Vor 30 Jahren hat eine Schweizer Volksinitiative eine Wende in der Verkehrspolitik in den Schweizer Alpen erreicht: 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten damals gegen den Willen von Bundesregierung und Parlament in Bern für die "Initiative zum Schutze des Alpengebiets vor Transitverkehr". Heute gilt die Schweiz für Alpenschützer, Mobilitätsexperten und alle, die viel mit dem ÖPNV unterwegs sind, als gelobtes Land. Schienenfahrzeuge und Postautos erreichen dort auch die abgelegensten Täler und es sind viel weniger Lastwagen auf den Alpenstraßen unterwegs.
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Für Uwe Roth, Geschäftsführer der Alpenschutzkommission Cipra Deutschland, ist der Unterschied spürbar, den der Mobilitätsexperte auch in Zahlen belegt: während in der Schweiz 70 Prozent des Güterverkehrs über die Alpen auf der Schiene transportiert werden, seien es in Österreich nur 25 Prozent.
Schienen-Ausbau in der Schweiz, Dauerstreit im Inntal
Am Brenner und in den angrenzenden Tälern wie dem Inntal gibt es in Bayern wie in Tirol eine Dauerdebatte über den Umgang mit dem wachsenden Verkehrsdruck. Währenddessen hat es die Schweiz geschafft, den entfesselten Lkw-Verkehr durch die Alpen zu kanalisieren. Ein Hebel dafür sind Straßennutzungsgebühren, die in der Schweiz für Lastwagen entsprechend höher sind. Richtig so, findet Uwe Roth, wenn die Gesamtrechnung mit Lärm, Feinstaub, weiteren Schadstoffen und dem CO2-Ausstoß gemacht werden würde. Rund elfmal weniger CO2 erzeugt eine Warentonne auf der Bahn gegenüber der Straße, so eine Berechnung des Vereins Alpen-Initiative, der sich für den Schutz des Alpengebietes vor Transitverkehr einsetzt.
Deutlich weniger Lkw in der Schweiz als am Brenner
Die Verlagerung in der Schweiz wurde begleitet durch die "NEAT", die "Neue Eisenbahn-Alpentransversale" mit den Bahntunnels am Lötschberg, am Gotthard und bei Ceneri im Tessin. Inzwischen ist auch der Bau des Brennerbasistunnels weit fortgeschritten, aber dieses Jahrhundertprojekt kann seine Funktion nur erfüllen, wenn entsprechende gesetzliche Grundlagen für eine Verlagerung des Verkehrs geschaffen werden, mahnt Uwe Roth.
Rund 2,5 Millionen Lastwagen sind 2022 nach Angaben der österreichischen Autobahnbetriebsgesellschaft Asfinag über den Brenner gefahren; nur ungefähr ein Viertel der Güter wurde mit der Bahn transportiert. Zum Vergleich: In der Schweiz ist es umgekehrt. Rund 2,5 Millionen Lastwagenfahrten wurden durch den Bahntransport vermieden. Über alle vier großen Schweizer Alpenpässe (San Bernardino, Gotthard, Simplon und Großer Sankt Bernhard) fuhren nur ein Drittel so viele Lastwagen wie über den Brenner. Trotzdem wurde auch dort das gesetzliche Ziel von maximal 650.000 alpenquerenden Lastwagenfahrten überschritten, kritisiert der Verein Alpen-Initiative, der bis heute die Verkehrspolitik in der Schweiz überwacht.
Negativpreis für unsinnige Transporte
Am Brenner und auf der Inntalautobahn führt die Verkehrsflut regelmäßig zu Blockabfertigung, Fahrverboten und Verkehrschaos. In der Schweiz trägt die Alpen-Initiative die Debatte dagegen auch in Sinn und Nutzen von Transporten überhaupt hinein: mit dem jährlichen Negativpreis "Teufelsstein" werden in einer Publikumsabstimmung die "unsinnigsten Transporte" prämiert. Preisträger waren Unternehmen oder Einzelhandelsketten, die Hundesnacks aus China, Wein aus Australien oder Eisbergwasser aus Grönland verkaufen. Auch die 2,5 Millionen Lastwagenfahrten über den Brenner haben viel mit unserem Konsum zu tun.
Verkehrswelle rollt in Bayern und Tirol immer tiefer in die Berge
Selbst in der Schweiz aber ist noch Luft nach oben bei der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene: rund die Hälfte der Kapazität auf den Güterbahnstrecken durch Lötschberg und Gotthard sind noch frei. Und als Aufgabe für die Zukunft sieht die Alpen-Initiative auch den ausufernden Freizeit-Personenverkehr, der die Menschen in den Alpentälern immer mehr belastet. Hier fordern die Schweizer Alpenschützer mehr Verlagerung auf die Bahn und ein intelligentes Verkehrsmanagement.
In Bayern werden stattdessen durch neue Tunnels um Garmisch-Partenkirchen die Straßen immer weiter ausgebaut. Als nächstes Großprojekt wird gerade ein Scheiteltunnel am Fernpass diskutiert. So rollt die Verkehrswelle immer weiter in die Berge hinein. Im Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention, einem völkerrechtlichen Vertrag über die nachhaltige Entwicklung der Alpen, steht dagegen, dass keine neuen hochrangigen Straßenverbindungen mehr geschaffen werden dürfen. Uwe Roth arbeitet mit Cipra Deutschland deshalb derzeit an einem Positionspapier. Von einer entschiedenen Verkehrswende, wie sie die Schweiz nach ihrer Volksabstimmung vor 30 Jahren auf den Weg gebracht hat, sind die anderen Alpenländer - und allen voran Bayern und Deutschland - noch viel weiter entfernt.
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