Hermine Bolte bewohnt ein altes Haus in der Oberpfalz. Eine Etage hat sie vermietet. Die 73-Jährige heizt mit Öl. Sie würde gerne umstellen auf eine moderne, klimafreundlichere Heizung und ihr Dach erneuern, aber dafür bräuchte sie einen Kredit.
Nach einem Termin bei der Bank steht fest: Der Bankberater macht ihr ein Angebot. Aber der Haken: Sie vermietet eine kleine Wohnung in ihrem Haus, die gesamte Miete würde für den Kredit draufgehen. Bisher konnte sie damit ihre kleine Rente aufbessern. Hinzu kommt: Bis sie den Kredit abbezahlt hat, wäre sie 85. Das macht ihr Sorgen.
Wie Hermine Bolte geht es derzeit vielen Senioren auf dem Land. Eine Immobilie, oft unsaniert, die geheizt werden will. Zu den hohen Energiepreisen kommt die 2021 eingeführte CO2-Abgabe für Sprit und Heizung noch dazu.
Ab 2027 Emissionszertifikate: Wie werden sie Preise beeinflussen?
Bislang ist die CO2-Abgabe mit 45 Euro pro Tonne noch vergleichsweise moderat. Doch ab 2027 soll der CO2-Preis für Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel auch in den sogenannten ETS [externer Link] überführt werden: das Emissionshandelssystem der EU. Das heißt: Der Preis für CO2 bildet sich am Markt über Emissionszertifikate, die gehandelt werden. Bislang gibt es das nur für Teile der Industrie und für die Stromerzeuger.
Wie hoch wird der CO2-Preis dann steigen? Auf konkrete Nachfrage will sich das Bundeswirtschaftsministerium nicht äußern. Das sei Teil und Sache des Marktes. Da könne das Ministerium nicht spekulieren. Auch Verbraucherzentralen und Energieberater rechnen ihren Kunden normalerweise nur die CO2-Preise bis 2026 aus, die dann zwischen 55 und 65 Euro liegen sollen.
Danach könnte es deutlich teurer werden. Das Forschungsinstitut MCC leitete aus den EU-Klimazielen ab, dass der CO2-Preis bis 2030 auf 275 Euro steigen könnte. Das ist keine Prognose, keine Vorhersage, sondern nur eine Ableitung, was CO2-Ausstoß kosten müsste, damit Europa seine Klimaziele erreicht.
Grafik: CO2-Preis für Sprit und Heizung
Doch wenn es so käme: Was bedeutet das für Rentnerinnen wie Frau Bolte? Mit ihrem Verbrauch von 3.000 Litern Heizöl im Jahr zahlt sie aktuell bereits rund 425 Euro nur für die CO2-Abgabe.
Bleibt dieser Verbrauch erhalten und würde der CO2-Preis auf 275 Euro pro Tonne steigen, hätte sie pro Jahr für die CO2-Abgabe rund 2.600 Euro Mehrkosten. Dieser Betrag käme noch zu den eigentlichen Kosten für das Heizöl dazu. Die liegen derzeit laut dem Vergleichsportal "HeizOel24" ohne CO2-Abgabe bei ca. 2.775 Euro.
Grafik: Mehrkosten pro Jahr durch CO2-Abgabe bei Ölheizung mit einem Verbrauch von 3.000 Litern
Erläuterung zur Grafik: Annahmen: CO2-Preis 2028: 165 Euro/Tonne, 2030: 275 Euro/Tonne | CO2-Ausstoß pro 1.000 Liter Heizöl: 2,65 Tonnen | Verbrauch: 3.000 Liter/Jahr | Zahlen zur Verständlichkeit gerundet, inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer | Aufteilung Mieter/Vermieter nicht berücksichtigt
Die Verbraucherzentrale Bundesverband fordert in einem Brief an das Finanzministerium, den Bürgern noch in dieser Legislaturperiode zum Ausgleich ein Klimageld auszuzahlen. Dies wurde im Koalitionsvertrag angekündigt, doch bislang steht noch nicht mal der sogenannte "Auszahlungsmechanismus". Das heißt, selbst wenn ein Klimageld jetzt beschlossen würde, könnte der Staat den Bürgern das Geld nicht auszahlen.
"Die Regierung sagt uns seit Jahren, dass sie an dem Auszahlungsmechanismus arbeitet. Es ist immer noch keine auszahlende Behörde bestimmt. Das dauert viel zu lange (...) Aus sozialer Sicht ist es besonders wichtig, weil das Klimageld an sich schon eine soziale Komponente beinhaltet. Und Haushalte mit geringem Einkommen profitieren mehr als Haushalte mit hohem Einkommen." Thomas Engelke, Energie-Experte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)
In Zukunft mehr als 600 Euro Klimageld pro Person im Jahr?
