Soll Markus Söder seinen Wirtschaftsminister vor die Tür setzen? Das fordert ein Antrag der Grünen im Landtag mit dem Titel "Demokratie gemeinsam stärken statt das Lied der Rechtspopulisten singen". Darin fordern die Grünen den Ministerpräsidenten auf, Hubert Aiwanger wegen seiner umstrittenen Äußerungen das Ministeramt zu entziehen. In seiner Rede zum Antrag wirft der grüne Landtagsabgeordnete Thomas Gehring Aiwanger vor, sprachlichen Anstand und Redlichkeit vermissen zu lassen: "Er hat nicht zum ersten Mal eine rote Linie überschritten", sagt Gehring.
Der Chef der Freien Wähler diffamiere politisch Andersdenkende. Insbesondere der Satz Aiwangers, dass "endlich der Punkt erreicht ist, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss", empört den Grünen-Politiker: "Dieser Satz ist falsch und antidemokratisch. Die Demokratie war nicht weg und muss auch nicht zurückgeholt werden. Der Satz ist ungeheuerlich."
Grüne: Aiwanger schürt Ängste
Es gebe Ängste in der Bevölkerung, sagt Gehring, der Krieg in der Ukraine und Inflation, jedoch: "Es ist nicht die Aufgabe von uns Politikern, Ängste zu schüren und zu instrumentalisieren, das ist unanständig und undemokratisch." Auch der Fakt, dass sich Hubert Aiwanger für seine Aussagen danach nicht entschuldigt habe, sie gar relativiert und verteidigt habe, erschüttert Gehring. Die Kritik an seinen Aussagen als "linke Masche" abzutun, zeige – so Gehring wörtlich - "wie intellektuell erbärmlich und uneinsichtig" Aiwanger sei.
Mehring: "Sturm im Wasserglas"
Bei der hitzigen Debatte am späten Abend verteidigte der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler Fabian Mehring seinen Parteivorsitzenden: "Bei nüchterner Betrachtung ohne Schaum vorm Mund bleibt von den Vorwürfen wenig übrig", sagte Mehring. Den Grünen gehe es mit dem Antrag gegen Hubert Aiwanger nur darum, einen "Sturm im Wasserglas zu erzeugen und eine Politshow aufzuführen", das sei ein schäbiges und durchschaubares Manöver.
Weder sei das Publikum auf der Kundgebung rechtspopulistisch gewesen, so Mehring, noch habe Aiwanger die Gesellschaft gespalten: "Hier liegt eine politisch gewollte Verwechslung von Ursache und Wirkung: Nicht Aiwanger spaltet, sondern die Ampel in Berlin spaltet", betont Mehring vor den Abgeordneten. Der Wirtschaftsminister benenne nur die Probleme. "Die Leute kamen doch nicht wegen Aiwanger zur Demo, sondern weil sie gegen das Heizungsgesetz sind", so Mehring.
Freie Wähler-Abgeordneter sieht "Tyrannei der Minderheit"
Dann legt der Landtagsabgeordnete der Freien Wähler nach: "Die Ampel macht Politik gegen den klar artikulierten Willen der Menschen in diesem Land." Es sei zwar juristisch und parlamentarisch legal, solch eine Politik gegen die Menschen zu machen, aber ob das auch legitim sei, diese Frage könne man sich stellen.
Das bürgerliche Lager müsse sich die Diskurshoheit zurückholen, fordert Mehring und findet: "Eine Demokratie, in der ständig die wenigen Lauten den vielen Vernünftigen die Ansage machen, ist eine Tyrannei der Minderheit." Man dürfe die 20 Prozent der Bevölkerung, die AfD wählten, nicht den "rechten Rattenfängern" überlassen, sondern zur politischen Mitte zurückholen, so Mehring.
CSU: Protest in Erding aus Mitte der Gesellschaft
Auch die CSU weist den Antrag der Grünen zurück. Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU Tobias Reiss merkt aber an: Ministerpräsident Söder habe sich klar abgegrenzt von den Feinden der Demokratie, diese Abgrenzung erwarte er von allen Mitgliedern der Staatsregierung.
Zu Aiwangers umstrittener Aussage sagt Reiss: "Wir müssen uns unsere Demokratie nicht zurückholen, sie ist nicht weg, wir müssen die Demokratie verteidigen und stärken und dabei auch in der Wortwahl solide und souverän unterwegs sein."
SPD: Aiwanger "macht sich gemein mit den Faschisten"
Die SPD unterstützt die Entlassung-Forderung der Grünen. Die Generalsekretärin der Bayern-SPD Ruth Müller wirft Aiwanger vor, gegen Veganer, gegen andere Politikerinnen und queere Menschen zu hetzen und Hass zu bereiten. In ihrer Rede sagt Müller: "Wenn ein demokratisch gewähltes Mitglied dieses Hauses auf der Bühne in Erding schreit 'es wird Zeit, dass wir uns die Demokratie zurückholen', dann macht man sich gemein mit den Faschisten, die unser Land schon einmal in den Abgrund geführt haben."
FDP: "Grüne übertreiben"
Die FDP dagegen will den Ruf nach Aiwangers Abdanken nicht mittragen. Die Aussagen von Aiwanger seien kritikwürdig, sagt Fraktionschef Martin Hagen. Er sieht in dem Antrag aber den Versuch der Grünen, vom Protest gegen das Heizungsgesetz abzulenken. Die Grünen übertrieben in ihrer Kritik.
Mit Blick auf die Kundgebung in Erding, bei der Hagen selbst auch auftrat, sagt er: "Es wäre schlimm, wenn man Rechtsradikalen eine solche Macht geben würde, dass man sagt, sobald sie sich in eine Menschenmenge mischen, müssen alle anderen diesen Platz verlassen."
AfD kritisiert "woken Mainstream" der Grünen
AfD-Fraktionschef Ulrich Singer empfindet den Antrag der Grünen als Paradebeispiel für den Wunsch "einer links-grünen sozialistischen Bewegung mit dem Ziel, alle Lebensbereiche mit Denk- und Sprechverboten zu belegen." In Richtung der Grünen fragt Singer, ob denn nur das demokratisch legitim sei, was von links komme. "Ist der Bürger unbequem, ist er für sie gleich rechtsextrem", kritisiert der AfD-Fraktionsvorsitzende.
Die Grünen wollten ihren "woken Mainstream" in "quasireligiöser Weise" überhöhen. Auch die CSU spart der AfD-Politiker nicht aus und verurteilt Söders Reaktion auf "Hau ab"-Rufe in Erding: "Zu sagen 'haut doch selber ab' – das ist die Reaktion eines beleidigten Kleinkindes."
CSU, Freie Wähler, FDP und AfD gegen den Antrag
Am Ende stimmten SPD und Grüne für den Antrag. Die Mitglieder der CSU, Freien Wähler, FDP und AfD lehnten das Grünen-Papier ab. Ohnehin kann ein Minister nur durch den Ministerpräsidenten aus dem Amt enthoben werden.
Hubert Aiwanger geriet ins Kreuzfeuer der Kritik nach einem Auftritt auf einer Kundgebung in Erding. Vor rund 13.000 Menschen schimpfte er über die Ampelkoalition und sagte wörtlich: "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss." In seiner Regierungserklärung im Landtag ging er nicht auf die Äußerungen ein.
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