Denise Schnelle steht vor einem Berg von Handtüchern. Die Wäscherei im Dominikus-Ringeisen-Werk – einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung – ist da noch ihr Arbeitgeber. Doch sie hat andere Pläne. "Ich möchte finanziell freier sein und ein Leben ohne Unterstützung führen, damit ich meine Miete selbst zahlen kann", sagt die junge Frau. Dafür muss sie eine Stelle außerhalb der Werkstätten auf dem regulären Arbeitsmarkt finden - und das ist gar nicht so einfach.
Umstieg ist eher die Ausnahme
Derzeit gibt es in Bayern 37.000 Plätze in Werkstätten für Menschen mit Behinderung und mit "BÜWA" ("Begleiteter Übergang Werkstatt – allgemeiner Arbeitsmarkt") sogar seit 2014 ein eigenes Programm, das den Umstieg erleichtern soll.
Doch die Zahlen sind eher ernüchternd. Innerhalb von acht Jahren hatten 388 Personen daran teilgenommen, in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis konnten nur 146 vermittelt werden. Der Übergang von den Werkstätten ist ein vielschichtiges Problem.
Doppelt hält besser
Denise Schnelle ist über ein Praktikum bei der Metzgerei Leberl in Thannhausen gelandet. Sie arbeitete danach weiter, im Rahmen eines "ausgelagerten Arbeitsplatzes" der Werkstatt. Das soll Sicherheit bieten, denn wenn es vielleicht doch nicht klappt, ist eine Rückkehr möglich. Die Anforderungen in der Küche einer Metzgerei sind nicht zu unterschätzen – panieren, einen Auflauf machen oder frittieren muss die junge Frau. Es fällt ihr wegen ihrer Lernbehinderung oft schwer, sich Neues zu merken und manches muss sie sich zweimal erklären lassen. Doch letztlich hat es funktioniert.
Bentele: Unternehmen sollten kreativer werden
Zwar sind alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber mit mehr als 20 Mitarbeitern verpflichtet, mindestens fünf Prozent der Stellen mit schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Menschen zu besetzen. Sie müssen diese Quote jedoch nicht erfüllen, sondern können auch eine Ausgleichsabgabe pro Monat zahlen, die je Person von 140 bis 720 Euro reicht.
Nicht selten klaffen Anforderungen der Firmen und das Profil der Bewerber auseinander. Doch hier sollten Unternehmen und Politik kreativer werden, fordert Verena Bentele, Präsidentin des VdK. "Man muss Strukturen ändern, damit an einem Arbeitsplatz einfachere Tätigkeiten verlangt werden. Aber man könnte auch über Lohnkostenzuschüsse nachdenken, damit sie leichter eingestellt werden können", so Bentele.
Sichere Werkstatt – unsicheres Arbeitsleben?
Oft hätten Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen schlicht Angst, das relativ gesicherte Umfeld der Werkstätten mit einer umfassenderen Versorgung zu verlassen und in den regulären Arbeitsmarkt einzusteigen. "Sie befürchten, dass der Job nicht funktioniert, sie aber dann nicht mehr zurückkönnen in die Werkstatt. Und sie dann eben auch die Rentenansprüche verlieren, die man nach 20 Jahren aufbaut", so Bentele. Sie fordert mehr Flexibilität im Übergang und appelliert auch an die Werkstätten, sich mehr zu engagieren.
Hilfe bei der Inklusion
Das Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg hat mit Julia Ruf eigens eine Integrationsbegleiterin. Sie versteht sich als Vermittlerin, die Probleme zwischen den Beschäftigten mit Behinderung und ihren Arbeitgebern lösen soll. "Wir schauen, ob die Aufgaben stimmig sind und versuchen dann anzupassen. Denn der allgemeine Arbeitsmarkt ist doch eine andere Hausnummer", so Ruf. Sie begleitet die Menschen aber schon vorher, um festzustellen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Das soll helfen, sie an die richtige Arbeitsstelle zu vermitteln.
Mit der richtigen Einstellung zum Job
Denise Schnelle hat nach vier Jahren die ersehnte Festanstellung in der Metzgerei bekommen und sogar eine eigene Wohnung. Ihr Chef ist voll des Lobes: "Man kann sie ohne Probleme mitarbeiten lassen. Nachdem wir es ihr ein oder zweimal gezeigt haben, hat sie es verstanden und dann gut umgesetzt", so Gerhard Leberl.
Die 30-Jährige flitzt durch die Küche und ist manchmal kaum zu bremsen. Sie erzählt, dass sie einmal hunderte Schaschlikspieße gesteckt und nachts dann sogar davon geträumt hat. "Viele haben gesagt, dass es in der Metzgerei nicht funktioniert, aber ich wollte das Gegenteil beweisen. Und anderen Menschen mit Behinderung Mut machen, dass sie es mit Willen und Ehrgeiz selbst schaffen können."
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