Seit 2021 zahlten die Bürger nach Berechnungen der Verbraucherzentrale Bundesverband 11,4 Milliarden Euro CO2-Abgabe. Daraus stünden jedem Bundesbürger 139 Euro Klimageld zu, die der Staat zügig auszahlen solle, so die Forderung. Das Finanzministerium will nun einen Dialog mit dem Verband aufnehmen.
Noch weiter in die Zukunft geblickt: Würde der CO2-Preis tatsächlich bis 2030 auf 275 Euro pro Tonne steigen, ergäbe sich ein jährliches Klimageld von 623 Euro pro Person. Das berechnete das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), das Forschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Wäre damit die CO2-Bepreisung dann sozial ausgeglichen? Nein, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien.
"Natürlich geht es allen Haushalten besser, wenn sie ein Klimageld kriegen, als wenn sie keinen Klimageld kriegen. Aber es gibt Haushalte, die einen so großen CO2-Ausstoß verursachen, dass der CO2-Preis sie so stark belastet, dass auch das Klimageld das nicht ausgleichen kann. Nach unseren Berechnungen sind es fast fünf Millionen Haushalte, die in der Summe, also durch CO2-Preis auf der einen Seite und Klimageld auf der anderen Seite, stark belastet werden." IMK-Direktor Sebastian Dullien
Auf dem Land: Oft schlecht isolierte Häuser, lange Fahrten
Besonders belastet sind Haushalte mit mittlerem Einkommen auf dem Land. Denn sie leben oft in relativ schlecht isolierten Eigenheimen und pendeln mit dem Auto weite Strecken zur Arbeit. Beides wird durch die steigende CO2-Abgabe deutlich teurer. Gleichzeitig reicht das Haushaltseinkommen aber bei vielen nicht, um das Haus zu dämmen, die Heizung auszutauschen und noch auf ein Elektroauto umzusteigen.
Dies habe die Forschung bislang oft übersehen, weil man nur auf das Einkommen geschaut habe, so Dullien. Aber ein Haushalt mit niedrigem oder mittlerem Einkommen in der Stadt sei von der CO2-Abgabe deutlich weniger belastet. Die Wohnungen seien kleiner, oft besser gedämmt und bei Mietern übernehme der Vermieter einen Teil der Kosten der CO2-Abgabe für die Heizung. Viele Stadtbewohner bräuchten kein Auto, um mobil zu sein. Auf dem Land dagegen könne man diesen Kosten nicht entkommen. Während in der Großstadt und in Ballungsräumen nur 11 Prozent der Haushalte mit mittlerem Einkommen stark von der CO2-Abgabe belastet wären, wären es auf dem Land 18 Prozent, also fast jeder Fünfte.
"Das ist natürlich nicht gerecht, denn nur weil sie zufällig auf dem Land leben, kann man diese Menschen ja nicht stärker belasten. Das sind ja Menschen, die haben nicht eine höhere Leistungsfähigkeit als jemand mit dem gleichen Einkommen in der Stadt. Und plötzlich legen wir eine höhere Belastung auf die drauf. Das werden die Menschen als ungerecht wahrnehmen. Und es ist einfach ungerecht." IMK-Direktor Sebastian Dullien
Droht politische Polarisierung?
Dullien vermutet weiter, dass es zu massiver politischer Frustration führe, wenn den Menschen klar werde, wie sie netto dastehen durch CO2-Bepreisung plus Klimageld. "Wenn die Politik nicht darauf eingeht und nicht erkennt, dass wir hier ein großes soziales Problem bekommen, droht eine weitere Spaltung zwischen Stadt und Land. Und ich würde fürchten, dass auch eine weitere politische Polarisierung droht", so der IMK-Direktor.
Das Klimageld alleine kann die sozialen Verwerfungen durch steigende CO2-Preise also offenbar nicht ausgleichen. Die Verbraucherzentrale Bundesverband fordert deshalb auch zusätzliche Förderprogramme des Staates. Denn die vorhandenen Programme würden in vielen Fällen nicht helfen. Eine Förderung bekommt nur derjenige, der einen gewissen Anteil an den Kosten für Dämmung und neue Heizung auch selber bezahlen kann. Selbst für einen zinsgünstigen KfW-Kredit muss ein gewisses Einkommen nachgewiesen werden.
Hermine Bolte aus der Oberpfalz hat Glück. Ihre Rente und ihre Mieteinnahmen würden gerade so ausreichen, um den Kredit abzubezahlen. Doch viele andere stehen den absehbar deutlich steigenden Heizkosten bislang hilflos gegenüber.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!