Der Schauspieler Gunter Schoß liest mit tiefer eindringlicher Stimme im Klassenzimmer einer 12. Klasse aus dem Brief einer Jüdin vor: "Bevor ich von dieser Welt gehe, will ich euch, meine Liebsten, einige Zeilen hinterlassen. Wenn euch dieses Schreiben erreichen wird, bin ich und wir alle nicht mehr da. Unser Ende naht." Normalerweise trägt der Schauspieler die Geschichten zusammen mit Musikern in Konzerthäusern in ganz Deutschland vor. Diesmal stehen die Künstler im Musikunterricht des E.T.A.-Hoffmann-Gymnasiums in Bamberg, denn "Lebensmelodien" ist inzwischen auch ein Bildungsprojekt.
Schüler lernen bei Projekt viel über jüdische Kultur
Der künstlerische Leiter und Klarinettist von "Lebensmelodien" ist der in Berlin lebende Jude Nur Ben Shalom. Immer wieder besucht er mit seinem Projekt Schulklassen. Er erzählt, dass es für einige Schüler häufig das erste Mal sei, dass sie überhaupt auf einen Juden treffen. Für einige sei das Thema Holocaust auch mit Angst besetzt. Durch die Musik könnten die Schüler die Schicksale von damals besser erfassen und lernten durch die Geschichten viel über die Kultur der Juden in Deutschland, so Ben Shalom.
Brief der ermordeten Großtante als Impuls
Der Musiker Nur Ben Shalom zeigt den Schülern einen langen Brief, den seine Großtante vor ihrem Tod verfasst hat. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg von Nazis ermordet. Salomea habe den Brief mit dem Wort "Rache" beendet. Diese Rachefrage habe Nur Ben Shalom sein ganzes Leben lang beschäftigt. "Was bedeutet das in den heutigen Tagen als Musiker und Jude, der in Berlin lebt?", fragt Ben Shalom. Seine Antwort an seine Großtante sei das "Lebensmelodien"-Projekt, durch das er die Rache transformieren konnte.
Jüdische Musiker tragen Erinnerungen weiter
Musik und Kunst kann vieles: Durch die Musik von damals und die Geschichten tragen die jüdischen Künstler die Erinnerung in die Zukunft. Mit den Melodien, die von 1933 bis 1945 gespielt oder komponiert wurde, will Ben Shalom an den Holocaust erinnern. Die persönlichen Erzählungen bringen die jüdische Kultur von früher wieder in die Gegenwart. Die Musik und die Geschichten der Lebensmelodien seien Zeitzeugen der Vernichtung des Jüdischen Volkes, so Ben Shalom. "Wir kämpfen damit gegen Antisemitismus."
Zwischen Gänsehaut und Faszination
Die Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse des musischen Gymnasiums sind nach der Unterrichtsstunde bewegt. "Ich habe jetzt noch Gänsehaut, weil ich es so faszinierend fand und diese Mischung auch so toll, von Texten und dieser musikalische Eindruck dazu“, so die Schülerin Emma Wagner. Wenn Nur Ben Shalom die Schule nochmal besucht, dann sollen die Schüler und Schülerinnen die "Lebensmelodien"-Stücke selbst spielen und sie am Ende des Jahres aufführen. So würde die Musik die Jugendlichen mit den Menschen, die während des Holocaust ums Leben kamen, verbinden und eine Brücke bilden gegen das Vergessen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!