Die beiden Kühltürme des ehemaligen Kernkraftwerks Grafenrheinfeld sind an diesem Freitagabend mit zwei lauten Detonationen in sich zusammengefallen. Zuvor hatte sich die Sprengung überraschend verzögert, da sich eine Person unerlaubt Zutritt zum Gelände verschafft hatte und damit einen größeren Polizeieinsatz auslöste. Die ursprünglich geplante BR24live-Begleitung konnte aufgrund von Verbindungsproblemen mit dem Live-Signal nicht stattfinden.
Es dauert: Pro-Atom-Aktivist kettet sich an Strommast fest
Probleme haben auch die Sicherheitskräfte: Polizeisprecher Denis Stegner berichtet, eine Person, die nach Polizeiangaben der Pro-Atom-Szene zuzurechnen ist, habe sich in zehn Metern Höhe an einem Strommasten festgekettet. Ein Spezialrettungsteam rückt an. Zeitweise ist unklar, ob vor Einbruch der Dunkelheit noch gesprengt werden kann.
Zwei Explosionen - und die Kolosse lösen sich in Rauch und Trümmer auf
Nachdem die Person vom Gelände abgeführt wird, kommt mit eineinhalbstündiger Verzögerung um 19 Uhr 56 doch noch der große Doppelwumms. Im Anschluss an die Sprengung bildet sich direkt eine massive Staubwolke. Die Schaulustigen verlassen deswegen recht schnell die Szenerie, berichten BR-Reporter vor Ort. Polizeikräfte, die den Sprengort weiterhin absichern, behelfen sich mit FFP2-Masken. #
VIDEO: Drohnenaufnahmen der Sprengung
55.000 Tonnen Beton und Stahl - in 30 Sekunden verschwunden
Bis zum Morgen hatten die roten Signalleuchten an den Kühlturmumrandungen noch in die Dunkelheit gestrahlt, als Warnung für Flugzeuge und Hubschrauber. Auch diese Leuchten zerschellten am Abend in den Trümmern von rund 55.000 Tonnen aus Beton und Stahl - unter den Blicken von Hunderten Schaulustigen, die sich schon Stunden vorher eingefunden hatten. Bislang hat eine solche Sprengung erst einmal in Deutschland stattgefunden – im Mai 2020 im baden-württembergischen Philippsburg.
Als es dann endlich losgehen konnte, dauerte die Sprengung nur etwa 30 Sekunden. Mit den bilderbuchmäßig in sich zusammensackenden Türmen verschwand auch ein weithin sichtbarer Fixpunkt in der Region. "Seitdem ich denken kann, stehen die zwei Türme bei uns. Sie sind eine wichtige Landmarke. Sie waren für uns schon immer ein Symbol", sagt Grafenrheinfelds Bürgermeister Christian Keller vor der Sprengung.
Warum die Kühltürme gesprengt wurden
Die Kühltürme in Grafenrheinfeld wurden aus zwei Gründen gesprengt: Einmal soll damit der Fortgang des Rückbaus sichtbar gemacht werden. Zum anderen braucht der einstige Betreiber "PreussenElektra" die Fläche eines Kühlturms, um darauf abgebaute Bauteile lagern zu können.
Der nach der Sprengung anfallende Schutt aus Beton und Stahl wird allerdings kein großes Volumen haben. Die Kühlturm-Wandstärke nimmt nach oben hin ab: unten betrug sie 75 Zentimeter, oben 16 Zentimeter. Die beiden Kühltürme waren 143 Meter hoch, hatten an der Basis einen Durchmesser von 105 Metern und an der Spitze von 64 Metern. Jeder Turm stand auf 36 Stützenpaaren.
Für die Sprengung der beiden Kühltürme reiste eigens eine Sprengmeisterin aus Thüringen an. Wie viel Sprengstoff für die insgesamt rund 34.000 Tonnen Stahlbeton, Metalle und Kunststoffe nötig waren, verriet die Sprenggesellschaft nicht.
Letzter Windcheck vor der Sprengung
Das metereologische "Go" für die Sprengung an diesem Tag gab der Netzbetreiber Tennet übrigens bereits am Freitagvormittag: Vorab hatte Tennet den Wind beobachtet. Denn nahe der Kühltürme führen drei Hochspannungsleitungen von Tennet vorbei. Bei Nordwind hätten diese nach der Sprengung speziell kontrolliert und gereinigt werden müssen. Das will Tennet verhindern. Bei mehreren negativen Windereignissen wäre die Sprengung um einen Tag oder gar eine Woche nach hinten verschoben worden. Für die Sprengung schaltete Tennet sicherheitshalber ab 17 Uhr vier Stromkreise ab.
Video: Hintergründe zu den Kühltürmen und ihrer Sprengung
Geschichte der Kühltürme in Grafenrheinfeld
1975 starteten die Bauarbeiten für den Atommeiler. Tag und Nacht musste der Beton gegossen werden, damit keine Zwischenräume entstehen und so die Stabilität gewährleistet war. Damit die Türme größten Stürmen standhalten konnten, wurden später an den Wänden senkrecht verlaufende Bänder angebracht. Die sollten dafür sorgen, dass der Wind hinter den Türmen verwirbelt und neben dem Winddruck durch den Sog dahinter nicht zusätzliche Kräfte auf die Kühltürme wirkten.
1981 kamen die ersten Wasserdampfschwaden aus den Kühltürmen – nach der ersten nuklearen Kettenreaktion zur Stromerzeugung. Die letzten Dampfschwaden waberten dann am 27. Juni 2015 aus den Kühltürmen. Kurz vor Mitternacht wurde das Kernkraftwerk nach 33 Betriebsjahren endgültig abgeschaltet. Nun wird am Rückbau gearbeitet – bis Ende 2033 soll er abgeschlossen und bis 2035 sollen alle konventionellen Bauten des KKW Grafenrheinfeld verschwunden sein.
Proteste gegen das Kernkraftwerk
Von Beginn an gab es Proteste gegen das Kernkraftwerk. Babs Günther hat jahrelang gegen das Kraftwerk vor ihrer Haustüre protestiert. Und sie stört sich weiterhin – auch dann, wenn die Kühltürme weg sind. "Von den Kühltürmen ist keine Gefahr ausgegangen. Die Gefahr ist ausgegangen von dem, was in der Reaktorkuppel passiert ist. Und die Gefahr geht jetzt von den zwei Atommülllagern aus." Noch gibt es kein Atommüll-Endlager in Deutschland. In Grafenrheinfeld wird radioaktiver Müll daher zwischengelagert.
Beliebter Wendepunkt von Jets der US-Airforce
Vielen Anwohnern, werden die Kühltürme, auch, wenn sie nicht mehr stehen, noch aus einem anderen Grund in Erinnerung bleiben: Bei Tiefflugübungen nutzte die US-Airforce sie in der Nacht oft als Wendepunkt. Vor allem zwischen Ende 2010 und 2013 hatten US-Kampfjets immer wieder die Bevölkerung aufgeschreckt. Die Flugzeuge waren vielfach vom Stützpunkt Spangdahlem in der Eifel gestartet.
Die Flugverbotszone mit einem Radius von knapp 1,5 Kilometern um den einstigen Atommeiler und einer Höhe bis 617 Meter über Grund bleibt weiter bestehen. Der Grund dafür ist das Atommüllzwischenlager auf dem Gelände in Grafenrheinfeld.
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