Seit sechs Jahren bearbeitet Oberstaatsanwältin Manuela Teubel bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg Fälle von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Seit mehr als zwei Jahren leitet sie eine Arbeitsgruppe im hier ansässigen Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet (ZKI).
Zu ihrer Arbeit gehört es deswegen auch Filme anzusehen und auszuwerten, die den Missbrauch von Jungen und Mädchen zeigen. "Eigentlich möchte ich am liebsten diese Bilder und diese Videodateien überhaupt nicht sehen müssen. Aber das gehört zur Arbeit dazu", sagt sie.
Was sie und ihr Team dabei ansehen müssen, sind schwere Verbrechen. Die Kontrovers Story zeigt die herausfordernde und belastende Arbeit der Ermittler.
"Wenn wir bei 100 Fällen einen dabeihaben, der tatsächlich Kindern etwas getan hat und wir können feststellen, welches Kind das ist, wie das Kind heißt, und dass das Kind sich dann auch öffnen kann und sich mit der Sache auseinandersetzen kann, zum ersten Mal in seinem Leben therapeutische Behandlung bekommt: Das ist eine große Motivation für uns," sagt Teubel.
Video: Kinderpornografie - Der Kampf der Ermittler
Fälle von Kinderpornografie im Netz: Zahlen steigen
In der Asservatenkammer des ZKI liegen etliche Datenträger, die Teubel und ihr Team beschlagnahmt haben: Laptops, Computertürme, Festplatten. Auf ihnen sind Millionen Video- und Fotodateien gespeichert, die schweren sexuellen Missbrauch von und Gewaltverbrechen an Kindern und sogar Babys zeigen. Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern in Fotos und Videos werden von Tätern heute fast nur noch online getauscht.
Bei der Teambesprechung der Ermittler geht es deswegen häufig um die zentrale Frage: Wie können gelöschte Daten sichtbar gemacht werden? Die Verfahrenszahlen explodierten seit mehreren Jahren, sagt Behördenleiter Thomas Goger. Das habe sicherlich auch mit der Digitalisierung zu tun. Und es gäbe noch einen zweiten großen Trend, sagt er: "Das Material, das man findet, wird immer schlimmer, wird immer härter. Die Kinder werden immer jünger."
Immer wieder zum Opfer gemacht
Die heute 37-jährige Clarissa Vogel hat als Kind sexuellen Missbrauch erfahren: "Ich wurde von meinem dritten bis zum 12. Lebensjahr von meinem Stief-Großopa und acht weiteren Tätern sexuell missbraucht und misshandelt und in dieser Zeit wurde es eben auch gefilmt."
Der Missbrauch an ihr endet erst mit dem Tod ihres Stief-Großvaters. Bis heute verfolgen sie die Taten: "Dass das aufgenommen wurde, war mir klar," sagt Vogel. "Ich habe die Kamera ja auch wahrgenommen, aber mir war noch nicht klar, dass es verbreitet wird oder verbreitet werden kann in dem Moment auch an andere Menschen. Und diese Tragweite, die da jetzt hinter ist, die ist mir heute bewusst. Wenn ich darüber nachdenke, dass es Menschen gibt, die sich das vielleicht heute noch anschauen, ist das für mich ein total schreckliches Gefühl." Das sei für sie auch ein Grund, warum sie überhaupt nicht gut damit abschließen könne, weil sie immer noch das Gefühl habe, "es ist irgendwas in der Welt unterwegs."
Darum ist es für die Arbeit der Ermittler und Behörden wichtig, Plattformen zu schließen, die sexuellen Missbrauch von Kindern verbreiten, Täter aufzuspüren - und gegebenenfalls erneute und sich wiederholende Traumatisierungen der Opfer zu unterbrechen.
Regelungen zu Datenschutz erschweren Ermittlungen
Doch die Ermittler stoßen regelmäßig auf Hürden: Um Kriminelle, die im Internet Bilder und Videos von sexueller Gewalt an Kindern hochladen, verbreiten, ansehen und herunterladen, auffinden zu können, sind sie unter anderem auf die individuellen IP-Adressen der Täter angewiesen.
Mithilfe dieser IP-Adressen können Behörden den Anschlussinhaber ermitteln. Doch: Deutsche Provider speichern IP-Adressen aus Abrechnungszwecken meist nur für sieben Tage. Das reiche aber oft nicht aus, um die Täter zu ermitteln, kritisieren die Ermittler. Die Folge: Ermittlungen müssten eingestellt werden. Bei Speicherfristen von einem halben Jahr könnten Ermittler deutlich mehr Täter aufspüren.
Gesetzentwurf: Quick-Freeze-Regelung
Dabei hat der Europäische Gerichtshof Deutschland mit seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung, eine Speicherung von IP-Adressen ausdrücklich bei Straftaten wie dem Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie erlaubt, wenn "Verkehrs- und Standortdaten dazu geeignet sind, […] zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beizutragen."
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat daraufhin einen Gesetzentwurf vorgelegt, die sogenannte "Quick-Freeze-Regelung". Der Vorschlag: IP-Adressen-Speicherung nur nach richterlichem Beschluss über die Frist von sieben Tagen hinaus zu verlängern. Ermittler beklagen jedoch, man könne nur Daten einfrieren, die noch vorhanden seien. Seien die sieben Tage rum, könne man die Täter nicht mehr aufspüren. Ein Gesetzentwurf, der ins Leere gehe, meinen Kritiker.
Bayern will mehr Datenspeicherung – Berlin zaudert
Die bayerische Staatsregierung fordert von der Bundesregierung nun dazu eine schnelle Umsetzung und hat das im Bundesrat eingebracht:
"Die Bundesregierung ist in dieser Frage offensichtlich gespalten. Der Bundeskanzler könnte aufgrund seiner Richtlinienkompetenz den Weg frei machen für eine zeitlich befristete verpflichtende Speicherung von IP-Adressen. Ich appelliere an dieser Stelle an ihn, das auch zu tun." Georg Eisenreich, CSU, Bayerischer Justizminister
Bislang haben die Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz das eingeräumte Potential des Europäischen Gerichtshofs nicht genutzt: "Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung (sei) noch nicht abgeschlossen", lautet die schriftliche Antwort auf Kontrovers-Anfrage.
Ermittlungen unter Zeitdruck
Diese Uneinigkeit in der Frage hat zur Folge, dass Ermittlungen gegen Kriminelle erschwert und sogar eingestellt werden müssen. Dabei nehmen die Verbreitung und der Besitz von Kinderpornografie seit Jahren stark zu, wie die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt.
Kinder, die Opfer von Missbrauch und sexueller Gewalt geworden sind, lassen sich nur schwer identifizieren. Denn die Täter drohen massiv, wie die heute 37-jährige Clarissa Vogel sich in der Kontrovers-Story erinnert: "Es wurde mir gesagt, dass man mich umbringt, wenn ich etwas sage, dass man meine Familie umbringen wird, meinen Bruder oder, dass man mir die Knochen bricht." Oberstaatsanwältin Teubel vermutet: "Die Dunkelziffer ist sicherlich sehr hoch, was tatsächlich die Handlungen zum Nachteil von Kindern angeht."
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