Es ist zunächst ein Haus, wie viele andere in Forchheim: Unscheinbar. Im Erdgeschoss werden Lagerräume vermietet. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch: Jenes Gebäude von 1904 war das erste große Kaufhaus der Stadt, gegründet von den jüdischen Brüdern Benno und Max Rosenthal. Das Warensortiment war umfangreich. Geöffnet wurde sogar sonntags. Die Nazis plünderten es in der Reichspogromnacht 1938.
Wer den neuen Jüdischen Pfad in der Forchheimer Altstadt begeht, kann hinter die Kulissen der Geschichte blicken. An 30 verschiedenen Stationen wird die jüdischen Vergangenheit Forchheims erlebbar. Kleine Hinweistafeln führen per QR-Code zu Einzelschicksalen, historischen Fotos, Animationen und eingesprochenen Audiodateien.
Konkrete Geschichte: Wie Forchheim judenfrei werden sollte
Der Historiker Rolf Kießling hat sich jahrelang mit der jüdischen Geschichte Forchheims befasst. Mit Unterstützung der Leiterin des Pfalzmuseums, Suanne Fischer, ist so der Jüdische Pfad entstanden. Er will Geschichte konkret machen. Erzählt werden die Schicksale von Juden in Forchheim - wie das von Julius Braun. Er wurde 1941, wie zahlreiche andere jüdische Mitbürger, von den Nazis deportiert. Ein Foto zeigt ihn mit gepacktem Bündel kurz bevor er die Stadt verlassen musste.
Forchheim sollte bis Ende des Jahres 1941 "judenfrei" sein, wie es im Nazi-Sprech genannt wurde. Das war das Credo der ortsansässigen Nationalsozialisten. Eine eiserne Stele erinnert heute an die Deportierten. Sie mussten sich damals auf dem Paradeplatz im Zentrum sammeln, um aus der Stadt geschafft zu werden. Per Lkw wurden sie erst nach Bamberg, dann nach Nürnberg und schließlich mit dem Zug in ein provisorisches Lager nach Riga gebracht. Von dort kehrte niemand mehr zurück.
"Die Menschen erfroren oder verhungerten dort wohl!" Rolf Kießling, Historiker
Hoffnung auf Rückkehr
In der heutigen Bäckerei am Paradeplatz 4 wohnte vor 100 Jahren die Jüdin Sali Braun, die ein Geschäft für Betten und Bettfedern führte. Kurz vor ihrer Deportation 1942 übergab sie Nachbarn einen Korb mit bestickter Wäsche. "Sali" stand in feinster Handarbeit auf den Kleidungsstücken. Sali Braun hoffte, bald wieder nach Forchheim zurückzukehren, ihre Wäsche wieder abholen zu können. Doch Sali Braun kehrte nie zurück. Sie wurde in einem Vernichtungslager in Ostpolen ermordet. Auch ihre Geschichte erzählt der Jüdische Pfad. Der Wäschekorb samt Inhalt wurde dem Pfalzmuseum Forchheim als Exponat im Jahr 2016 übergeben.
Antisemitismus: Tafeln auf neuem Jüdischen Pfad beschmiert
Das Thema Antisemitismus wird auf dem Jüdischen Pfad aber auch auf erschreckend aktuelle Weise sichtbar: Kaum eingeweiht, sind schon erste Tafeln abgerissen und beschmiert, zum Teil mit israelfeindlichen Kommentaren. Die Stadt hat Strafanzeige gestellt, die Polizei ermittelt. Sie habe damit quasi schon gerechnet, sagt Museumsleiterin Susanne Fischer und hatte dafür ein wenig Geld im Museumshaushalt für neue Tafeln zurückgelegt.
Dass schon wenige Tage nach der offiziellen Eröffnung derartige Beschädigungen stattfänden, überrasche sie jedoch schon. Umso wichtiger sei es, an die düstere Vergangenheit zu erinnern. Auch im oberfränkischen Bayreuth steht ein Gedenkstein, der die Erinnerung an das Leid der Juden im KZ-Außenlager Flossenbürg (Oberpfalz) wachhält.
Der Jüdische Pfad erzählt aber auch vom friedlichen Zusammenleben in der Stadt. Jüdisches Leben in Forchheim vom Mittelalter bis 1944 – eine interaktive Reise. Wer sich darauf einlässt und zwei bis drei Stunden Zeit mitbringt, entdeckt fassbare Beispiele der zum Teil unfassbaren deutschen Vergangenheit.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!