr als acht Gläubige im Gottesdienst", sagt Hermann Metschnabl. Sein Vater habe die Kirche mitgemauert, er darin schon als Ministrant dem Gottesdienst gelauscht. Natürlich tue es ihm weh, sagt Metschnabl, und er habe auch geweint. "Aber irgendwann wird ein Gottesdienst dann sinnlos", sagt der 80-Jährige. Mitte März läuteten zum letzten Mal die Glocken. Die Geschichte der Kirche wurde mit einem letzten Gottesdienst beendet. Dabei wurde ein bischöfliches Schriftstück verlesen und die im Altar eingebrachten Reliquien entnommen.
Die Nachnutzung des Gebäudes ist noch ungewiss. Allerdings gibt es erste Interessenten, die sich vorstellen können, das Gebäude als Wohnraum oder Büro zu nutzen, sagt der zuständige Pfarrer Matthias Eller aus dem nahen Wiesentheid. Er selbst würde sich eine öffentliche Nutzung wünschen, die möglichst vielen Menschen zugutekommt.
Nachnutzungen als Geschäft oder Bar?
Ehemalige Kirchen, die heute als Kleidergeschäft, Buchhandlung oder Bar genutzt werden – in Belgien, den Niederlanden oder Großbritannien ist das schon gang und gäbe. Aber auch in Magdeburg oder Bielefeld gibt es bereits Restaurants in ehemaligen Kirchen, in Mönchengladbach ein Kletterzentrum. Und in Regensburg wird in der ehemaligen St. Peter und Paul Kirche gefeiert und Musik aufgelegt.
Auch in Unterfranken gibt es die Umnutzung schon länger. So beschloss der Rat der Stadt Wörth am Main 1985 den Umbau der ehemaligen St.-Wolfgangs-Kirche zu einer Kultureinrichtung. Heute befindet sich im ehemaligen Kirchenschiff ein Schifffahrtsmuseum. Und auch die Kunstgalerie "Spitäle" in Würzburg ist eine ehemalige Kirche.
Viele Möglichkeiten - aber ein paar Tabus
Erster Ansprechpartner bei einer Umnutzung seien andere christliche Konfessionen, heißt es vom Bistum. Aber auch kulturelle Veranstaltungsräume, ein Stadtteilzentrum, eine Bücherei und sogar ein Restaurant kann sich der Beauftragte und Kunstchef Jürgen Emmert gut vorstellen.
Absolute Tabus habe die Deutsche Bischofskonferenz schon vor 20 Jahren formuliert. "Das sind Dinge, die gängigen Moralvorstellungen widersprechen, wie Glücksspiel oder eine Bordellnutzung. Das ist absolut ausgeschlossen und undenkbar", sagt Emmert.
Wie umgehen mit unerwünschter Nutzung?
Wichtig sei es, die Menschen bei neuen Nutzungen mitzunehmen und nicht vor den Kopf zu stoßen. Bei Hermann Metschnabl aus Rüdenhausen stößt das auf Zustimmung. Er kann sich eine Diskothek nicht in "seiner" Kirche vorstellen. "Das war eine Kirche, das darf man nicht vergessen", sagt der 80-Jährige.
Könnte die Kirche eine unerwünschte Nutzung nach einem Verkauf überhaupt verhindern? "Wir wollen in den Verträgen eine solche Nutzung möglichst ausschließen", sagt Emmert. Wie weit das aber bei einem erneuten Wiederverkauf noch trägt, sei ungewiss.
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